Die Karriere des Iren Neil Jordan war immer eine recht durchwachsene Angelegenheit, das gilt besonders für seine Versuche, im Mainstream Fuß zu fassen wie bei HIGH SPIRITS, INTERVIEW WITH THE VAMPIRE oder dem komplett unerträglichen THE END OF THE AFFAIR.
Aber schon sein letzter Film THE GOOD THIEF war gar nicht mal übel und bei seinem neusten, BREAKFAST ON PLUTO, schließt Jordan in gewisser Weise an seine Frühwerke wie THE CRYING GAME oder MONA LISA an.
Wie bereits bei seinem 1996er Film THE BUTCHER BOY stammt die Vorlage erneut vom irischen Autor Patrick McCabe, wo es ähnlich wie in THE CRYING GAME um sexuelle Identitätsfindung vor der Kulisse des blutigen Irland-Konfliktes in den 60er und 70er Jahren geht.
Politik spielt aber nur am Rande eine Rolle, es geht um die fast märchenhafte Odyssee eines transsexuellen jungen Mannes namens Patrick „Kitten“ Braden, der sich schon immer in Frauenkleidern wohler fühlte, durch diese Zeit, auf der Suche nach der eigenen Identität und seiner verschollenen Mutter, die diesen Sohn einer Affäre mit einem Priester zu verdanken hatte.
„Kitten“ wird wundervoll sympathisch von Cillian Murphy verkörpert (der gerade auch in Ken Loachs THE WIND THAT SHAKES THE BARLEY zu sehen ist), dem es trotz eines gewissen Overactings immer gelingt, nicht in die tuntige Überdrehtheit eines Films wie EIN KÄFIG VOLLER NARREN abzudriften.
Anders als bei THE CRYING GAME kommt die dem Thema innewohnende mysteriöse Sexualität der Hauptfigur im Kontext der harten politischen und gesellschaftlichen Realität wesentlich leichtfüßiger und weniger ernsthaft daher.
Aber auch BREAKFAST ON PLUTO hat seine dramatischen Szenen, wenn Menschen in einem Club oder auf der Straße von Bomben der IRA zerfetzt werden und sich „Kitten“ in der großen, fremden Stadt London behaupten muss und beinahe von Roxy Music-Sänger Bryan Ferry im Auto vergewaltigt wird.
Eine Abfolge mal mehr mal weniger bizarrer Begegnungen, wo natürlich auch Stephen Rea nicht fehlen darf, der auf Jordans ständiger Besetzungsliste steht. Mit BREAKFAST ON PLUTO ist Jordan ein vielschichtiger, fantasievoller Film gelungen, der die an sich recht traurige Geschichte seiner skurrilen, leicht verrückten Hauptfigur, der fast etwas heiliges anhaftet, in äußerst verspielter Form umsetzt, aber trotz eines recht plakativen Soundtracks nicht den Fehler begeht, zu einer dieser nostalgisch verklärten Zeitreisen zu werden.
„If I wasn’t a transvestite terrorist, would you marry me?“ fragt „Kitten“/Murphy irgendwann schwer mitgenommen durch ein Verhör wegen eines Bombenanschlags einen Polizisten und als Zuschauer kann man diese Frage eigentlich nur mit „Ja, auf der Stelle“ beantworten.
Kanada 2005, Concorde
Auch in Jean-Marc Vallées C.R.A.Z.Y.
geht es um die sexuelle Identitätsfindung eines jungen Mannes, was der mit einer bisher eher uninteressanten Filmografie gesegnete Kanadier in eine mitreißende „Coming of age“-Story verpackt hat.
Eine drei Jahrzehnte umspannende Familiengeschichte, in dessen Mittelpunkt der am 25. Dezember 1960 geborene Zac steht, als einer von fünf Brüdern der Beaulieus aus Quebec, und die von dem Konflikt zwischen dem sensiblen wie sexuell verwirrten Jungen und seinem an sich wohlwollenden, aber konservativen Vater mit seinen starren Vorstellungen bezüglich bestimmter Geschlechterrollen bestimmt wird, für den es eine Katastrophe darstellt, als sein Sohn sich offenbar nicht nur für Frauen interessiert.
Im Gegensatz zu „Kitten“ aus Jordans Film ist Zac aber ein normaler Teenager, der mit den üblichen Problemen eines Heranwachsenden zu kämpfen hat, wozu klassische familiäre Konflikte zwischen Eltern und Kindern bzw.
den Brüdern untereinander kommen. Eigentlich haben sich alle ja auch ganz doll lieb, weshalb C.R.A.Z.Y. auch auf ein etwas mainstreamiges Happy End mit leichten Schrammen hinausläuft. Das macht aber nichts, denn Vallée gelingt über gut 120 Minuten eine thematisch wie visuell originelle Familienchronik voller poetischer Schönheit, eingebettet in das zeitliche Kolorit der 60er, 70er und 80er, die zwar grundsätzlich realistisch gehalten ist, aber auch ihre mystischen wie fantastischen Momente besitzt und bei der Drama und Komödie ebenfalls gleichberechtigt nebeneinander existieren.
Der grundsätzliche Irrsinn der menschlichen Existenz erfährt hier eine lebensnahe Aufarbeitung, zwischen der stimmungsvoll eingesetzten Musik von Patsy Cline, PINK FLOYD, David Bowie und Charles Aznavour.
Quasi ein Film für die ganze Familie, der dabei aber die unangenehmen Klischees vergleichbarer amerikanischer Produktionen vermeidet.
USA 2003, Arsenal
Jonathan Caouettes Herangehensweise an seine individuelle Familiengeschichte in seinem Film TARNATION dürfte man in dieser Form allerdings noch nicht gesehen haben, womit er auch in gewisser Weise den Rahmen einer normalen Dokumentation sprengt.
Der 33-jährige Caouette, der sein Leben bereits seit dem elften Lebensjahr dokumentiert, entwirft hier eine teilweise psychedelisch anmutende, experimentelle Collage aus Super-8- und Video-Filmmaterial, Anrufbeantworternachrichten und Photos, aus der inmitten von Popkultur-Referenzen das emotional ergreifende Bild einer disfunktionalen Familie entsteht, geprägt von Geisteskrankheiten und Missbrauch.
TARNATION ist eine verstörende Identitätssuche, bei der Caouette seine eigene Kindheit und seine Homosexualität aufarbeitet, ebenso wie das Verhältnis zu seiner Mutter Renee, die in jungen Jahren einer zweijährigen psychiatrischen Behandlung inklusive Schocktherapie aufgrund einer diagnostizierten Geisteskrankheit ausgesetzt wurde, von der sie sich nie wieder richtig erholt hatte.
Dazu kam 2003 dann eine Lithium-Überdosis, die ihre Gesundheit weiter schädigte, was für Caouette den Ausschlag gab, diesen Film zu machen. TARNATION ist dabei vor allem eine Form von Katharsis für den Filmemacher, ebenso wie eine Art Denkmal, das er seiner schönen wie bedauernswerten Mutter setzen wollte, zu der er erst sehr spät ein wirkliches Verhältnis entwickeln konnte.
Kein wirklich unterhaltsamer Film, der es dem Zuschauer nicht immer leicht macht, Tatsachen von Vermutungen zu unterscheiden, denn vieles in Caouettes Biografie und in der seiner Mutter bleibt letztendlich so mysteriös, wie es auch der unorthodoxe Inszenierungsstil von TARNATION ist, der einen über 90 Minuten auf einen faszinierenden, aber nicht einfach zu verdauenden Trip (mit einem der schönsten Indierock-Soundtracks der letzten zehn Jahre) schickt, den man wirklich schlecht in Worte fassen kann – seing is believing!
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #70 Februar/März 2007 und Thomas Kerpen