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VERLIERER

s/t

Mit geschlossenen Augen und offenen Ohren beim Blind-Date: Berlin 1981/82! Ja, so klang das damals, als die Mauer noch stand und man aus Stuttgart nur nach Kreuzberg zog, um dem Wehrdienst zu entgehen, statt dort ein neues Jöble anzutreten oder ein schwäbisches Feinschmeckerlokal zu eröffnen. Rotzig, angepisst und ungeschliffen schießen DIE VERLIERER hier acht Songs aus der Hüfte, die sich gewaschen haben. Das Vinyl ist ein heißer Anwärter für die Top 5 der Punk-LPs 2022. Moment mal, es sind neun Songs! Ja, einer, vielleicht bei dir ein ganz anderer (bei mir ist es „Into A“), lässt dich dann doch hadern, ebenso wie das früher der Fall war. Geschrieben vom Bassisten oder der Schwippschwägerin des Schlagzeugers, ganz egal, einer ist anders und fällt irgendwie durch das Raster. Die anderen acht aber zünden umgehend, bereits nach dem zweiten Mal kannst du problemlos den Refrain mitsingen, im Takt mitwippen sowieso. Punk, früher NDW-Sound, als das noch niemand so nannte, repetitive Elemente (heute nennt man das „Post-Punk“, früher „Kraut“), ergeben in der Länge der Platte ein völlig stimmiges Bild. Dass hier vier Leute singen, fällt einem nur auf, wenn man das Glück hatte, die Band live zu sehen, die auf der Bühne gerne zwei Schippen drauflegt, so dass es dort noch mal deutlich härter rüberkommt. Dieser Live-Auftritt ist schon mal definitiv eines der Dinge, an die ich mich am 31.12. lächelnd mit einem Glas Blubberwasser in der Hand zurückerinnern werde, um mich bei meinem persönlichen Singletrack („Nichts funktioniert“) auf das nächste Jahr zu freuen. Die Herangehensweise ist rüde, so als gäbe es kein Morgen. Haben wir’s? Fast! Kein zweiter Take, lass uns lieber eine Runde an den Flipper oder an den Kicker. Die Unperfektion macht den besonderen Charme aus. Nicht zu viel hirnen, keine zwanzig Overdubs, sitzt, passt, raus damit, wenn’s sein muss, auf Tape, weiter geht’s. Die lächerliche Erstauflage von gerade mal 300 Stück war umgehend Geschichte, die Nachpressung sollte inzwischen da sein oder aber der Discogs-Irrsinn nimmt alsbald seinen Lauf, wenn auch die letzten vor den bereits geschlossenen Spätis stehen, um ihre Kohle loszuwerden. Instant-Klassiker, wie der Kaffee von Mitropa, der stilecht in einem Plastebecher auf einem Resopaltisch gereicht wird. Ein authentischeres Berlin-vor-dem-Mauerfall-Feeling wird’s für dich nicht geben, sofern du es nicht livehaftig in den Achtzigern erlebt hast, also hurtig, und dann so tun, als könntest du die Braunkohle und das Rasierwasser der Ostgrenzer riechen, das über den Todesstreifen in deinen modrigen Proberaumkeller geweht wird. Ja, so klang das damals! Welch Glück du hast, an so einer einzigartigen Zeitreise teilnehmen zu dürfen, die zu keinem Moment nostalgisch oder gar wehmütig, sondern einfach nur wütend klingt.