Nick Cave ist angekommen. Er scheint in sich zu ruhen und er gibt zum ersten Mal in seinem Leben Interviews mit humorvollen Einwürfen und hat dabei fast eine passende Form der Selbstironie für sich entdeckt.
Vermutlich hat er mit „Push The Sky Away“ seine besten Balladen geschrieben mit der Unterstützung seines „Ying und Yang“-Weggefährten Warren Ellis, der seine Schatztruhe der Mysterien unerforschter Klangwelten für Nick Cave geöffnet hat.
Früher gab Nick Cave ganz klar den Ton bei den BAD SEEDS im Studio an, heute entstehen die Songs oft auf Basis der komplexen Loops von Warren Ellis. Cave hat im Seebad Brighton mit viel Fantasie fragile Songs ersonnen, diese verwoben mit Kindheitserinnerungen und Gedanken beim Blick aus seinem Fenster und mit „We know who U R“, sicherlich einem Highlight des Albums, und „Jubilee Street“, das er bei der aktuellen Tour von einem großen Kinderchor und Streichern auf der Bühne begleiten ließ, die Bibel bei Seite gelegt und die Untiefen der Liebe zwischen Zerbrechlichkeit und wahnwitziger Ekstase ausgelotet.
Nick Cave jagt nicht mehr zornig dem Teufel und seinen Dämonen hinterher oder fordert mit drohender Faust die Vergeltung Gottes ein. Seine Songs sind zwar immer noch reich an bedeutungsvollen Metaphern und Verweisen auf Literatur und Dichtung, aber sie strahlen, vor allem auch durch die oft reduzierte Instrumentierung, eine wunderbare Wärme aus.
Während früher opulente Streicher und Klavierpartituren in Moll dominierten, sind es heute zaghaft gesetzte Gitarren-Loops – der zitternde Herzschlag der Songs, wie es Nick Cave selbst bezeichnet – und ein fiebriges Piano.
Im Video zu „Jubilee Street“, die Straße gibt es in Brighton tatsächlich und sie liegt nicht weit von seinem bevorzugtem Pub, wirkt Cave noch dünner, der maßgeschneiderte Anzug noch passender, die Haare noch einen Tacken schwärzer nachgefärbt als sonst und fast entspannt, mit der sicheren Gewissheit, seinen gerechten Zorn jederzeit bei GRINDERMAN ausleben zu können, auch wenn die Texte des mehrfachen Vaters auf diesem Album auch mal von 72 aufgereihten Jungfrauen handeln.
Da mag es geholfen haben, dass Nick Cave sämtliche Songs zu diesem Album wie in einem romantischen Klischee geschrieben hat: zunächst handschriftlich in ein speziell für ihn angefertigtes Notizbuch, das ihm eine befreundete Buchbinderin aus Australien schenkte, und anschließend auf seiner Schreibmaschine auf den Rückseiten alter Buchseiten.
Da bricht der Autor Cave neben dem Musiker-Ego durch. Bei „Push The Sky Away“ ist auch Gründungsmitglied Barry Adamson, mit dem Cave das wunderbare „Sweetheart come“ vom Album „No More Shall We Part“ geschrieben hatte, wieder mit dabei (Blixa Bargeld war eingeladen, fand aber nicht die Zeit).
Die BAD SEEDS lassen ihre Jünger mit einem wunderbaren und einfühlsamen Album zurück und mit Songs, bei denen Nick Cave mit einer seiner großen gegen den Himmel gewandten Bühnengesten diesen Himmel nonchalant beiseite schiebt, damit Gott über ihn wache, obgleich er mit ihm seit über dreißig Jahren im Argwohn und Zwist liegt.
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