STERNE-Videos machen vor allem eines: Spaß. Und das schon immer. Wo früher vielleicht eine gewisse Nervosität zu spüren war, da stellt sich heute eine entspanntere Haltung ein. Diese Entwicklung lässt sich nicht nur sehr schön an der Single-sammlung, sondern auch an den Musikvideos der beigelegten DVD ablesen.
Doch neben so einer Entwicklung des Formalen kontrastiert die wichtigste Konstante dieser Band umso deutlicher: sowohl in den Texten Frank Spilkers wie auch in den Videos der STERNE wird eine Realität dargestellt, die sich nicht gleich als allumfassende Wahrheit verkaufen will, weil die Prozesse der Meinungsbildung eben wandelbar sind.
"Fickt das System" verdeutlich genau das: Dummheit liegt in der Parole, die selbstgenügsam eben garnichts verändern kann, wenn sie zur stumpfen Ideologie wird. Das Poetische eines Lebens, in dem viel Politisches gedacht wurde, liegt hier vor mir, und ich entdecke das neu, was mich Anfang der neunziger Jahre sowohl begeistert als auch in den Wahnsinn trieb, da einiges wirklich Hirnfick ist, der aber nie abhebt, sondern immer durch die leicht zugängliche Sprache Frank Spilkers auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wird.
Das ist vielleicht ihre größte Leistung: Immer versuchend, eine Brücke zwischen politischer Poesie und einem Realismus der Lebensumstände zu schlagen, lassen DIE STERNE einen Sog entstehen, dem sich keiner entziehen kann.
Und nirgends sah die Realität so gut aus wie in den STERNE-Videos. Realität muss eben auch erstmal eine Inszenierung erfahren, bevor man sie auch als Realität wahrnimmt. Und da gibt es in den Clips so einige Tricks: So wird eben einfach mal für die Dauer eines Videos einfach nur eine Zigarette geraucht ("Fickt das System"), oder es wird mit "Unter Geiern" (einem Remix) ein Making Of des Videos nachgeliefert ("Trrrmer"), das noch am ehesten eine Spielhandlung aufweist, die allerdings so kryptisch angelegt ist, dass die erzählte Geschichte selber sich dem Zuschauer entzieht.
Ironisch werden Figuren vorgeführt, deren Künstlichkeit eine Programmatik beinhaltet, die den scheinbar sehr persönlichen Text kontrastiert und ihn dadurch umso stärker macht. Am schönsten sieht die (mitunter traurige) Realität aus, wenn in einem Video wie "In diesem Sinn" (dem aktuellen Musikvideo), Bilder gezeigt werden, die so ähnlich funktionieren wie Frank Spilkers Texte.
Jeder versteht diese Bilder vom Schul- und Kleinstadthorror und kann sie mit eigenen Erinnerungen verbinden, und doch sind sie als künstlich gekennzeichnet und deutlich für den Zweck der Produktion aufgestellt.
Wie bei Gemeinschaftsfotos von Schulkollegien und Fussballmannschaften werden hier "ganz normale" Menschen hingestellt, zwischen denen die Band ein natürliches Zuhause findet, indem sie sich in diese Art Fotos hineinspielt.
Das ist dann auch das Tolle an dieser wichtigsten deutschen Band nach den TON STEINE SCHERBEN, dass sie den Boden, auf den sie sich und mich immer wieder zurückholen, so gut aussehen lassen.
Sexy Realität. Danke dafür!
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #89 April/Mai 2010 und H.C. Roth
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