ALTE SAU

Öl im Bauch

Kreativ-Overkill im Hause Rachut! Binnen eines Jahres kam als Opus Maximus die Textsammlung „Der mit der Luft schimpft“, dann im Frühsommer das zweite MAULGRUPPE-Album, und nun auch noch nach dem titellosen Debüt von 2014 und „To Be As Livin’“ von 2016 (was ja echt schon stolze fünf Jahre her ist) ein neues Album von ALTE SAU. An denen mäkelte Kalle Stille anlässlich des Debüts herum: „Der Punkt ist dann aber doch, dass ich den Herrn mit seinem alten Mitstreiter Andreas Ness an der Gitarre viel lieber mag als mit einer Orgel, und damit bin ich sicher nicht alleine.“ Ja, nehmt den Punks die Gitarre, und es gibt Rebellion! Aber weiß der Teufel (!) woran es liegt, ich habe so einen seltsamen Orgelfetisch (Spätfolge einer erfolglosen katholischen Sozialisation?), und deshab schockt mich das erneute und wiederholte Nichtvorhandensein einer Gitarre immer noch nicht. Die Gitarre, das Maggi oder der Ketchup unter den Instrumenten? Damit schmeckt alles? Ha! Schlagzeug, Bass, Orgel und Gesang reichen völlig, wie „Öl im Bauch“ beweist. „Und es ist die erste Platte auf der unser Lieblings-Wildschweinhasser nicht schreit!“ kündigte ALTE SAU-Booker Trümmer-Jens das Album an, und das könnte für weiter Verstörung sorgen. Ja, ist denn nichts mehr sicher und heilig? Sodom und Gomera! Aber der Disclaimer wäre so nicht nötig gewesen, Rachuts auf ewig in unsere Synapsen eingebrannte Stimme ist auch in diesem fast schon rezitativen Tonfall markant und vertraut – mir fehlt hier nichts. Und besonders schön wird es, wenn Rebecca „Becki“ Oehms nicht nur Orgel (aka Tasteninstrumente) spielt, sondern auch (co-)singt. Raoul Doré wiederum trommelt hier sehr dezent, und bisweilen driftet das dann fast schon in Dub-Bereiche ab („Gibst du mir was ab“) – klanglich so spannend und anspruchsvoll wie MAULGRUPPE, da wirken die alten RACHUT-Klassikerbands fast schon schlicht. Mir gefällt beides tendenziell besser als KOMMANDO SONNE-NMILCH und N.R.F.B., wo ich bisweilen durchaus mal ein leichtes Gefühl von „Geht es bitte auch eingängiger?“ verspürte. Neu hier (aber nicht im Jensen-Universum) ist Thomas Wenzel (DIE STERNE, DIE GOLDENEN ZITRONEN), der Bass spielt. Apropos Zitronen: Ted Gaier hat das Ganze in seinem Studio aufgenommen, und wenn man es genau nimmt, ist Rachut mit ALTE SAU heute mehr STEREO TOTAL und DIE GOLDENEN ZITRONEN als wütender WIPERS-Verehrer. Es sind die leisen Songs, die hier besonders betören, etwa „4 Stühle“ oder das wundervolle „Ikeamond“ – mit dem Verstehen ist und bleibt das so eine Sache. Ich: „Kann man deine Texte im klassischen Sinne verstehen?“ Er: „Nein. Man braucht immer eine Übersetzung dazu.“ Also gar nicht erst versuchen. Ein wunderschönes Album – außer für Menschen, die auf ewig BLUMEN AM ARSCH DER HÖLLE, DACKELBLUT und OMA HANS hinterhernostalgisieren.