Handpuppenrock
WOLF MOUNTAINS ist kein kanadisches Rasierwasser, sondern eine Band, die mit „Urban Dangerous“ gerade auf Treibender Teppich Records ihr drittes Album veröffentlicht hat. Surf-Garagen-Rock, so lautet der sperrige Begriff, mit dem der Sound der drei Kerls oft beschrieben wird. Doch Kevin (DIE NERVEN, KARIES), Reinhold (MOSQUITO EGO) und Thomas sind nicht unbedingt die durchtrainierten, braungebrannten Surferboys. In ihren anderen Bands hört sich die Stimmung auch eher kühl, melancholisch und nach heruntergelassenen Rollladen am helllichten Tag an.
Bei WOLF MOUNTAINS sieht die Sache etwas anders aus, ihr aktuelles Album „Urban Dangerous“ ist ein leichtes, rockiges Album mit poppigem Flaum geworden. „Es fällt uns überhaupt nicht schwer, positiv zu texten oder Musik zu schreiben. WOLF MOUNTAINS ist natürlicher Ausdruck davon, wie wir Musik wahrnehmen und wiedergeben möchten“, erzählt Schlagzeuger Kevin Kuhn am Telefon. „Es kann schon sein, dass das auch ein unbewusster Ausgleich zu den anderen Bands ist.“ „Ich habe mir immer gewünscht, Puppenspieler zu werden! Aber dann so wie bei der ‚Sesamstraße‘ oder den ‚Fraggles‘“, kommentiert Kevin freudig meine Einschätzung, dass der Sound von WOLF MOUNTAINS oft etwas ungelenkiges Handpuppenhaftes habe.
„Es ist schon ein bewusstes Spiel mit Pop-Klischees. Wir denken nicht, dass wir schlauer sind und es ist auch keine Pastiche, weil wir Pop witzig fänden und uns darüber lustig machen wollten. Wir mögen Pop ernsthaft und irgendwie auch nicht.“ Das Chipmunks-Outro „Don’t look at me at the disco“ und der kurze Reggae-Black-Metal-Bastard „Fuck you beelzebub“ sind spontan entstandene Brüche, die auf „Urban Dangerous“ trotzdem eine stimmige Daseinsberechtigung finden. Andere Highlights, wie der fließende Übergang in „No means no“, entstehen aus Ideen, die Thomas nachts aufnimmt und mit zur Probe bringt. Wenn der kreative Prozess bei WOLF MOUNTAINS ins Stocken gerät, wird einfach die Drum-Machine angeworfen, die Gitarre eingestöpselt und dreißig Sekunden improvisiert. Im besten Fall entsteht dann etwas vollkommen Neues: „Um weiterzukommen, muss man generell genrefrei denken“, findet Kevin. „Bei WOLF MOUNTAINS wird es letztendlich immer noch mal durch den Garagenfilter laufen. Das Lied ‚Falling down yr stairs‘ war auch als R&B-Nummer konzipiert und am Ende wurde durch die Instrumentierung doch Garagenrock daraus.“
Der Albumtitel „Urban Dangerous“ ist eine Wortschöpfung, die aus einer bandinternen Konversation entstand. Mit dem Albumcover wollten WOLF MOUNTAINS einen Kontrast schaffen und in einem Moment festhalten, was Reinhold in seinem halben Jahr Griechenlandaufenthalt erlebt hat. Abgesehen von der kreativen Weiterentwicklung, wünscht man sich als Musiker sicher auch einen handwerkliche Fortschritt. Kevin Kuhn hat mehrere Bands, doch welche fordert ihn am meisten heraus? „Bei WOLF MOUNTAINS spiele ich live und im Studio mit einem weitaus reduzierteren Set, um mich auch mehr auf die Sinne konzentrieren zu können. Bei DIE NERVEN bin ich am Ende der Konzerte physisch immer superfertig, während ich bei WOLF MOUNTAINS noch richtig Energie habe.“
Seit elf Monaten haben WOLF MOUNTAINS nicht mehr zusammengespielt, unter anderem auch, da Reinhold eben für längere Zeit in Griechenland war. Kevin ist trotzdem gut im Training, spielt aktuell fast täglich Schlagzeug, aber es kommt auch vor, dass er drei Monate lang gar nicht die Drumsticks schwingt: „Ich kann auch gar nicht alleine Schlagzeug spielen. Es ergibt für mich keinen Sinn, wenn ich mich nicht an andere Instrumente dranhängen kann.“ Bei WOLF MOUNTAINS übernimmt er zusätzlich noch einen Teil des Gesangs. Ob der jeweilige Song dann eher für Reinhold oder Kevin ist, wird nach Bauchgefühl und ästhetischer Klangfarbe entschieden. Lange Diskussionen gibt es darüber nicht. „Urban Dangerous“ fühlt sich im direkten Vergleich zum Vorgänger stimmiger an: „Wir sind als Band besser und sicherer geworden und auch konzentrierter vorgegangen. Dieses Mal ist es eine gemeinsame Erfahrung und keine lose Kollektion von Sachen, die wir mal gemacht haben“, erklärt Kevin.
Vier Proben waren nötig, dann standen die Grundpfeiler für das Album, gleich im Anschluss ging es auf Tour nach Italien: „Die Shows waren miserabel besucht, wir haben in kleinen Bars eher so als Nebenattraktion gespielt. Da konnten wir die neuen Stücke aber schon gut üben. Jeden Abend kam ein neuer Song dazu, so dass wir am Ende der Tour alles spielen konnten. Nach unserer Rückkehr haben wir dann in Berlin im Studio vom JULI-Drummer Marcel Römer aufgenommen.“
Bands wie WOLF MOUNTAINS könnte man glatt abnehmen, dass ihnen eine gewisse Ignoranz seitens des Publikums besser gefällt als euphorischer Jubel. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen: „Ich will, dass die Leute komplett ausrasten, aber nicht wegen uns, sondern wegen unserer Musik“, findet Kevin. „Es wäre toll, wenn sie sich so fühlen, wie ich mich als Teenager bei meinen ersten Konzerten im Publikum gefühlt habe. Wenn man sich einfach im Sound verliert oder ganz anders spürt. Wir freuen uns immer, wenn jemand etwas mit unserer Musik anfangen kann. Aber ich bin zum Beispiel sehr schlecht im Empfangen von Komplimenten. Wenn mir jemand sagt, dass ich ein guter Schlagzeuger bin ... Ja, meine Güte, es gibt Leute, die Leben retten.“ An den Mythos vom wegweisenden dritten Album glaubt Kevin eher nicht: „Es gibt auch Bands, bei denen das sechste erst das ausschlaggebende ist.“ Für das nächste Album würde er sich aber mehr Zeit und Raum wünschen: „Man hat ja immer noch so viele Ideen. Für mich wäre es in Ordnung, wenn ‚Urban Dangerous‘ unser wegweisendes Album ist, aber damit darf es nicht aufhören.“
Nadine Schmidt
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