DAS ERBE

Rutu Modan

„Ligne Claire“, dieses Schlagwort kommt einem in den Sinn, wenn man sich Rutu Modans jüngstem Comic rein äußerlich annähert. Klare Linien, kräftige Farben. Inhaltlich erzählt „Das Erbe“ die Geschichte der polnischstämmigen jüdischen Familie Wagman: Die junge Mika fliegt nach dem Tod ihres Vaters gemeinsam mit ihrer Großmutter nach Warschau, um eine Erbsache zu klären.

Dort trifft sie auf der Flucht vor einem unliebsamen Bekannten aus Israel zufällig auf einen jungen polnischen Stadtführer und Comiczeichner, beginnt eine spontane Liaison und versucht mit dessen Unterstützung den Spuren ihrer Familiengeschichte in Polen zu folgen.

Nach und nach erschließen sich ihr einige gut gehütete Geheimnisse. Die Shoa streift Modan dabei eher am Rande, denn Mikas Großmutter ist schon vor der Besatzung Warschaus als Strafe für ihre uneheliche Schwangerschaft nach Israel geschickt worden.

Wenn aber beispielsweise eine israelische Schulklasse auf dem Hinflug ausgelassen feiert (Kommentar des Lehrers: „Okay, Montag Treblinka, Dienstag Majdanek, inklusive Gaskammer ... Majdanek steckt Auschwitz in die Tasche.

Ist viel grausiger.“), sich auf dem Rückflug hingegen bedrückt in die Sitze kauert, oder im ehemaligen Warschauer Ghetto plötzlich Männer in Wehrmachtsuniformen mit Gewehren von einem Militärfahrzeug springen, um eine mit Judensternen gekennzeichnete Gruppe Jugendlicher gefangen zu nehmen („Das historische Rollenspiel ist Teil unserer neuen Aktivität.

Mit Ausstellungen kann die Internetgeneration nichts mehr anfangen.“) ist auch der Holocaust beziehungsweise dessen Vermarktung Thema. Eine stimmige Erzählung über die großen und kleinen sozial-historischen und persönlichen Konflikte – „Der Familie muss man nicht die ganze Wahrheit sagen, und das ist noch lange keine Lüge.“