A PLACE TO BURY STRANGERS

Transfixiation

„APTBS fingen für ihre Verhältnisse leise an, steigerten ihre THE JESUS AND MARY CHAIN-Anbetung dann so extrem, dass die db-Messungs-App zum Schluss dauerhaft 110 db anzeigte. Ein brachiales, kathartisches Erlebnis – hinterher musste man durchatmen.“ Das schrieb ich im Sommer 2013 über das A PLACE TO BURY STRANGERS-Konzert in Köln.

„Muss das so laut sein?“, kann man da fragen, und ich beantworte diese Frage mit einem klaren „Ja!“. Musik will ich körperlich erfahren, ich will, dass mir die Hosenbeine flattern, dass die EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN-Textzeile „Hören mit Schmerzen“ zutrifft.

Ich liebe Platten und Konzerte, die einen anstrengen wie Sport, die einen körperlich und psychisch an seine Grenzen treiben. Rausgehen oder nicht? Leisermachen, ausmachen, oder nicht? Nein, durchhalten, dann durchatmen, erschöpft und glücklich.

CONVERGE machen das mit mir, NAPALM DEATH, A PLACE TO BURY STRANGERS – nicht anders muss sich die 63-jährige Lehrerin Annie Edson Taylor gefühlt haben, nachdem sie sich 1901 in einer Tonne die Niagarafälle hinabgestürzt und überlebt hatte.

„No one ought ever do that again“, sagte sie, nachvollziehbar. Zum Glück ist extremer Musikgenuß ein etwas kalkulierbareres Risiko, zudem mit professionellem Hörschutz, und entsprechend ad libitum wiederholbar.

Dass es auch fordernd ist, solche Musik zu machen, musste die aus Brooklyn, NY stammende auf dem Weg zum vierten Album feststellen, dem Nachfolger von „Worship“ (2012): das auf den Release folgende zweijährige Dauertouren ging in Studiosessions über, Bandboss Oliver Ackermann (der unter dem Firmennamen Death By Audio Gitarreneffektgerät entwickelt und verkauft), Dion Lunadon und Robi Gonzalez stießen aber bald an ihre Grenzen, kamen trotz guter Songs nicht weiter, körperliche Grenzen waren erreicht.

Reset. Zwei Monate später ein neuer Versuch, es passte wieder. Das Ergebnis ist ein weiteres brachiales Meisterwerk einer Band, die nie auf Nummer sicher geht. Radiotauglich? Unter keinen Umständen.

Alles hier ist übersteuert, Drums, Bass, Gitarre, Gesang. Feedbacks, Piepen, Pfeifen, Rauschen, unkontrolliertes Wummern, Rückkoppeln – Musik ist hier so „out of control“, wie Rock’n’Roll per Definition immer sein müsste, ja, muss! Womit wir wieder bei SUICIDE sind, die oft und zu Recht als Vergleich herangezogen werden, die diesen wilden Absturzsound, der was von einem Soundtrack zu einem Hubert Selby-Buch hat, schon vor vierzig Jahren zelebrierten.

Oder THE JESUS AND MARY CHAIN vom „Never understand“-Brutalhit ihres 1985er Debüts „Psychocandy“, VELVET UNDERGROUND und „European son“. SONIC YOUTH. Noise for the sake of noise. Die elf Songs auf „Transfixiation“ zeigen APTBS abwechslungsreicher, vielfältiger als bisher, und ich fiebere schon der Tour im April entgegen.