BOYSETSFIRE sind der szeneprägende Zenit im musikalischen Schaffen von Nathan Gray. Jedoch konnte man den Frontmann niemals „nur“ auf die Postcore-Band reduzieren. Gray suchte immer noch andere Möglichkeiten, um seinen überschäumenden Drang nach musikalischem Ausdruck zu kanalisieren, siehe THE CASTING OUT, siehe THE NEW RECRUITS – und seit kurzem I AM HERESY, irgendwo zwischen Metal und Hardcore.
Nach der Auflösung von THE CASTING OUT, seinem neben BSF zweiten Standbein, suchte Gray neue Herausforderungen und fand diese in einem Bandprojekt mit seinem Sohn Simon sowie dem Sposs des Kollegen Joshua, Jonah Latsshaw.
Nach der geschichtsträchtigen Vorarbeit des Vaters ist dies nun möglicherweise der Generationenwechsel – eine Art Stabübergabe. Das im Februar erschienene selbstbetitelte Debütalbum ist ein ambitioniertes Werk, das sich am Spagat zwischen hochgradig technischen und modernen Metal-Passagen, Oldschool-Hardcore und experimentellen wie balladesken Versatzstücken versucht.
Auf das kompromisslose „The sycophant“ folgt das klavierunterlegte „Prince of the flies“, ein an Melodramatik schwer zu toppendes Interlude mit warmherzigem, femininem Gesang – die Ruhe vor dem nächsten apokalyptischen Sturm.
Doch nicht nur so wird das erbarmungslose Monstrum gebändigt. Immer wieder findet sich neben den Shouts und tiefen, dezenten Growls auch cleaner Gesang, wie in dem relativ straighten und melodischen „Seven wolves and the daughters of the apocalypse“.
Nach dem nächsten Höllenritt und dem Titeltrack „I am heresy“ ist dann das akustische „Jesus doesn’t work here anymore“ eine erneute Bruchstelle – ein Song, der sich dennoch nahtlos ins komplexe und chaotische Gesamtbild einfügt.
Natürlich kann man Parallelen zu BSF ziehen. Gerade durch die charakteristische Stimme, die selbst in den Shout-Passagen noch Harmonie transportiert. Aber auch musikalisch hat man Anknüpfpunkte, besonders was die Anfangstage von BSF angeht, etwa mit Songs wie „The force majeure“ („After The Eulogy) oder „A far cry“ („Misery Index“).
I AM HERESY sind aber zweifellos jenseits der Bandvergangenheit ihres Frontmanns und kreativen Kopfs zur eigenständigen Band gereift. Ihr Album ist der gelungene Versuch, auf dem schmalen Grat von Genialität und Virtuosität zu balancieren – und das alles in einer Laufzeit von 28 kurzweiligen Minuten.
Auf die inhaltliche Relevanz ist ohnehin immer noch Verlass. Dieses Mal taucht Nathan tief ein in seine religiös geprägten Vergangenheit als Sohn eines Pastors und wettert gegen die gesellschaftliche Unfähigkeit, sich von autoritären Figuren und religiösen Ideen lossagen zu können.
Nach zwanzig Jahren in der Punk/Hardcore-Szene, in denen Nathan alles erreicht hat, ist es verblüffend, wie euphorisch er sein neues Bandprojekt angegangen ist. Das I AM HERESY-Debütalbum ist alles andere als ein „Alterswerk“, vielmehr ist die Band für Gray eine neue Herausforderung und eine gelungene Mischung aus den BSF-Anfangstagen, dem metallischen Hardcore der Neunziger und dem Sound aktueller Bands wie CONVERGE oder THE DILLINGER ESCAPE PLAN.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #107 April/Mai 2013 und Alex Schlage
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #112 Februar/März 2014 und Alex Schlage