RATOS DE PORÃO

Seculo Sinistro

Hand aufs Herz: Wenn eine brasilianische Band, die durch Europa tourt und deren Namen hier nicht verraten wird, einen eigenen Gig absagt, nur um quer durch Holland zu fahren und ihre Landsleute RATOS DE PORÃO in einem schwer nach Verwesung stinkendem Amsterdamer Squat zu sehen, dann muss an dem Ruf jener Kollegen wohl etwas dran sein.

Ein Ruf, der sich darauf gründet, dass die Ratten bereits vor dreißig Jahren (!) das erste Punk-Album Südamerikas überhaupt veröffentlicht haben. Wer hat 1984 geahnt, dass das Debüt „Crucificados Pelo Sistema“ mit seinem schwer von DISCHARGE beeinflussten Crust mal ein Meilenstein der dortigen Punk-Szene und die Band drei Dekaden später immer noch quicklebendig sein würde? Und mit Gitarrist Jão und Sänger João Gordo – mittlerweile beide über fünfzig Jahre alt – sind immerhin noch zwei Originalmitglieder in der Band aktiv, die nie das so pathetische wie alberne Auflösung-Reunion-Spiel mitgemacht hat und sich in ihrem Heimatland in bestimmten subversiven Kreisen – siehe oben – unverändert großer Beliebtheit erfreut.

Aber RATOS DE PORÃO haben sich mit der Zeit weiter entwickelt und schon in den späten Achtzigern begonnen, vermehrt Thrash Metal in ihren derben Oldschool Hardcore einzubinden, was ihnen darüber hinaus zu einer ansehnlichen Gefolgschaft in der Metal-Szene verholfen hat und auch heute noch Bestandteil ihres Stils ist.

Acht lange Jahre haben RATOS DE PORÃO seit ihrem letzten großartigen Album „Homem Inimigo Do Homem“ verstreichen lassen, knüpfen dort aber jetzt mit „Seculo Sinistro“ nahtlos an. Es gibt erneut einen furiosen Mix aus rasendem Hardcore und Crust, der immer wieder durch Thrash-Metal-Riffs aufgepeppt wird.

Dabei variiert man geschickt die Geschwindigkeit, nimmt sich im richtigem Moment zurück, um danach nur noch ungezügelter loszuschlagen. So ist ein Song wie der Titeltrack ganz einfach nur fantastisch, absolut manisch, rasend und voller Energie. Aber auch inhaltlich hat man sich von scheinheiliger Fußballsommersonne nicht verbiegen lassen, Brasilien ist und bleibt ein Schwellenland mit Favelas, Polizeigewalt, Armut und schonungsloser Ausbeutung natürlicher Ressourcen.

Und RATOS DE PORÃO bleiben eine Band, die auf Portugiesisch gegen diese Umstände anbrüllt und den Finger in die Wunde legt – ein Unterfangen, welches dort allerdings ungleich gefährlicher ist als hierzulande.

So ist es wahrscheinlich auch kein Zufall, dass „Puta, viagra e corrupçao“ („Nutten, Viagra und Korruption“) nicht als Songtitel auf dem Cover des Albums auftaucht, wohl aber „Progeria of power“, ein Coversong der Schwedenlegende ANTI-CIMEX, der eindrucksvoll die Crust-Wurzeln der Band dokumentiert.

Bleibt zu vermelden, dass RATOS DE PORÃO zu Recht in Südamerika Kultstatus genießen und ihn weltweit verdient hätten. Welch ungezügelte, furiose Energie!