Da es in Dortmund sowohl viel Leben als auch günstigen Schnaps gibt, braucht man Zeit, um beides in Verbindung ansatzweise zu verkraften. Graue Wände prallen auf Verzweiflung und Rastlosigkeit. Nehmen wir die erste Bahn hier raus, oder malen die Wände einfach wieder bunt. Fragen, die keine einfache Antwort erwarten lassen. Und so entwickelt sich auch der einfachere Punk der Anfangszeit zu einem sphärisch schwerwiegenderen Emo-Gebilde, das sich die Zeit nimmt, die es braucht, um Bilder und Orte fest in deinem Kopf zu verankern.
Zeit. WILLY FOG und die Zeit sind gute Freunde. Sie kommen klar miteinander und lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Hektik haben Alltag und Dortmund schon genug zu bieten. Warum ihr also verfallen? Knapp fünf Jahre haben sie zusammen auf Straßen, Spielplätzen, in dunklen Kellern und Clubs verbracht. Eine lange Zeit für eine Band. Die einen machen jedes Jahr ein Album, die anderen lösen sich nach zwei Jahren wieder auf. WILLY FOG sind da anders. Vor allem in der Veröffentlichungspolitik ihrer Songs. Eine kleine Demo-EP, ein paar Splits. Das war es. Kleine Zeugen der Zeit und der Entwicklung. Bis sie ihren Sound gefunden hatten und dies zur Kenntnis nahmen, dauerte es. Songs passten nicht zur gewollten Stimmung des geplanten Albums, geschriebenes Material nicht zur Stimmung der neuen Songs.
Da erscheinen manche Fragen manchmal einfacher und wichtiger. Ist Grappa nun ekeliger als Obstler zum Beispiel? Jonas: „Wir mussten erst einmal an den Punkt kommen, an dem wir zu uns selber sagten: Hey, das Album ist fertig und wir merken es einfach nicht. Als wir das dann gemerkt haben, konnten wir auch in Ruhe ins Studio gehen. An den Punkt muss man erst einmal kommen. Es dauerte relativ lange und war manchmal auch zermürbend.“
Für die Zeit im Studio musste dann natürlich ein Mensch her, der die nötige Geduld hat, mit WILLY FOG und ihrem Zeitmanagement klarkommt, aber auch den Sound kennt und in etwa weiß, wohin die Reise gehen soll. So fiel die Wahl auf Tobias Stieler und das Kokomos Studio in Duisburg. Ein alter Bekannter, der nun mit der Band zusammen den rohen Sound des Proberaums auseinandernahm und in ein adäquates Plattenformat verwandelte.
Netzwerke nutzen und wenn möglich Freunde mit ins Boot holen. Eine Philosophie, die sich durch alle Elemente des Bandlebens zieht. Diese Einstellung begleitete Gitarrist Marcin auch bei der Suche nach passenden Labels, die „Harlekin Geisterpfeifenfisch“ mittragen und veröffentlichen sollten. „Wir haben eine Liste erstellt mit Leuten, die wir persönlich kennen, und sie danach angeschrieben. Alle außer i.corrupt.records kannten wir persönlich. Auf i.corrupt.records kamen wir, weil Ingo ja zur Mainz-Gang gehört. Mainz ist so ein bisschen unsere ,Hometown‘. Es gab einen Split-Release mit der Mainzer Band MAITRESSE und unzählig gespielte Konzerte dort. Und deshalb haben wir ihn einfach auch noch angefragt.“
Auch soundtechnisch haben sich WILLY FOG über die Zeit von kurzen, fast schon überfallartigen Punk-Attacken, zu einem komplexeren, sphärisch ausufernden Emo-Brocken entwickelt. Jonas: „Wir werden uns nie auf eine Musikrichtung beschränken. Wenn dann ist es das, worauf wir gerade Lust haben. Von dem anfangs punkigeren Songs kam es dann zu diesem ,Boa, dieses Sphärische ist voll geil, mit den Delay-Gitarren und so.‘ Das ist dann automatisch so geworden.“
Auch Dortmund hat eine durchaus ernstzunehmende Bedeutung im WILLY FOG-Universum. Der erste eigene Proberaum befand sich in Dortmund, nachdem man in der Zeit zuvor immer nur dort geprobt hatte, wo es irgendwie möglich war. Nach und nach zogen dann fast alle nach Dortmund. Immer mehr bekam man die Probleme und Unterschiede mit, die sich in einer Großstadt ausbreiten. Soziale Ungerechtigkeit, welche sich in Wohngegenden zeigt und auf der Straße allgegenwärtig erscheint. Die Beschäftigung mit den Umständen schlägt sich dann auch in Texten, Songs, Songtiteln und Videos nieder. Jonas: „Dortmund ist schon eine relativ dreckige Stadt, mit ein paar Problemvierteln. Da staut sich dann schon manchmal was an, was zum Beispiel soziale Ungerechtigkeit angeht. Das gibt es hier extrem und wirkt sich dementsprechend auf die Texte aus. Wenn ich Songs schreibe, ist es immer ein bisschen wie Bilder im Kopf machen. Und die bekommt man, wenn man einfach durch die Stadt läuft.“
Sicher gibt es diese Probleme in ganz vielen Städten, aber Dortmund mit seiner extremen Nord-Süd-Diskrepanz bietet hier sicher ein kompaktes Inspirationsfeld. Das Leichteste wäre einfach ignorieren oder ausbrechen, doch lässt sich das bei all den Bindungen, Offensichtlichkeiten und sozialen Kontakten wieder nur schwer umsetzen. Also heißt es kämpfen oder leiden. WILLY FOG würden am Strand mit blauem Himmel und klarem Wasser sicher diese Verzweiflung verlieren, die in allen Songs mitschwingt. Und am Ende ginge es dann doch wieder nur darum, ob nun Grappa oder Obstler ekeliger ist.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #114 Juni/Juli 2014 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #114 Juni/Juli 2014 und Benja Hiller