Geschichten, die das Leben schreibt: Meine Mutter war zu Besuch, also legt man zum gepflegten Abendmahl nicht unbedingt Punkrock auf, sondern hübsche, ruhige Musik - es muss ja nicht immer Klassik sein.
Die Wahl fällt auf das neue, vierte Album von SIGUR RÓS, dem seit langem erwarteten Nachfolger des bereits vor drei Jahren veröffentlichten „Agaetis Byrjun", mit dem sie damals den Durchbruch schafften.
Also, man speist, im Hintergrund läuft dezent geschmackvolle Musik - und plötzliches Innehalten meiner Mutter, aufmerksames Horchen, und dann die einfach nicht zu toppende Frage, ob mit der Katze irgendwas nicht stimme.
Fragender Blick meinerseits, prüfender Blick auf die friedlich schlummernde Katze - und die Erkenntnis, dass meine Mutter tatsächlich den zugegeben manchmal etwas eigenwilligen Gesang von Jon Thor Birgisson als Katzenjammer gedeutet hat...
Nun, was will uns diese Geschichte sagen? Auf jeden Fall, dass SIGUR RÓS auch mit ihrem dritten Album noch eine ungewöhnliche Band sind und sie sich offenkundig nicht im geringsten von Ehrungen einerseits (die sie für den Vorgänger einheimsten) und Erwartungen andererseits haben unter Druck setzen lassen.
„Kommerziell" war der Island-Vierer sowieso noch nie, klassische Rock- oder Indie-Schemata greifen hier nicht, und so ist „( )" ein weiteres Album von einer der wenigen Bands, die völlig unbeirrt und unbeeindruckt von der Welt um sie herum ihr Ding durchziehen.
Viel von ihrer Eigenständigkeit hat was von Kauzigkeit, wobei ich mich frage, ob es angemessen ist, diese allein auf die gerne folkloristisch verbrämte Eigenartigkeit der isländischen Kultur zurückzuführen.
Um es dem Hörer dann auch nochmal schwerer zu machen, haben SIGUR RÓS darauf verzichtet Songtitel anzugeben, nicht mal einen „richtigen" Titel hat die Platte, der Bandname findet sich einzig auf einer Seite des auf mit Pflanzenmotiven bedruckten Transparentpapier-Booklets in Form der Web-Adresse „sigur-ros.com" - hier könnte man jetzt zu Ausführungen über die Internetisierung unserer Gesellschaft ansetzen, aber lassen wir das.
Auf der Website jedenfalls finden sich dann weitere Infos zum Album und ein Textgenerator. Das alles kommt genauso unprätentiös wie die Musik, wirkt nicht verkopft oder verkünstelt, sondern ist pures und passendes Understatement in einer Welt und einem Business voller Phrasen.
Und deshalb ist hier jetzt auch Schluss 8/10
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #49 Dezember 2002/Januar/Februar 2003 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #99 Dezember 2011/Januar 2012 und Thomas Kerpen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #110 Oktober/November 2013 und Michael Schramm
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #79 August/September 2008 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #154 Februar/März 2021 und Thomas Kerpen