Drei lange Jahre haben T(I)NC vergehen lassen seit ihrem letzten Album "A New Morning, Changing Weather", und lang erschienen die auch deshalb, weil zwischen dieser Platte und dem Debüt von 2000 nur ein Jahr verstrichen war.
Mit dem zweiten Album schon hatten die Schweden aber eine Lawine losgetreten, ein erstaunlicher Run auf diese Band begann, und mir scheint, man brauchte einfach etwas Zeit, um sich neu zu justieren.
Jetzt also ist "Armed Love" raus, in Europa nach wie vor auf Burning Heart, in den USA jedoch auf Universal, eine Bedingung, welche die Band erfüllen musste, um mit dem legendären Rick Rubin als Produzent ins Geschäft zu kommen (der, so heißt es, sei hinter der Band her gewesen, nicht anders herum).
Halb so schlimm, könnte man sagen, wenn da nicht der bittere Beigeschmack des Ausverkaufs wäre: T(I)NC als Band, die auf der Tour zum letzten Album hinter der Bühne ein Banner mit der Aufschrift "Capitalism is organized crime" gespannt hatten, lassen sich ein mit Vivendi-Universal, einem DER weltweiten Konzerne, die im Fokus von Globalisierungskritikern stehen, die von Unterhaltung bis zu Telekommunikation und Wasserversorgung in unzähligen Geschäftsfeldern aktiv sind und zu Recht massiv kritisiert werden.
Klar, auch im Ox waren schon Anzeigen aus dem Hause Universal zu finden, aber an eine Band, die wie T(I)NC mit einem massiven und radikalen politischen Anspruch antritt, muss man schon die Fragen richten dürfen, ob und warum das nötig war - mehr dazu im Interview im nächsten Heft.
Und nein, das sind keine kleinkarierten Meckereien, das ist substantielle Kritik. Die muss man auch an so mancher Aussage des Infosheets der Plattenfirma erheben, welches ja wohl von der Band abgesegnet wurde: "Never before has there been a band that combines well-written, catchy songs with such radical politics as T(I)NC, they unite passion and politics in a highly explosive mix of catchy songs, full volume, dancing, sexuality, fashion, street fighting, sweat and live shows that would make most bands reconsider their reason for playing music." Ui, da gibt's also das volle Programm.
Und nur zwei kleine Gegenfragen: Wo sind bei T(I)NC-Shows die Straßenkämpfe ("street fighting"), außer wenn sich Fans bei ausverkauften Konzerten um die letzten Schwarzmarkttickets streiten? Und in Sachen "radikalste Band der Musikgeschichte": Wie wär's mit MC5? Die wurden wirklich vom FBI verfolgt und wegen ihrer Verbindungen zu den Black Panthers (und Drogengeschichten...) eingeknastet, als Staatsfeinde angesehen.
Wären T(I)NC auch nur einen Bruchteil so radikal, wie hier behauptet wird, wäre ihnen in den letzten Jahren unter den neuen paranoiden Gesetzen zur "homeland security" garantiert nicht die Einreise in die USA gestattet worden - in einem Land, in dem vom FBI schon katholischen Nonnen, die an Friedensdemonstrationen teilgenommen haben, die Reise via Flugzeug aus Sicherheitsgründen verweigert wird.
So, genug nun des Gemeckers und zu einer sehr schönen Platte, die T(I)NC da aufgenommen haben. Wer Befürchtungen hatte, Rubins Einfluss könnte aus den Schweden einen dick produzierten, mainstreamigen Rock-Act gemacht haben, kann sich wieder beruhigt zurücklehnen: Entwarnung.
Die zehn Songs auf "Armed Love" (zwei weitere werden auf der ersten Single "Black Mask" veröffentlicht) sind zwar eine Weiterentwicklung des letzten Albums, und speziell die Orgel, gespielt von Billy Preston (der mit so vielen Weltstars gespielt hat, dass man die gar nicht aufzählen kann, inklusive der BEATLES), setzt sehr interessante Akzente, doch ansonsten sind Dennis Lyxzén und Co.
ihrem geschätzten groovy Rock'n'Roll mit Einflüssen aus Punk, Sixties-Garage, Power-Pop, Soul und R&B treu geblieben. Die Platte groovet, reißt mit, "The dream is over" ist ein echter, supercatchy Hit, der meiner Meinung nach den auch nicht gerade massenunkompatiblen Klopper "Black Mask Pt II" noch toppt.
Und immer wieder diese unglaublich geilen Orgelparts - good job, Mr. Preston. Musikalisch ist es T(I)NC auf jeden Fall gelungen, sich selbst treu zu bleiben, nicht vom eingeschlagenen Kurs abzuweichen und eine Platte zu machen, die nicht wirklich besser oder anders klingt als viele andere aus diesem immer noch recht angesagten garagigen Umfeld auch, aber den Vorteil hat, dass sie einfach eine Vielzahl von Leuten mehr erreicht.
Und in einer Welt, in der BLINK 182 als "Punk" durchgehen können, ist man schon irgendwie froh, dass da dann auch - bei aller Kritik - mal eine von "unseren" Bands oben mitmischt, die allen Widersprüchen zum Trotz wichtige Inhalte vermittelt.
So, das wurde nun also eine sehr lange Rezension, musste aber alles mal gesagt werden. Das Album ist ab 12. Juli zu haben. Guten Abend. (08/10)
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #39 Juni/Juli/August 2000 und Melanie Schmidt
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #45 Dezember 2001/Januar/Februar 2002 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #56 September/Oktober/November 2004 und Lauri Wessel
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #81 Dezember 2008/Januar 2009 und Lauri Wessel
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #44 September/Oktober/November 2001 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #55 Juni/Juli/August 2004 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #51 Juni/Juli/August 2003 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #38 März/April/Mai 2000 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #81 Dezember 2008/Januar 2009 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #48 September/Oktober/November 2002 und Thomas Hähnel
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #50 März/April/Mai 2003 und Joachim Hiller