Wenn man die von Marco Pirroni (mit-)geschriebenen ADAM AND THE ANTS-Hits wie „Stand and deliver“, „Prince charming“, „Goody two shoes“ oder seine Mitarbeit am „I Do Not Want What I Haven’t Got“-Album von Sinéad O’Connor einmal außer acht lässt, besitzt der Mann einen beeindrucken Punkrock-Faktor. Marcos erste Band waren die INFANTS, welche sich nach seinem Ausstieg in CHELSEA umbenannten, er spielte Gitarre beim legendären ersten SIOUXSIE & THE BANSHEES-Gig am 20. September 1976, im Rahmen des 100 Club-Punk-Festivals und veröffentlichte später mit den MODELS den Punk-Klassiker „The Freeze“. Diese Aufzählung ließe sich weiter fortsetzen, aber widmen wir uns lieber den WOLFMEN, dem aktuellen Projekt von Mr. Pirroni, der auch hier der Gitarrist ist und von Chris Constantinou (ex-ADAM & THE ANTS, -JACKIE ONASSID, Iggy Pop) an Gesang und Bass unterstützt wird. Meines Erachtens wurde ihr Debütalbum „Modernity Killed Every Night“ in der letzten Ox-Geschmackscontrol viel zu oft auf das „Alte Herren“-Gleis geschoben, denn für mich klingen die im Pop verwurzelten Songs mit Punk- und Glamrock-Einschlag erstaunlich frisch und eingängig – einfach zeitlos. Also auf zur Telefonkonferenz mit Marco und Chris.
Euer Album „Modernity Killed Every Night“ eröffnet mit einer Brian Eno-Coverversion. Würdet ihr eure Musik als eine Art Neo-Glamrock bezeichnen?
Chris: Nein! Ich mag denn Song einfach nur sehr gerne, er steht mir sehr nah und ich habe eigentlich nie daran gedacht, ihn zu covern. Wir haben „Needle in a camel’s eye“ für den Film „Dogginess“ gemacht, zusammen mit dem Regisseur Simon Ellis. Es ist so eine Art poppiger Rocksong.
Marco: Wir verfolgen keine spezifischen Ziele oder haben spezielle Anliegen. Wir machen einfach etwas, aber wir entscheiden nicht vorher, ob es nun Glam ist oder kein Glam.
Chris: Kurz gesagt, es gibt kein Briefing in der Form, dass wir innehalten und uns dann entscheiden, machen wir nun dieses oder machen wir jenes, eine Mischung aus Glam und was auch immer. Wir machen es halt einfach und es klingt so, wie es klingt. Wir sind beide im Pop verwurzelt und versuchen Popsongs zu schreiben, auch wenn wir nicht in diesen Kategorien denken.
Was steckt hinter dem Albumtitel?
Marco: Du kennst ja bestimmt Malcom McLaren ... Der Satz war im Gespräch als Name für einen seiner Läden, beziehungsweise es war ein Name, den er dann doch nicht benutzt hat. Aber es ist eine großartige Überschrift und ich bin der Meinung auch ein guter Name. Ich weiß auch nicht, was das bedeuten soll – eigentlich bedeutet es gar nichts.
Ihr beide kennt euch bereits aus gemeinsamen Adam Ant-Zeiten. Wie kamt ihr wieder zusammen?
Chris: Ich war mit einer Band, bei der ich gerade spielte, auf der Suche nach einem Gitarristen, der so wie Marco spielt, habe aber keinen gefunden. Also habe ich nach Marco gesucht, um ihn zu fragen. Ich glaube, er war der treibende Motor bei den WOLFMEN, er hatte eine Idee für eine Band, einen Namen und dann wir haben zusammen im Studio daran gearbeitet.
Und das Ergebnis war dann Anfang 2006 der Soundtrack für eine englische-Fernsehserie?
Chris: Ja, für eine Fernsehserie mit dem Titel „I Predict A Riot“. Im Grunde genommen geht es darin um die Geschichte von Straßenschlachten in England. Es klingt vielleicht zunächst etwas befremdlich, aber es funktioniert gut. Wir haben dazu über eine Stunde Musik beigesteuert. Hier konnten wir uns frei entfalten, es war ein Ereignis und wir konnten auf das reagieren, was gerade passiert. Wir haben zu Bildern Musik gemacht. Wir haben auch schon für Filme und Werbung Musik gemacht, aber die ist vorher immer ganz genau festgelegt. Du findest einige Sachen auf YouTube ... Danach haben wir den Soundtrack für Fetischfilme gemacht, Stummfilme aus dem Jahr 1914, die auf dem Fashion Film Festival liefen.
Und wann stießen die anderen Bandmitglieder dazu?
Chris: Als Band begann das Ganze Ende letzten Jahres, im November. Zuerst fingen Marco und ich alleine im Studio an, mit Sachen wie „The Ostrich“. Später kam dann Chris Hudges, der ADAM & THE ANTS-Drummer und -Produzent, hinzu. Wir haben mit ihm einige Stücke aufgenommen, weil Chris aber sehr beschäftig war, haben wir beziehungsweise Marco viel selbst aufgenommen und dann später mit dem Produzenten Steve Musters, bekannt durch seine Arbeit mit PJ Harvey, zusammengearbeitet. Und erst als wir mit den Gigs beginnen wollten, folgten die anderen Bandmitglieder.
Marco, fühlst du dich als einer der UK-Punk-Väter? Ich denke da an den legendären ersten Auftritt von SIOUXSIE & THE BANSHEES mit Sid Vicious am Schlagzeug. Du warst, laut Siouxsie, der Einzige, der überhaupt ein Instrument spielen konnte.
Marco: Nicht wirklich, ich war damals gerade siebzehn Jahre alt und spielte erst seit einem Jahr Gitarre, hahaha. Aber immerhin war ich der Einzige, der überhaupt schon einmal zuvor gespielt hatte. Die anderen verfügten über keine Erfahrungen, das war nicht sehr gut.
Hat sich denn, deiner Meinung nach, die Bedeutung von Punk in den letzten drei Jahrzehnten verändert?
Marco: Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Bedeutung von Punk überhaupt kannte, als die Sache begann. Wir waren damals Teenager, da machst du dir keine großartigen Gedanken, du willst einfach deinen Spaß haben. Wir haben eigentlich nur das getan, was Teenager halt so machen.
Oft wird genau diese Zeit glorifiziert und mit nostalgischen Gefühlen überfrachtet.
Marco: Jeder denkt doch gerne an seine Jugend zurück, oder nicht? Es war schon eine großartige Zeit, ich will nicht so tun, als ob sie nicht existiert hätte, es gibt auch nichts Vergleichbares. Allerdings bin ich der Ansicht, dass die Leute oft Dinge glorifizieren, von denen sie nichts wissen.
Ich denke dabei auch an eine Band wie ADAM & THE ANTS. Mir sind dazu jede Menge Internetseiten und Fan-Foren aufgefallen.
Marco: Weißt du, gerade im Internet haben besessene Menschen die Möglichkeit, mit anderen besessenen Leuten zu kommunizieren, und dadurch wird die Besessenheit immer bedeutsamer. Das betrifft aber nicht nur ADAM & THE ANTS. Im Internet triffst du auf alle möglichen Arten der Besessenheit ... Ob sich nun jemand für ADAM & THE ANTS, Autos oder den Mars begeistert, etwas sammelt oder was auch immer, für mich ist das nichts.
Ist es für euch ein 24-Stunden-Job, als Musiker beziehungsweise Produzenten zu arbeiten?
Marco: Wir machen nichts anderes. Im Augenblick managen wir uns auch noch selbst, das kostet sehr viel Zeit. Wir sind deshalb auch auf der Suche nach einem neuen Management. Im Moment arbeitet jeder an den möglichen Stücken für ein zukünftiges Album.
Chris: Ja, es ist ein 24-Stunden-Job. Neben den beiden Projekten, die wir zur Zeit laufen haben, schreiben wir viele Songs für das neue Album und spielen in London einige Gigs. Der Schwerpunkt liegt im Moment auf dem neuen Album. Und wenn Leute der Meinung sind, das wäre ein leichtes Leben, würden wir die gerne einmal mit auf Tour nehmen! Es ist natürlich schon so, dass wir selbstverständlich etwas machen, was wir mögen, aber es ist eben auch kein „Nine-to-five“-Job, wo du nach Feierabend einfach abschalten kannst.
Also wird es bei euch auch die nächsten Jahre so weitergehen?
Marco: Das ist seit 30 Jahren mein Leben.
Chris: Ich vermute mal, es ist etwas, das du so lange machst, bis du keine Lust mehr hast oder stirbst.
Marco: Ich hätte gar keine Lust auf einen richtigen Job. Ich hatte auch nie einen, ich habe es auch immer versucht zu vermeiden. Die übelste Möglichkeit, um auf dieser Welt an Geld zu kommen, ist ein richtiger Job.
Du hast aber auch genug Hits geschrieben, da ist die Notwendigkeit ja nicht mehr so gegeben.
Marco: Ja, ich bin da durchaus in einer sehr glücklichen und komfortablen Situation. Und die Musik ist für mich auch nicht einer normalen Arbeit gleichzusetzen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #81 Dezember 2008/Januar 2009 und Kay Werner
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #68 Oktober/November 2006 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #69 Dezember 2006/Januar 2007 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #97 August/September 2011 und Kay Werner
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #79 August/September 2008 und Gereon Helmer