Vor vier Jahren erschien das Debüt von XBXRX auf 5RC, seitdem gab es eine ganze Latte von Singles auf diversen Labels, unter anderem auch auf GSL, wo ich das neue Album „Sixth In Senses“ spontan für passender aufgehoben empfunden hätte als bei Polyvinyl, die ja nun doch für eher ruhige Klänge und klassischen Indierock bekannt sind. Produziert hat die 18 „Songs“ der notorische Weasel Walter, den man ja von seiner Arbeit mit ARAB ON RADAR, FLYING LUTTENBACHERS und vielen anderen kennt. Als die Band 1998 in Mobile, Alabama gegründet wurde, waren die Beteiligten, so will es die Legende, gerade mal 15. Sieben Jahre später dürfen sie trinken, sind nach San Francisco umgezogen und haben eine ganz andere Struktur, denn, wie man hört, ist XBXRX eine sehr offene Band mit ständig wechselnder Besetzung deren Reiz ausmacht, dass die Songs trotz hohen Noise-Faktors, viel Gezirpe und Geschrei (allerdings kein hysterisches Gekiekse, sondern cooles Stakkato-Shouten) einen hardcorigen Grundansatz haben, ja sie rocken einfach, sind pure Aggression.Wer MELT BANANA, FANTÔMAS und Co. erträgt, der hat auch hieran Spaß. Und deshalb mailte ich XBXRX ein paar Fragen. Die Antworten kamen von keiner bestimmten Person, man will als Kollektiv gesehen werden.
Zuallererst einmal, wie spricht man eure Namen richtig aus? Das ist ja ein ziemlicher Zungenbrecher ...
„Am einfachsten ist es, alle fünf Buchstaben nacheinander auszusprechen. Denk einfach an drei X, zwischen denen ein B und ein R stehen.“
Ah ja ... das hilft. Wie sieht die aktuelle Besetzung eurer Band aus, wer von euch ist ständig dabei? Ist es Zufall, dass eure Mitglieder so oft wechseln, oder steckt da ein Konzept dahinter?
„Seit 2003 ist unsere Besetzung ziemlich gleich geblieben. Wir hatten in der Zwischenzeit noch einige neue Bassisten, aber seit einer Weile halten wir uns an unseren jetzigen. Der Kern der Band war sowieso von Anfang an der selbe und wird das auch bis zum Ende bleiben. Für uns spielt es keine Rolle, wer nun genau zur Band gehört und wer nicht. Entscheidend ist unsere gemeinsame Idee, an der wir weiterarbeiten. Wir hoffen, dass sich Leute für unsere Musik, unsere Auftritten und unsere Ideen interessieren und etwas davon mitnehmen; anstatt darüber nachzudenken, wer in der Band ist und wer nicht.“
Wie seit ihr auf euer Label Polyvinyl gestoßen? Ich schätze dieses Label, aber bis vor Kurzem war es eher für ruhigen Indierock als für musikalische Extreme bekannt.
„Tja, scheinbar erweitern sie ihr Spektrum, genau wie wir! Wieso auch nicht? Ich kann dir versichern, dass unser neues Album ziemlich extrem ist, trotzdem bringt es die Dinge auf den Punkt und ist durchdacht. Es ist wild, sagt aber trotzdem etwas aus. Ich denke, dass Polyvinyl das erkennen und verstehen. In der Vergangenheit haben sie mit ihren Bands, die sie unter Vertrag nahmen, auch immer an Punk und D.I.Y. angeknüpft. Unsere Band kommt auf ihre Art auch aus dieser Richtung, und deshalb haben wir hier eine gemeinsame Basis.“
Ihr seid aus dem tiefsten, provinziellen Süden der USA, aus Mobile, Alabama, nach San Francisco gezogen. In wieweit hat euch das persönlich und musikalisch beeinflusst? Andere Bands schildern die Situation in der Bay Area als eher schwierig, es soll dort ziemlich viel Neid und Konkurrenzdruck herrschen.
„Ja, aber das war auch in Mobile der Fall. Es ist ein kleines Kaff, jeder möchte den großen Deal landen, und das lässt die Menschen dort sehr aggressiv werden. Ich selbst habe das Gefühl, dass wir immer schon aggressiv waren, nicht anderen Leuten oder Bands gegenüber, sondern was unsere Herangehensweise angeht. Wir waren auf Tour, haben Platten aufgenommen und immer sehr hart gearbeitet – innerhalb der Band und darüber hinaus. Da wir notorische Workaholics sind, passt das dann wieder. Aber um die Bay Area zu verteidigen: Ich habe noch nie besonders viel Neid oder Konkurrenz zwischen uns und irgend jemand anderem bemerkt. Zur Zeit habe ich eher den gegenteiligen Eindruck: Zum Beispiel würden Bands wie DEERHOOF oder NUMBERS ihre Vorbands nie unbezahlt auftreten lassen. Ein Grund, weshalb mich diese Gegend angezogen hat, ist der Zusammenhalt, der hier besteht. Wir kümmern uns alle um einander, weil wir miteinander befreundet sind. Newcomer können sich dadurch manchmal ausgeschlossen fühlen. Aber
bei uns ist jeder willkommen, solange er kein Arschloch ist.“
Dieses Mal stand euch Weasel Walter, den man unter anderem von FLYING LUTTENBACHERS und MELT BANANA kennt, bei der Produktion zur Seite. Wie war die Arbeit mit ihm?
„Er arbeitet sehr hart und versucht immer, mit den vorhandenen Mitteln das Bestmöglichste aus einer Sache herauszuholen. Diese Platte sollte ein Statement werden; darum gaben wir alles, um sie so perfekt wie möglich zu machen und unsere gemeinsamen Vorstellungen umzusetzen. Den Großteil der Zeit verbrachten wir damit, an den Songs zu arbeiten und sie immer wieder zu verbessern. So konnten die Instrumentaltracks an einem Tag, der Gesang an einem anderen eingespielt werden. Wir haben also nicht rumgehangen, sondern die Zeit im Studio genutzt. Der ganze Entstehungsprozess besteht daraus, sich vorzubereiten und auf das Wesentliche zu konzentrieren. Auf das, was zu tun war, um diese Platte zu dem zu machen, was sie ist. Am Ende sehen wir das nun als großen Erfolg und freuen uns schon wieder auf die nächste Platte.“
Lasst uns mal über die Musik sprechen, die euch inspiriert. Und wie ordnet ihr eure Musik ein, als klassischen Hardcore oder als „arty noise“?
„Was bitteschön ist denn Hardcore? Sind das muskelbepackte Typen, Modejunkies, irgendwelche Streber, die mit ihren Eltern irgendwo in Amerika rumsitzen? Oder superpolitische Typen, die mürrisch durch die Gegend rennen? Vielleicht ja ein bisschen von allem und mehr. Eigentlich interessiert mich Hardcore nicht sonderlich. Für meinen Geschmack ist es zu straight und geht eher in die Macho-Richtung. HARUM SCARUM ist die einzige Band aus diesem Genre, die ich mir regelmäßig anhöre. Durch unsere Vocals und die Schnelligkeit unserer Musik werden wird aber immer wieder in diese Schublade gesteckt. Aber eigentlich sehe ich uns als Popband, die eben ein etwas höheres Tempo drauf hat. Wir mögen Musik mit Speed und Energie, aber ohne dummes und aggressives Rumgepöbel, ohne diese ‚Gang‘-Attitüde. Um das tun zu können, was wir tun wollen, müssen wir uns weder in eine Richtung einordnen noch Ansprüchen entsprechen, die an uns herangetragen werden. Das würde uns selbst nur in unserem Tun einschränken. Unsere Musik hat Power und ist kritisch; wir vertreten die Überzeugung, dass jeder erreichen kann, was er will, wenn er nur hart genug dafür arbeitet und bei der Sache bleibt. Für uns eine Sicht, die nicht rückschrittlich, sondern positiv ist.“
Eure Live-Shows sind ziemlich heftig. Spielt Provokation eine Rolle, und was mögt ihr an Live-Auftritten besonders?
„Live zu spielen, gehört für mich zu den extremsten Gefühlen überhaupt, da ich sehr schnell aufgeregt bin. Mittlerweile fühle ich mich aber bei dem Gedanken an die Bühne sogar ein bisschen berauscht. Die Zeit vor dem Auftritt ist immer ziemlich hart, aber sobald ich erst mal auf der Bühne stehe, habe ich das Gefühl, dass ich mein Bestes geben muss. Und dann gebe ich hundert Prozent.“
Was versteht ihr unter a.) Noise und b.) Aggression?
„Noise ist für mich Musik, die niemand hören will. Heutzutage wird das in bestimmten Kreisen nicht mehr als negativ angesehen. Noise kann sehr leicht instrumentalisiert werden. Für manche Leute ist unsere Musik Noise, Lärm. Wir selbst sind aber an Strukturen und Songschreiben interessiert. Aggressionen sind für uns ein Mittel, Gefühle auszudrücken. Durch sie erreichen wir unsere Ziele und haben die Möglichkeit, auf Situationen entsprechend zu reagieren. Für uns gibt es kein Morgen, deshalb ist es entscheidend, für den Moment zu leben. Mit dieser Einstellung gehen eine gewisse Hoffnungslosigkeit und Wahnsinn einher.“
Eure Musik zu hören ist für mich, wie zum Zahnarzt zu gehen, weil man Schmerzen mag. Gebt mal euren Kommentar dazu ...
„Das ist deine Meinung. Jeder von uns hört Dinge anders als andere, was für den einen Krach ist, ist für den anderen wunderschöne Musik. Wir hätten es gern, dass unsere Musik belebend auf andere Leute wirkt. So wie es uns dabei geht.“
Wie ich gehört habe, seid ihr alle sehr jung, beziehungsweise wart sehr jung, als ihr die Band gegründet habt. Spielt das Alter ein Rolle, wenn man Musik macht?
„Das Alter ist unwichtig. Wenn ich ihm eine Bedeutung zumesse, bewege ich mich in Rollenvorstellungen, die aus der Zeit meiner Eltern oder Großeltern kommen könnten. Ich lebe nicht das gleiche Leben wie sie. Das ist ein echtes Geschenk, und hat absolut nichts mit dem Alter zu tun. Niemand ist für eine Sache zu jung oder zu alt.“
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #62 Oktober/November 2005 und Joachim Hiller
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