Drei WESTERN ADDICTION-Platten in 18 Jahren zeugt auf den ersten Blick nicht davon, dass Musik für die Männer um Sänger Jason Hall Priorität hatte. Doch es ist ganz anders als es scheint. Bis vor kurzem haben der Großteil der Bandmitglieder für Fat Wreck Records gearbeitet, wo nun auch „Frail Bray“ erscheint. Inwieweit das sowohl Chance als auch Bürde war, wieso WESTERN ADDICTION keine richtige Punkband sind, warum dieses Mal nur drei Jahre zwischen den Veröffentlichungen liegen und welchen Effekt es hat, in einer weltweiten Krise eine Platte zu veröffentlichen, erzählt Jason im Interview.
Ich würde zuerst über eure enge Beziehung zu eurem Plattenlabel Fat Wreck sprechen. Fast alle Mitglieder sind oder waren zumindest einmal dort angestellt. Inwieweit hat das WESTERN ADDICTION beeinflusst?
Am Anfang war es tatsächlich nicht ganz einfach. Vor allem als wir noch eine vollkommen unbekannte Band waren, hat sich Fat Wreck logischerweise mehr um Bands wie PROPAGANDHI oder LAG WAGON gekümmert. Wir haben als Labelmitarbeiter immer versucht, möglichst fair mit der Situation umzugehen. Und um ehrlich zu sein, hat das auch eigentlich ganz gut funktioniert. Ein einziges Mal gab es eine Situation, in der wir als Band zurückstecken mussten und eine Entscheidung aus Labelsicht treffen mussten. Wir hatten gerade eine neue Platte veröffentlicht und sollten mit LAG WAGON eine Tour in Europa spielen. Weil wir komplett in die Promotion einer anderen Band eingebunden waren, mussten wir auf die Tour verzichten und stattdessen jemand anderen nach Europa schicken. Da ist uns der Job in die Quere gekommen. Auf der anderen Seite hat es natürlich auch enorm viele Vorteile, wenn du so eng mit deinem Plattenlabel verbunden bist. Unter anderem arbeiten bei Fat Wreck eine Menge meiner engsten Freunde, mit denen ich mich, unabhängig von WESTERN ADDICTION, fast jeden Tag über Musik unterhalte.
Du hast Fat Wreck bereits 2008 verlassen. Trotzdem werdet ihr immer direkt mit dem Label in Verbindung gebracht. Wie stehst du dazu?
Die fast schon familiäre Atmosphäre bei Fat Wreck und die enge Beziehung zu den Mitarbeitern finden wir wahrscheinlich bei keinem anderen Label. Trotzdem sind wir für Fat Wreck-Verhältnisse doch eine sehr seltsame Band, die nicht so wirklich in das Raster passen möchte. Es gibt sicherlich andere Labels, auf denen wir mit unseren Metal- und Hardcore-Einflüssen nicht so exotisch wirken würden. Manchmal habe ich mir tatsächlich auch schon mal die Frage gestellt, wie es zum Beispiel wäre, wenn wir „Frail Bray“ auf Southern Lord oder einem anderen Metal-Label veröffentlicht hätten. Es kommt sogar vor, dass wir manche Metal- oder Hardcore-Shows, die wir gerne spielen würden, nicht bekommen, weil uns alle wegen Fat Wreck für eine lupenreine Punkband halten. Aber verstehe mich nicht falsch: Ich würde das, was wir mit Fat Wreck haben, um kein Geld der Welt eintauschen wollen.
Kommen wir zu „Frail Bray“, eurem dritten Album in 18 Jahren. Wie kommt es, dass es dieses Mal nur drei Jahre gedauert hat, seit ihr den Vorgänger „Tremulous“ veröffentlicht habt?
Der Grund, warum es zwischen der Veröffentlichung von „Cognicide“, unserem ersten Album, und „Tremulous“ so super lange gedauert hat, war schlicht, dass wir reguläre Jobs und Familie haben. Ich bin zwischen den beiden Platten Vater geworden und habe mich voll auf das Elternsein konzentriert. Jetzt ist es mittlerweile so, dass meine Tochter einfach nicht mehr so viel Aufmerksamkeit braucht. Sie ist selbständig, hat ihre Freunde und ist unabhängiger. Da ist auch wieder mehr Zeit für Musik, die ich, wie sich herausgestellt hat, sehr vermisst habe. Dazu kommt, dass ich irgendwie auch eine andere Sichtweise auf die ganze Sache entwickelt habe. Seit ich das Label verlassen habe, beschäftige ich mich auch erstaunlicherweise wieder viel intensiver mit Musik. Es ist einfach nicht mehr das Alltagsgeschäft, bei dem du womöglich viel zu verkopft an die Sache herangehst und ständig irgendwelche Vergleiche ziehst. Ich habe Musik in den letzten Jahren wieder zu schätzen gelernt. Und das auf einem ganz anderen Level, als es noch mein ganzes Leben eingenommen hat. Dabei hat sich auch die Zusammenarbeit mit unseren Freunden von Fat Wreck verbessert. Ich habe mir einfach vorgenommen, ein besserer Songwriter zu werden. Die Songs auf „Frail Bray“ sind jetzt die erste Stufe auf dem Weg dahin.
Dann bist du doch sicher gespannt, wie dein neuer Ansatz bei den Leuten ankommen wird, die sich mit WESTERN ADDICTION beschäftigt haben. Inwieweit macht euch die jetzige Situation mit dem Corona-Virus einen Strich durch die Rechnung? Eure Platte wird bzw. wurde am 15. Mai veröffentlicht. Habt ihr mit dem Gedanken gespielt, den Release zu verschieben, um auch eine ordentliche Tour spielen zu können?
Tatsächlich haben wir gefragt, ob wir die Veröffentlichung in die zweite Jahreshälfte verschieben könnten. Das Problem ist dabei gewesen, dass es natürlich immer eine gewisse Vorlaufzeit benötigt. Wir haben „Frail Bray“ ungefähr vier Monate vor dem angepeilten Termin eingereicht. Automatisch greifen dann bestimmte Mechanismen, die zum Beispiel die Produktion der Platte oder die Platzierung bei Streamingdiensten regeln. Leider stellte sich heraus, dass es eine Menge Geld kostet, diese Mechanismen neu auszurichten und die Veröffentlichung zu verschieben. Zwar haben die Leute ja im Moment Zeit, sich auch mehr mit Musik zu beschäftigen. Aber vor allem für eine Band wie uns, die von der Energie lebt, ist es wirklich beschissen, dass wir keine Konzerte spielen können, weil alles abgesagt werden musste.
In diesen Tagen stellt sich heraus, wer sich solidarisch verhält und wer ein egoistisches Arschloch ist. Denkst du, dass diese Pandemie einen Einfluss darauf haben wird, wie wir in Zukunft miteinander umgehen werden?
Das hoffe ich sehr. Es geht sehr oft um Respekt und wie wir andere behandeln. Die Pandemie ist eine furchtbare Sache, versteh mich nicht falsch. Auf der anderen Seite lässt sie aber unsere Erde zumindest für ein paar Wochen durchatmen. Egal, ob wir sie in Folge des Kapitalismus bis an ihre Grenzen gebracht haben werden – am Ende wird uns die Erde alle überleben. Wir können unseren Planeten noch so weit zerstören, am Ende sind wir die Verlierer. Für mich sind die Feuer hier in Kalifornien oder in Australien sowie das Virus Signale, die wir endlich ernst nehmen sollten. Auch auf menschlicher Ebene hat die Entwicklung in den letzten Wochen und Monaten bestenfalls einen positiven Einfluss. Hoffentlich wird sich zeigen, dass es wichtig ist, verantwortungsvoll zu handeln und nicht so töricht, wie es unser aktueller Präsident leider permanent tut.
Viele politische Entscheidungen, die im Moment getroffen werden, sind stark von wirtschaftlichen Interessen beeinflusst. Auf der anderen Seite zeigt sich aber auch eine große Solidarität unter den Menschen. Wie groß siehst du die Chancen, dass sich auch das politische System dieser Entwicklung anpassen wird?
Ich denke nicht, dass wir den Kapitalismus jemals aufhalten können. Der Einzige, der dem Ganzen ein Ende setzen kann, ist wahrscheinlich unser Planet. Du musst dir mal vorstellen, dass da ein gewählter Präsident ist, der Menschen wissentlich sterben lassen will, nur um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Auf der anderen Seite gibt es hier in Amerika aber auch Politiker wie den Gouverneur von New York, Andrew Cuomo, der sich ganz klar gegen Trump stellt. Wir leben in einer Zeit, in der der Kapitalismus wie eine Abrissbirne so lange und heftig auf die Erde einschlägt, bis diese anfängt, sich zu wehren. Auf der anderen Seite hat mir die Pandemie klargemacht, dass ich eigentlich nur wenige Dinge zum Leben brauche. Ich habe damit begonnen, die Sachen, die ich mir vorher wahrscheinlich mal eben schnell bestellt und gekauft hätte, selber zu bauen. Zumindest im Moment habe ich die Erkenntnis gewonnen, dass ich außer meiner Familie und den Respekt, mit dem ich anderen gegenübertrete, nicht viel mehr brauche.
Woran liegt es deiner Meinung nach, dass so viele Amerikaner sich im Zuge der Pandemie ausgerechnet mit Waffen und Toilettenpapier eindecken?
Das ist eine gute Frage. Ich denke, dass sich sehr viele Menschen hier in Amerika nur oberflächlich mit der Situation beschäftigen. Sie lesen nur die Schlagzeilen und geraten dann in Panik. Dabei ist die Herangehensweise in den beiden politischen Lagern, die wir hier haben, sehr unterschiedlich. Es macht einen großen Unterschied, wer dir die Informationen übermittelt. Schau dir einfach mal ein Interview mit Trump an. Ihm kann man besonders ansehen, wann er Bullshit von sich gibt und wann es, in seltenen Momenten, auch mal anders ist. Anstatt die Menschen hier durch Informationen aufzuklären, ist es eher so, dass viele immer weiter verängstigt werden sollen. Deshalb kaufen sie sich Waffen. Sie wollen sich vor etwas schützen, vor dem sie Angst haben. Wenn du dir die Hamsterkäufe vor ein paar Wochen anschaust, kannst du den Kapitalismus in Reinform sehen. Hauptsache, mir geht es gut. Egal, ob noch etwas für meinen Nachbarn übrig bleibt. Das ist der absolut falsche Ansatz.
Lass uns über eure neue Platte „Frail Bray“ sprechen. Würdest du sagen, dass es mit knapp 28 Minuten Spielzeit eine typische Punkrock-Platte geworden ist?
Nicht unbedingt! Wir haben darauf geachtet, dass die Platte kürzer als dreißig Minuten ist, weil wir der Meinung sind, dass ein Album lieber Lust auf mehr machen sollte, als dass es dich irgendwann langweilt. Ich mag den Ansatz von manchen Bands nicht, die 18 Songs oder mehr auf eine Platte packen. Sie sind es auch, die sagen, dass sie Musik nur für sich selbst machen. Ich sehe das irgendwie anders. Was das Thema Punkrock angeht, verhält es sich so: Wir sind keine Hardcore- oder Punkrock-Band nach den heutigen Maßstäben. Ich würde schon sagen, dass wir eine fast schon traditionelle Art Hardcore-Punk spielen, der sehr nach Bands aus den Achtzigern klingt. Im Country gibt es ein Subgenre namens Modern-Traditionalist. Ich würde uns als modern-traditional Hardcore-Band bezeichnen.
Das bringt mich direkt zu meiner nächsten Frage: Wie kam es, dass ihr das Album live auf Tape eingespielt habt? Das muss doch verdammt anstrengend gewesen sein.
Oh ja, das war wirklich stressig. Das Witzige ist, dass wir zuerst dagegen waren, die elf Songs live einzuspielen. Unser Produzent Jack Shirley hat uns aber vor Beginn der Aufnahmen gefragt, ob wir eigentlich eine Live-Band sind. Verdutzt haben wir natürlich ja gesagt. Er meinte dann, dass wir es einfach mal versuchen sollten, und hat damit unsere Herangehensweise auf ein höheres Level gebracht. Normalerweise sind da nämlich immer die Zweifel, ob ein Take gut genug war. Diese Zweifel kannst du dir bei einer Live-Aufnahme nicht leisten. Unser Drummer Chad Williams hat die Songs auch ohne Klick-Spur eingespielt. Am Ende würde ich sagen, dass wir die Energie unserer Live-Shows so authentisch wie nie zuvor auch auf Platte gebannt haben.
Lass uns über ein Zitat von dir sprechen. Du hast im Zusammenhang mit „Frail Bray“ gesagt, dass es einfach ist, ein Arschloch zu sein, aber schwer, nachdenklich, hoffnungsvoll und nett zu sein.
Ich denke, dass viele Leute sich hilflos fühlen, wenn sie sehen, was in der Welt abgeht. Soll ich Geld spenden? Sollte ich gemeinnützige Arbeit machen? Sollte ich nicht mehr so oft mit meinem Auto fahren? Viele Leute fühlen sich schuldig an der Entwicklung der Menschheit und verfallen in Aktionismus. Dabei ist es doch ein Einfaches, die Menschen mit dem Respekt zu behandeln, den du dir auch von ihnen wünschst. Im Moment wäre ein Zeichen von Respekt zum Beispiel, dass du anderthalb Meter Abstand zu anderen hältst oder öfter auch mal Danke sagst. Auf den ersten Blick sind das ganz banale Dinge, die aber einen großen Effekt haben. Grundsätzlich bin ich sowieso der Meinung, dass es besser allen gut geht, als dass eine Handvoll Milliardäre ein abgefahren gutes Leben auf Kosten der anderen haben. Andere Menschen mit Respekt zu behandeln und nett zu sein, kostet ja schließlich auch kein Geld.
Hat das Album aus diesem Grund auch eine eher positive Message, nachdem „Tremulous“ ja noch sehr düster war?
Mir war es wichtig, dass die Leute begreifen, dass es immer irgendwie weitergeht. Egal, wie schlecht es gerade läuft oder wie deprimierend die aktuelle Situation ist. Es geht schon irgendwie weiter und es lohnt sich, sich Gedanken über die Zukunft zu machen. Die Denkweise habe ich von meinem Opa, der enorm viel Lebensfreude ausgestrahlt hat. Wir müssen etwas haben, auf das wir uns freuen können und das uns Hoffnung macht. Hast du so etwas nicht in deinem Leben, dann besteht die Gefahr, dass du es durch andere Sachen verschwendest.
Was hältst du davon, dass euer Song „Wildflowers of Italy“ eigentlich die Hymne für das Jahr 2020 sein könnte?
Das würde mir natürlich gut gefallen. Ich habe italienische Vorfahren. Mein Urgroßvater kommt aus Norditalien, das ja besonders hart von der Pandemie betroffen ist. Dieser Song ist stellvertretend für die Stimmung auf „Frail Bray“. Es gibt diesen Hoffnungsschimmer, an den man sich klammern kann.
„The leopard and the juniper“ ist ein recht aggressiver Opener, auch was den Text angeht. Wie stehst du dazu, dass Leute deine Texte interpretieren und den Songs am Ende vielleicht eine ganze andere Bedeutung geben?
Ich achte beim Schreiben der Songs sehr genau auf die Wörter und Bilder, die ich verwende. Was das angeht, bin ich super enthusiastisch. Ich kann niemandem vorschreiben, was er oder sie zu denken hat. Im Gegenteil, ich freue mich über alle, die sich Gedanken über unsere Songs machen.
Lass uns zum Abschluss noch über das eher ungewöhnliche Coverdesign von „Frail Bray“ sprechen. Wie kam es, dass ihr ausgerechnet ein Bandfoto ausgewählt habt?
Ich kann dir sagen, dass wir uns als Band die meiste Zeit über Kunst streiten. Wir sind, was das Musikalische angeht, eine Demokratie. Die Ideen zu den Texten und zur Musik kommen von mir und wir bearbeiten das Ganze dann zusammen, so lange, bis wir fünf damit komplett zufrieden sind. Soweit sich das auf unsere Songs bezieht, funktioniert das super. Das Design ist aber eine ganz andere Sache. Um es kurz zu machen: Ich stehe mehr auf Kunst, die überhaupt nichts mit Punkrock zu tun hat. Vor allem wollte ich kein Plattencover, das uns aussehen lässt, als wären wir die RAMONES. Den anderen gefiel die Stimmung, die unsere Bandfotos ausstrahlten aber so gut, dass sie sich ganz demokratisch dafür entschieden haben, diese als Cover von „Frail Bray“ zu benutzen. Nach ein paar schlaflosen Nächten habe ich mich mit der Entscheidung abgefunden. Immerhin konnte ich noch durchsetzen, dass weder der Albumtitel noch unser Name auf dem Cover zu sehen ist.
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