ZIMMERMÄNNER

Foto© by Elliot Blunck

Rückblick mit Geschichtskorrektur

DIE ZIMMERMÄNNER wurden 1980 als SKAFIGHTER von Timo Blunck und Detlef Diederichsen in Hamburg gegründet und kurz darauf um Christian Kellersmann erweitert. Sie begannen als Schülerband und wurden zu Beginn von der aus England herüber schwappenden Ska-Welle mit THE SPECIALS, MADNESS infiziert, um bald darauf dem britischen Pop der Prägung HAIRCUT 100 oder ORANGE JUICE zu verfallen. Der 2022 verstorbene Musikjournalist Kristof Schreuf schrieb anlässlich ihres Best-Of-Albums „Goldene Stunde“ über ihre Songs: „Aus ihren Liedern sollten Ernst, Pathos, vor allem ein durchdringender Endzeitduft herausdampfen.“ Mehr als vierzig Jahre nach ihrem pop-neuralgischen Debüt „1001 Wege Sex zu machen ohne daran Spaß zu haben“ (1981) ist das Trio nun mit dem neuen Album „Die Zimmermänner spielen Skafighter“ zurück. Detlef Diederichsen beantwortet uns einige Fragen.

Das neue DIE ZIMMERMÄNNER-Album vermittelt einen derart anachronistischen Charme, dass man denken könnte – absolut nicht negativ gemeint –, dass ihr die letzten vierzig Jahre in einer musikalischen Nische verbracht habt, in der ihr euch eigentlich auch ganz wohl fühlt. War es intendiert, am Sound der ZIMMERMÄNNER der frühen Achtziger Jahre anzuknüpfen?

Gerade weil wir uns die letzten vierzig Jahre nicht nur in einer, sondern in tausend Nischen herumgetrieben und dabei viel gelernt haben, kehren wir jetzt noch mal zu unseren Ursprüngen zurück. Es ist quasi als eine Art Rückblick mit Geschichtskorrektur gedacht – dabei ist uns natürlich bewusst, dass das völlig unmöglich ist. Aber Versuch macht klug.

Der Rolling Stone hat euch einmal als „eine der wichtigsten deutschen Bands der Achtziger Jahre“ bezeichnet. Wie glücklich ist man mit einer solchen Hervorhebung?
Das wusste ich gar nicht. Aber das ist ja nun auch nicht der ultimative Superlativ. Es ist jedenfalls nicht so, dass wir aus lauter Selbstrespekt oder aus Angst vor womöglich hohen Erwartungen einen Writer’s Block erleiden.

Dein Bandkollege Timo Blunck, der auch PALAIS SCHAUMBURG mitbegründet hat, hat 2021 sein zweites Buch mit dem Titel „Die Optimistin“ veröffentlicht. Seid ihr Optimisten und sind die Texte der ZIMMERMÄNNER optimistisch? Manchmal erwecken sie zumindest den Eindruck.
Ich weiß nicht, ob wir Optimisten sind, das hängt auch mit dem Standpunkt der Betrachtung zusammen, denke ich. Ich gelte mitunter als Spielverderber und Miesmacher, halte mich aber eher für einen Realisten. Dementsprechend sprühen meine Songtexte auch nicht gerade vor Optimismus und Frohsinn: In unserem allerersten veröffentlichten Song „Eva, Jürgen und Max“ sterben die genannten drei bei einem Autounfall, was mit der Zeile „... und alle Probleme sind gelöst“ kommentiert wird. Die Lösung aller Probleme könnte man als Happy End einer Geschichte interpretieren. In diesem Fall wäre das aber wohl eher zynisch.

Alfred Hilsberg, auf dessen Label Zick Zack ihr neben ABWÄRTS, PALAIS SCHAUMBURG, THE WIRTSCHAFTSWUNDER veröffentlicht habt, hat 1979 im Sounds, bezugnehmend auf die Entwicklung in UK, in seinem Artikel „Neue Deutsche Welle – Aus grauer Städte Mauern“ den Begriff NDW geboren, wobei er unter anderem auf DAF, ZK oder MALE eingeht. Habt ihr damals tatsächlich so etwas wie eine „revolutionäre Aufbruchsstimmung“ oder eine „neue Welle“ wahrgenommen?
Unbedingt! Endlich passierte was! Wie sehr habe ich mich als Teenager danach gesehnt, dass das graue Leben in den bundesrepublikanischen Vorstädten der Siebziger Jahre in Songpoesie reflektiert wird. Tatsächlich gab es damals vor allem das Bestreben, wie zweitklassige US-Rockbands zu klingen und auf Englisch darüber zu singen, wie man mit seinem „Baby“ den „lonely highway“ in einem „Lincoln Continental“ herunterdüst. Oder es gab den musikalisch völlig ambitionslosen, komplett unsexy Rumpelrock der Deutschrocker, oft garniert mit dem unerträglichen Bierfurz-Humor trüber Tresenhänger. Und dann kamen S.Y.P.H., MITTAGSPAUSE und KLEENEX und wie sie alle hießen – yeah!

Ihr hattet damals mit eurem Sound auch an Bands aus UK anknüpft, die nicht nur am Ska orientiert waren, sondern auch an Bands wie MONOCHROME SET, die ihr, glaube ich, auch gecovert habt, AZTEC CAMERA oder HAIRCUT 100. Habt ihr jemals Kontakt mit den britischen Bands dieser Zeit gehabt oder wart auf Tour mir ihnen?
Ich habe MONOCHROME SET 1982 für Sounds interviewt. Das war aber eher ernüchternd. Und als irgendeiner von denen unter dem Gewieher der Umstehenden anfing, sich die Salatblätter vom kalten Büffet in die offene Hose zu schütten, bin ich lieber gegangen. Musikalisch fanden wir die von dir genannten Bands toll, konnten uns auch als Typen etwa mit dem Look von HAIRCUT 100 identifizieren. Ansonsten schöpften wir aber aus einem breiten Feld an Inspirationen, zu denen zu jener Zeit genauso auch THE BEACH BOYS, THE ASSOCIATION, STEELY DAN, Caetano Veloso, ROXY MUSIC und Reinhard Mey gehörten.

Ihr habt euch ursprünglich EDE & DIE ZIMMERMÄNNER genannt in Anlehnung an die Fernsehsendung „Aktenzeichen XY ... ungelöst“ mit Eduard Zimmerman. Der ist 2009 verstorben, aber die Sendung gibt es immer noch. Ihr macht also auch noch eine Weile weiter mit der Band?
Korrekt, wir machen weiter, bis die Sendung abgesetzt wird. Ich weiß allerdings nicht mehr, warum wir uns damals so genannt haben. Eigentlich hießen wir ja SKAFIGHTER, aber so ein Name bringt eben eine stilistische Einschränkung mit sich, mit der wir uns nicht wohl fühlten. Die erste Single war fertig, Alfred wollte das Cover drucken lassen, also brauchten wir dringend einen Bandnamen. Irgendjemand in unserer Brainstorming-Runde schlug dann EDE & DIE ZIMMERMÄNNER vor, jemand anders hatte dann noch die Idee, dass wir unsere Sängerin Rica, Timos Schwester, Rica Ede nennen und den anderen Bandmitgliedern alle den Nachnamen Zimmermann geben.

Euer Debütalbum „1001 Wege Sex zu machen ohne daran Spaß zu haben“ hat so ein BEACH BOYS-mäßiges Coverfoto und ist relativ zeitgleich erschienen mit wegweisenden Alben von ORANGE JUICE und HAIRCUT 100. Du hast euren damaligen musikalischen Anspruch rückblickend einmal so beschrieben: „Die Idee war 1981, Pop mit deutschen Texten zu machen. Das gab es hierzulande nicht. In England wurde Rock 1976 von den SEX PISTOLS gekillt und also galt es, etwas Neues zu schaffen. Von dort kam damals eine neue Pop-Idee, auf der wollten wir aufbauen.“ Was ist heute der Ansatz bezüglich deutschem Pop bei DIE ZIMMERMÄNNER?
Wir agieren heute weniger ideologisch-strategisch, sind weniger sendungsbewusst und fühlen uns auch nicht bemüßigt, uns zu allen musikalischen Zeitströmungen zu positionieren – dazu gibt es auch einfach zu viele. Die Pop-Welt ist ja dermaßen aufgesplittert, selbst in Deutschland! Wir beackern jetzt im Herbst unseres Schaffens unseren gemütlichen musikalischen Kleingarten und sehen zu, dass was Schönes und Leckeres gedeiht.

Timo Blunck spielte mit PALAIS SCHAUMBURG mit DEPECHE MODE und BLANCEMANGE 1981 in London und 1982 in Berlin im Quartier Latin vor Kurtis Blow. Was waren deine Tour-Highlights mit DIE ZIMMERMÄNNER in dieser Zeit?
In München hat 1984 Christoph Schlingensief vor uns gespielt, mit seiner damaligen Band 4 KAISERLEIN. Den kannte allerdings damals noch niemand, wir auch nicht. Mehr Glamour haben die ZIMMERMÄNNER-Tourneen nicht ergeben. Allerdings viele nette private Begegnungen.

Du gehörtest gemeinsam mit deinem Bruder Diedrich zu den exponiertesten und profiliertesten Musikjournalisten bei der Spex und ihr habt – so habe ich es damals wahrgenommen – eine absolut einmalige Sprache in die Musikberichterstattung gebracht. War euch das bewusst, wie einflussreich und sprachlich innovativ ihr damals wart und dass ihr das Ganze irgendwie auch neu definiert habt?
Schon. Los ging das ja beim Sounds, als mein Bruder 1979 dort Redakteur wurde. Es war aber eben auch die Zeit, in der musikalisch sehr viel Neues passierte, nicht nur Punk und New Wave, sondern eben auch HipHop, Dub und halsbrecherische Fusionen all dieser Dinge. Und der Blick weitete sich, man beschränkte sich nicht mehr nur auf UK und USA, sondern bekam auch Superplatten aus Frankreich, Brasilien und Ghana auf den Tisch – und verrückte Klangexperimente aus Nienburg, Niederkirchbach und Neuendettelsau. Damit ging das gesamte popmusikalische Weltbild der Siebziger Jahre über die Rampe, jene kleine, genau abgesteckte Welt aus duftem Rock und Blues, geilen Gitarrensoli und authentischem Gesang mit Feeling, die sich nebenbei bemerkt bei näherem Hinsehen als ziemlich sexistisch, misogyn und konservativ entpuppte. Klar musste da eine neue Sprache her!

Dein ehemaliger Spex-Kollege und Mitherausgeber Niemczyk ist heute unter anderem Redakteur beim Rolling Stone. Wie ist das mit dir?
Ich schreibe regelmäßig für die taz über Musik, habe dort sogar die ständige Kolumne „Böse Musik“ und publiziere gelegentlich auch woanders. In meiner Zeit am Haus der Kulturen der Welt in Berlin konnte ich außerdem als (Co-)Herausgeber diverse Bücher zu unterschiedlichen musikalischen Themen konzipieren, unter anderem letztes Jahr „Künstliche Musik“ mit Arno Raffeiner, 2019 „100 Jahre Copyright“ mit Lina Brion und „Krieg singen“ 2017 mit Holger Schulze.

Dein Bruder Diedrich war zu Spex-Zeiten ziemlich addicted to THE GUN CLUB und hat ja auch sein bekanntes Buch „Sexbeat“ nach einem Song der Band benannt, Michael Ruff von GEISTERFAHRER war bei der Spex „zuständig“ für unter anderem NICK CAVE & THE BIRTHDAY PARTY-Obsessionen. Nick Cave hast du mal als „den am meisten überschätzten Künstler“ bezeichnet. Was waren deine großen Interessen und Inspirationen als Musiker und Autor in dieser Zeit? Gab es Wunschkandidaten bei Künstlern, die du gerne interviewt hättest oder auch hast?
Speziell in den Neunziger Jahren konnte ich diverse Wunschkandidat:innen der Reihe nach abhaken, darunter Kanonen wie Ornette Coleman, Brian Wilson von den BEACH BOYS, Chico Buarque, Joni Mitchell, Esquivel oder Willie Nelson. Das war immer beeindruckend, manchmal auch weird und mitunter großartig. Die interessantesten Gespräche waren rückblickend womöglich das mit dem Pianisten und Produzenten James Luther Dickinson, der mir tiefe Einblicke in das Produzentenhandwerk und das Wesen der Musik in den US-Südstaaten gab und dessen 2017 posthum publizierte Autobiografie „I’m Just Dead, I’m Not Gone“ ich bei der Gelegenheit allen ans Herz legen möchte – und das Interview mit Leonard Cohen 1992, der gerade sein amüsantes Weltuntergangsepos „The Future“ herausgebracht hatte, grippekrank mit einer Pudelmütze im Hotelbett lag und mir eine Stunde lang mit sehr viel schwarzem Humor sein düsteres Weltbild auseinandersetzte.