A PLACE TO BURY STRANGERS

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Noise for the sake of noise

Ich liebe Live-Erlebnisse von kathartischer Intensität. NAPALM DEATH oder CONVERGE können so was mit einem machen, und auch A PLACE TO BURY STRANGERS aus Brooklyn, New York. Ihre Alben – das titellose Debüt von 2007 und „Exploding Head“ (Mute) von 2009 – sowie fünf EPs zeigen, dass die Band auf den Spuren von THE JESUS & MARY CHAIN und MY BLOODY VALENTINE dem Shoegazer-Noise-Exzess frönt, doch live ist so was immer noch mal ein ganz anderes Erlebnis. Und so gab’s im Herbst 2009 in Köln blutige Ohren, als Oliver Ackermann (guitar/vocals), Jono MOFO (bass) und Jay Space (drums) mit massivem Stroboskoplicht- und Kunstnebeleinsatz zum akustischen Overkill aufspielten. Das Publikum war beeindruckt, erfüllte das New Yorker Trio doch den alten EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN-Slogan „Hör mit Schmerzen“ mit neuem Leben. Ich sprach mit Oliver über seine Band, Lärm als Kunst und seine Firma Death By Audio, die Gitarren-Effektgeräte herstellt, die auf Namen wie „Supersonic Fuzz Gun“ oder „Total Sonic Annihilation“ hören.

Oliver, welche Fragen werden dir in Deutschland am meisten gestellt?

Die, ob wir wirklich die lauteste Band sind. Und ob ich ursprünglich aus Deutschland komme.

Und?

Ja, ich habe Deutsche in der Familie, das heißt, der Name ist aus der Deutschschweiz. Aber ich spreche kein Deutsch.

Eine andere sehr nahe liegende Frage ist die, ob der Vergleich mit THE JESUS & MARY CHAIN in eurem Fall wirklich auch euren Einflüssen entspricht.

Als ich anfing, Gitarre zu spielen, waren es tatsächlich Bands wie THE JESUS & MARY CHAIN, THE CURE und MY BLOODY VALENTINE, die mich beeindruckten durch ihre Art, mit Gitarren solch verrückten Lärm zu erzeugen. Und ab da entwickelte das seine Eigendynamik, ich entdeckte, wie schön Noise sein kann. Später fing ich dann an, Effektgeräte für Gitarren zu bauen, lernte andere Noise-Bands kennen, und zusammen mit meiner anderen Leidenschaft, nämlich der für frühe Pop-Musik, entstand in der Kombination von etwas Schönem wie einem Pop-Song mit richtig verrücktem Noise die Musik meiner eigenen Band. Ich finde, wir machen schon etwas anderes als das, was THE JESUS & MARY CHAIN gemacht haben, aber wir setzen auch verschiedene Schichten von Lärm ein, um daraus ganze Noise-Wände zu schaffen. Bei solcher Musik ist es aber ja auch einfach schwer zu ergründen, was da gerade passiert: Was machen THE JESUS & MARY CHAIN da bei „Psychocandy“ eigentlich? Zerstören die da ihre Gitarren, werden die mit Bohrmaschinen bearbeitet, oder haben sie Motorradgeräusche aufgenommen? Was immer es ist, es bringt dich als Zuhörer dazu, dir Gedanken zu machen, deine eigenen Vorstellungen zu entwickeln, was du da gerade hörst. Dadurch hat bei solcher Musik jeder seine ganz eigenen Ideen, und das finde ich viel reizvoller, mysteriöser und spannender, als immer genau zu wissen, was da gerade vor sich geht. Man kann das auch mit einem guten Buch vergleichen, bei dem man sich selbst ausmalt, wie die Geschichte sich gestaltet, im Gegensatz zu einem Film, wo man einfach nur die Bilder sieht und bereits alles genau festgelegt ist. Musik, die man weder sehen noch anfassen kann, ist deshalb für mich das beste psychedelische Medium, ist sie doch dazu in der Lage, Gefühle und Bilder in deinem Kopf hervorzurufen, die du selbst, auf dich alleine gestellt, nicht hättest erschaffen können. Und deshalb mag ich diese Art von Musik so sehr.

Du hast eben bereits den Reiz des Gegensatzes von süßen Melodien einerseits und brachialem Gitarrenlärm andererseits erwähnt ...

Widersprüche und Gegensätze finde ich sehr reizvoll. Pop-Melodien sind immer eine gute Methode, eine Basis für einen Song zu schaffen – wenn du den auch auf einer akustischen Gitarre spielen kannst, funktioniert er immer und hat eine andere Wertigkeit als nur Lärm um des Lärmes willen zu machen. Ein ähnlich großartiger Gegensatz sind Situationen, in denen du zum einen lachen musst, dir aber vor Angst auch beinahe in die Hosen machst. Solch extreme Emotionen finde ich künstlerisch sehr reizvoll, und David Lynch etwa ist ein Meister solcher Situationen: Er zeichnet optisch wunderschöne Situationen, in denen etwas furchtbar Böses geschieht.

Auf Kunst mit solchen Gegensätzen muss man sich aber einlassen. Viele Menschen wollen nicht einen Lynch-Film sehen, sondern eine harmlose Komödie, und statt Musik wie eurer wollen sie lieber süße Pop-Songs.

Ja, aber manche Menschen haben einfach keine Lust darauf, ständig nur mit solchem Mist gefüttert zu werden, die wollen Input, der sie herausfordert. Ich denke, das sind Menschen, die sich für Kunst aller Art interessieren, bei der nicht sofort erkennbar ist, was da gerade passiert, sondern die Nachdenken erfordert. Menschen, die bereit sind, sich auf Kunst einzulassen, auch wenn die vordergründig unangenehm ist und Schmerzen verursacht – Menschen, die die Gefahr suchen und zu Experimenten bereit sind.

Solche Kunst hat aber auch einen gewissen selbstzerstörerischen Charakter, ja einen sado-masochistischen Beigeschmack.

Natürlich. Unsere Konzerte sind sehr laut, das muss man erstmal ertragen wollen. Und unsere Lichteffekte sind extrem, davon wird auch mal jemandem schlecht, aber so ist es das eben, wenn extreme Freude und extremer Schmerz nahe beieinander liegen. Genauso wie wenn dir jemand das Herz bricht: Das ist nicht schön, aber es ist ein sehr starkes Gefühl, das dich verändert, und hinterher bist du stärker als zuvor.

Und zu jeder Situation gibt es die passende Musik.

Ja, jede Musik hat ihre Zeit, und man muss sich entscheiden, wie intensiv man es gerne hätte. Manche Musik wird mit dem Ziel gemacht, so verstörend wie nur möglich zu sein, und der Trick ist, die Achterbahnfahrt, die Musik auch darstellen kann, so reizvoll zu gestalten, dass der Zuhörer immer wieder mitfahren will. Es ist eben alles eine Frage der richtigen Balance.

Wo auf einer Skala von 1 bis 10 – 10 ist das Extremste – würdest du eure Musik einordnen?

Schwer zu sagen. Für mich ist unsere Musik ja überhaupt nicht extrem oder verstörend, aber für Außenstehende ist es wohl eine 10.

Ihr kommt aus Brooklyn, und mir scheint es, als gebe es da gerade mit Bands wie euch, THE PAINS OF BEING PURE AT HEART und den CRYSTAL STILTS eine kleine Szene für Musik auf den Spuren von THE JESUS & MARY CHAIN und MY BLOODY VALENTINE. Korrekte Annahme oder Fehlinterpretation?

Ehrlich gesagt, kenne ich THE PAINS OF BEING PURE AT HEART so gut wie gar nicht, von daher ist es eine zufällige Ähnlichkeit. Und was unsere Musik betrifft, so ist die fast ohne Zutun von außen entstanden. Wir sind mit vielen anderen Bands befreundet, aber das ist wirkliche eine Sache der Freundschaft und nicht der musikalischen Beeinflussung oder Ähnlichkeit. Außerdem ist Brooklyn echt riesig, da gibt es unzählige Bands aus allen Stilrichtungen. Und die Bands, die mich beeinflussen, sind welche, die musikalisch meiner gar nicht ähnlich sind, mit denen wir zusammen Konzerte spielen und abhängen, etwa COIN UNDER A TONGUE, READING RAINBOW, EX-MODELS oder JAPANTHER.

Vor THE JESUS & MARY CHAIN waren SONIC YOUTH, und davor waren VELVET UNDERGROUND – alles Bands, die auf ihre Art extrem waren. Aber damals gab es noch nicht die gigantische Auswahl an Effektgeräten wie heute, da musste man als Musiker echte Pionierarbeit leisten, um solchen Lärm zu erzeugen. Heutzutage geht man als Gitarrist ins Internet und bestellt sich auf der Website deiner Firma Death By Audio ein entsprechendes Gerät, das auf den Namen „Supersonic Fuzz Gun“ oder „Total Sonic Annihilation“ hört. Heute ist es also viel einfacher, solchen Lärm zu erzeugen als 1979 oder 1969 – oder?

Klar, es ist heute viel einfacher, gerade auch auf dem Computer. Da kann jeder experimentieren und auch noch gleich selbst aufnehmen. Das hat den Vorteil, dass man sich als Musiker auch noch auf Aspekte jenseits der eigentlichen Geräuscherzeugung konzentrieren kann. Und so kommen viele Elemente zusammen, es entsteht etwas Neues, Einzigartiges. Außerdem gibt es heute auch so viel mehr Leute, die sich für solche Musik interessieren, so dass da von ganz allein neue Wege beschritten werden. Es ist also sicher heute einfacher, Gitarre mit sehr viel Feedback zu spielen, aber etwas wirklich Neues zu schaffen, in ganz neue Bereiche vorzustoßen, ist immer noch interessant und spannend. Und unsere Konzerte beispielsweise haben Momente, in denen nicht vorher festgelegt ist, was wir da machen. Bei voll aufgedrehten Verstärkern gibt es da also immer Situationen, wo sich rein zufällig neue Sounds ergeben, die von ganz alleine aus deiner Gitarre kommen. Man muss also einfach ein Ohr für neue Erfahrungen und Klänge haben, dann bleibt es spannend. Also ja, es ist heute einfacher, solche Musik zu machen, aber dafür kommen andere Aspekte ins Spiel, die Musikmachen genauso spannend und neu machen wie damals.

Wie kamst du dazu, unter dem Namen Death By Audio selbst Effektpedale herzustellen?

Ich habe mir das alles selbst beigebracht und es dauerte Jahre und ich musste viele Bücher lesen, bis meine Konstruktionen mal vernünftig funktioniert haben. Die eigentliche Idee wurde aus der Not heraus geboren, mit meiner Freundin in Europa Urlaub machen zu wollen, aber kein Geld zu haben. Die Abreise war nur noch ein paar Wochen entfernt, einen Job hatte ich auch nicht, und so kam mir die Idee, ein Pedal unter dem Namen „Total Sonic Annihilation“ auf den Markt zu bringen. Meine Idee ging auf, und ich hatte genug Geld, um nach Europa zu fliegen. Nach dem Urlaub war das Interesse noch größer, und ich nahm auch verstärkt Aufträge von Musikern an, für die ich nach deren Ideen neue Effektgeräte baue. Meist ist da erst die Idee, und ich habe keine Ahnung, wie ich das umsetzen soll, doch irgendwie schaffe ich das dann doch, auch wenn es mal wieder Monate dauert, viel länger als versprochen, während meine Auftraggeber immer wütender auf mich werden.

Wie gehst du an so ein Projekt heran?

Es gibt da so eine Art Steckbrett, da kannst du die einzelnen Komponenten reinstecken und ausprobieren, was passiert. Und man muss natürlich ein grundsätzliches Wissen haben. Aber es gibt immer wieder Überraschungen und Entdeckungen, man muss sich ständig in die Anleitungen neuer Mikrochips reinlesen, neue technische Entwicklungen verfolgen und dann probieren, was man daraus bauen kann. Und manchmal klappt das und das Ergebnis ist großartig, und manchmal wird nichts daraus.

Und so entstand „Total Sonic Annihilation“.

Ja, das Ding macht auch wirklich verrückte Geräusche – zu verrückt für mich, bei A PLACE TO BURY STRANGERS verwende ich das gar nicht. Dafür stehen Jamie Stewart von XIU XIU und Thurston Moore von SONIC YOUTH darauf. Andere meiner Pedals habe ich für Trent Raznor von NINE INCH NAILS gebaut, oder für Brian Chippendale von LIGHTNING BOLT. Meist bestellen die Leute aber einfach auf unserer Website und ich finde oft erst im Nachhinein heraus, wer damit spielt.

Verkauft ihr davon Dutzende, Hunderte, Tausende?

Insgesamt haben wir schon Tausende verkauft, und ich schätze, im Schnitt gehen bei uns zwei Bestellungen pro Tag ein.

Und die werden in China hergestellt.

Nein, wir haben Leute aus Brooklyn, die für uns arbeiten und die Geräte zusammenbauen. Ich designe sie, und Freunde, die Ingenieure sind, stellen sie her. Als die Wirtschaftslage in den USA immer mieser wurde, habe ich versucht, möglichst vielen Freunden zu helfen, indem ich ihnen einen Job gebe. Außerdem bin ich seit zwei Jahren ständig mit meiner Band unterwegs, da habe ich nur zwischendurch kurz Zeit, um mich um die Firma zu kümmern.

Es läuft also auch mit der Band richtig gut.

Ja, seit dem Erscheinen des ersten Albums 2007 war ich am Stück höchstens mal zwei Monate zu Hause – das war die Zeit, in der wir das zweite Album aufgenommen haben.

Dafür seid ihr in Deutschland aber noch recht unbekannt.

Ja, das hat erst mit dem zweiten Album angezogen. Wir wissen, dass wir viel touren müssen, um die Leute zu erreichen, und deshalb nutzen wir jede Gelegenheit. Es ist schwer für Bands, sich einen Namen zu machen, aber ich reise und toure gerne, und so haben wir uns schon einen ganz guten Ruf erspielt. In Amsterdam haben wir neulich vor 2.000 Leuten gespielt, in Paris kamen 600, in London auch, aber manchmal sind es auch nur 100 oder 200. Letztlich bin ich immer wieder überrascht, dass überhaupt Leute zu unseren Konzerten kommen.

Der Deal mit Mute hat sicher geholfen.

Die Leute von Mute in den USA hatten sich ein paar unserer Konzerte angeschaut, und ihnen gefiel wohl, was sie sahen und hörten. Wir sprachen dann noch mit ein paar anderen Labels, aber entschieden uns letztlich für Mute, weil wir da ein sehr gutes Gefühl haben. Die Leute bei Mute lieben Musik, sie machen ihren Job aus den richtigen Gründen, und deshalb will ich mit ihnen arbeiten. Das waren auch die Kriterien für die anderen Labels, auf denen wir waren – es mussten Menschen dahinterstecken, die Musik lieben. Bei Mute haben wir alle Freiheiten, die wir wollen, keiner redet uns rein, das ist uns wichtig. Und außerdem ist es natürlich angesichts der Vergangenheit des Labels eine Ehre, in einer Reihe mit all diesen großartigen Bands zu stehen.