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NEGATIV-DEKADENT

Anne Hahn, Frank Willmann (Hg.)

Was Punk in der DDR war oder für die in der Szene Aktiven alles sein konnte, dem konnten sich interessierte Leser:innen in den letzten Jahren dank einer recht großen Zahl von einschlägigen, zumeist autobiografischen Publikationen annähern. Und so brilliert auch „negativ-dekadent“ durch eine Vielzahl autobiografischer Reflexionen und Anekdoten von Menschen, die den Punk in der DDR zwischen 1980 und 1990 lebten. Die Herausgeber:innen und Co-Autor:innen Anne Hahn und Frank Willmann versammeln in dem spannend kompilierten Band fast fünfzig Texte von mehr als dreißig Autor:innen, darunter Geralf Pochop, Cornelia Schleime, Jan Off und Alexander Pehlemann. Die ganz überwiegend sehr gelungenen Kurztexte von maximal sechs bis acht Seiten Umfang eröffnen sehr unterschiedliche Perspektiven auf den DDR-Punk vor allem in der ersten Hälfte der Achtziger Jahre, wodurch allerdings auch eine gewisse Unausgewogenheit in der Betrachtung entsteht. Die Einträge wurden von wenigen Ausnahmen abgesehen eigens für diesen Band abgefasst, so dass auch Kenner:innen der Materie Neues erfahren werden. Einsteiger:innen ins Thema könnten hingegen von der Flut der Erinnerungen überwältigt werden. Gut, dass es sich um Kurzprosa handelt, die auch portionsweise genossen funktioniert. Den Autor:innen wurden offenbar keine inhaltlichen Beschränkungen auferlegt. Dadurch wirken die Texte authentisch, berührend intim und auch mal verstörend. Insgesamt vermittelt der Band Impressionen einer facettenreichen, lebendigen Gegenkultur zum autoritären Staatsozialismus, deren einstige kulturellen Praktiken inzwischen ebenso Geschichte geworden sind wie der Staat, der sie hervorbrachte.