SLIME

Viva la Muerte

SLIME, die Komplettbedienung: Die Wirrungen des internationalen Musikgeschäfts haben dazu geführt, dass diverse Anwaltsschreiben später die längst aufgelöste Hamburger Punklegende nun in Form der bandeigenen Firma Slime Tonträger wieder über die Rechte an den eigenen Platten verfügt.

Vom eigentlich titellosen Debüt von 1981 und dem Abschiedswerk "Schweineherbst" von 1994 mal abgesehen, waren die anderen Alben auf dem gleichermaßen legendären wie später als Abzockerladen verschrieenen Berliner Label Aggressive Rockproduktion (AGR) erschienen und erfuhren über die Jahre die verschiedensten Neuveröffentlichungen.

Jetzt also liegen die Rechte wieder bei der Band selbst, und die hat die sechs Alben neu aufgelegt: alle als Digipack mit Klappcover, in dem sich neben Fotos die Texte finden (ja, bei den zensierten Songs auch mit "xxx") und teilweise mit Bonus-Songs (Live-, Single- und Sampler-Tracks).

Verzichtet wurde leider auf ausführliche Hintergrundtexte, was ich schade finde, denn Weird System (wo die Vinylversion von "Slime I", "Yankees raus" und "Alle gegen Alle" schon vor Jahren neu veröffentlicht wurden, allerdings mit neu eingesungen Versionen der indizierten Textpassagen) zeigt ja immer wieder, wie man in dieser Hinsicht vorbildliche Rereleases auflegt.

Und ich bin sicher, die Bandmitglieder hätten da so einiges zu erzählen gehabt. So bleibt den Spätgeborenen, die die Bandgeschichte nicht aus dem Stehgreif rezitieren können, nur ein Blick auf den ausführlichen Wikipedia-Eintrag zur Band, aber auch die Bandwebsite wartet mit einer knappen Biographie auf.

Los ging es 1981 mit "Slime I", auf der sich als Bonustracks die Songs der ersten Single von 1979 finden (darunter auch das zensierte "Wir wollen keine Bullenschweine") sowie "Polizei SA SS" vom "Soundtrack zum Untergang"-Sampler".

Auf dem Album natürlich die Klassiker "We don't need the army", "A.C.A.B.", "Karlsquell", "Deutschland" und "Wir wollen keine krrccccch" - denn ja, die Indizierung gilt immer noch, und an den inkriminierten Stellen gibt es so eine Art Radiostörgeräusch.

Egal, der echte Punk singt selbst mit und weiß, was gemeint ist. Immer wieder erstaunlich, wie englisch SLIME damals noch geklungen haben - die UK-Vorbilder sind hier deutlich herauszuhören.

1982 kam dann "Yankees raus", und wo sich die Politdeppen heute streiten, wie das nun zu verstehen gewesen sein mag, war das seinerzeit einfach ein Ausdruck der Stimmung, die im Kalten Krieg in Deutschland herrschte.

Kritik an den USA richtete sich damals nicht gegen deren Rolle als Befreier vom Nationalsozialismus, sondern unter anderem gegen die als Massenmörder in Vietnam. Weitere Klassiker hier: "Bundeswehr", "Gerechtigkeit", "Pseudo", "Kauf oder stirb", "Demokratie", "Polizei" - man fragt sich, warum danach überhaupt noch deutsche Punkplatten gemacht wurden, denn musikalisch kam seitdem keine einzige der sogenannten Deutschpunk-Bands an die Originale ran, und textlich/thematisch hatten SLIME nach diesem Album eigentlich auch alles gesagt - und das so direkt wie umfassend, dass ihre Texte bis heute nichts an Gültigkeit und Aussagekraft eingebüßt haben.

1983 erschien "Alle gegen Alle", und sowohl die deutsche Punkszene allgemein wie auch SLIME waren im US-Hardcore angekommen. Der härtere Stil stand der Band gut: "Linke Spießer" ist bis heute einer meiner Lieblingssongs, "Störtebeker" die Hamburg-Hymne schlechthin, "Religion" sagt alles, was über diese Geisteskrankheit zu sagen ist, "Nazis raus" ist eine leider immer noch aktuelle Ansage (und das Lied von den befreundeten BUTTOCKS gecovert), "Etikette tötet" immer wieder genial, und wenn SLIME "Ich will nicht werden" von TON STEINE SCHERBEN coverten (im Bonusteil auch "Wir müssen hier raus"), zeigten sie damit, wen sie auch als Vorbildern ansahen.

Als 1984 dann "Live" erschien, war die Band am Ende: Die Staatsgewalt und Kritik aus der Szene machten ihnen gleichermaßen zu schaffen, aber auch die Verehrung als Punk-Helden. Auf der Liveplatte findet sich der Mitschnitt des Konzertes vom 21.

Januar 1984 in den Berliner Pankehallen, in bester Qualität gemischt von Harris Johns und mit seinen 29 Songs beinahe sowas wie eine Best Of-Platte und eine der wenigen Punkrock-Liveplatten mit Daseinsberechtigung.

In den nächsten Jahren spielten SLIME dann zwar gelegentlich in Hamburg Konzerte, offiziell waren sie aber aufgelöst und erst 1990 fand man wieder zusammen, nahm mit Rodrigo Gonzalez als Produzent das 1992 erschienene "Viva La Muerte" auf, das bis heute als das schwächste SLIME-Album gilt: Zu groß der Rock-Einfluss, aber rückblickend dann doch mit Qualitäten und nicht wegzudenken aus dem Gesamtschaffen, das mit dem 1993 eingespielten und 1994 veröffentlichten "Schweineherbst"-Album einen (vorläufigen?) Abschluss fand.

Hier liefen SLIME nochmal zu alter Größe auf, und nach einer letzten Tour (die auf dem Live-Album "Live Punk Club" von 1995 verewigt wurde) war dann Ende 1994 Schluss - die Band fand, man habe alles gesagt.

Meine Kaufempfehlung? Die ersten drei Alben sind absolut unentbehrlich und gleichrangig, lohnenswert ist auf jeden Fall noch "Schweineherbst", und aus Komplettheitsgründen dürfen dann später noch "Viva La Muerte" und "Live" dazukommen.