Ähnlich wie in der Literatur ist auch im Comic-Bereich der Anteil autobiografischer Auseinandersetzungen des Autors mit sich selbst sehr hoch, vor allem in der Kategorie „Graphic Novel“, die ja unterstreichen soll, dass es sich dabei nicht um profane Bildergeschichten handelt, sondern ein künstlerisches Werk mit literarischem Tiefgang.
David Small ist im Comic-Bereich zwar bisher ein unbeschriebenes Blatt gewesen, konnte sich aber als Illustrator, vor allem für Kinderbücher, bereits einen Namen machen. Der Untertitel von „Stiche“ lautet „Erinnerungen“ und macht damit noch mal deutlich, dass es sich hier tatsächlich um autobiografisches Material handelt.
Bei „Stiche“ würde man sich allerdings wünschen, dass hier nicht unbedingt alles auf realen Begebenheiten basiert, denn Smalls Kindheitserinnerungen muten manchmal wie die Hölle auf Erden an.
Vor allem in Bezug auf seine Mutter, die offenbar mit dem Herzen auf der falschen Seite ihres Brustkorbs geboren wurde (und das nicht nur im symbolischen Sinne) und Zeit ihres Lebens ihre Zuneigung zum eigenen Geschlecht verheimlichen und unterdrücken musste.
In diesem emotional unterkühlten, frustrierenden Klima wurde klein David dann auch noch Opfer der Röntgen-Leidenschaft seines Vater, eines angesehenen Radiologen, die ihm Kehlkopfkrebs einbrachte, und was ihm in jungen Jahren fast das Leben gekostet hätte.
Für Small, der den Leser auf sehr intime und bewegende Weise an seiner zerrütteten Gefühlswelt teilhaben lässt, war „Stiche“ hoffentlich eine hilfreiche kathartische Erfahrung. Er hat die Erlebnisse eines verängstigten und verunsicherten Jungen in sehr schöne, aquarellierte Zeichnungen umgesetzt, bei denen immer wieder subtil die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit verschwimmt.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #101 April/Mai 2012 und Thomas Kerpen