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MOBY DICK

Bill Sinkiewicz

Vielleicht gehört Herman Melvilles Roman „Moby Dick“ zu den meist unterschätzten oder – wahlweise – den am häufigsten missverstandenen Werken der Literatur. Denn die von ihm erzählte Geschichte des Walfängers und Schiffskapitäns Ahab und dessen verbissenem Kampf gegen den weißen Wal ist nur der Kern des Romans, das dramaturgische Skelett, an dem so viel mehr inhaltliches, symbolisches, metaphysisches Fleisch hängt. Nicht nur ist „Moby Dick“ eine Schilderung des recht kargen, wilden und mitunter archaischen Lebens an der Küste und auf See im 19. Jahrhundert sowie ein in weiten Zügen sogar technischer und naturwissenschaftlicher Wälzer, in dem es um den Walfang als Handwerk geht. „Moby Dick“ ist auch und vor allem eine intensive tiefenpsychologische Studie über die Besessenheit und Vermessenheit des Menschen. Ahab jagt derart irrsinnig und weltvergessen dem Wal hinterher, dass er am Ende sich selbst als Herr über Leben und Tod sieht, sich der sinn- und besinnungslosen Gewalt, dem Blutrausch und dem Wahnsinn hingibt. Und genau an dieser Stelle kommt Bill Sinkiewicz’ Comic ins Spiel. Denn der konzentriert sich visuell auf genau diesen psychologischen Aspekt. Die nicht in Sprechblasen verpackten, sondern in Kästen gesetzten Auszüge aus dem Romantext stehen Bildern begleitend zur Seite, die in ihrer düsteren und abgründigen Wucht eher ein Seelendrama visualisieren, als dass sie eine Geschichte erzählten. Die Figuren des Romans – allen voran Ahab – sind oft nur als Silhouetten und als halb im Dunkel verborgene Fratzen erkennbar. Die Bildhintergründe gemahnen an abstrakte Aquarelle. Dieser hervorragende Comic aus dem Splitter-Verlag ist viel mehr Kunst und verbildlichte Psychoanalyse denn schnöde Unterhaltung.