WEAKERTHANS

Das zweite Album der WEAKERTHANS hat einige Überraschungen zu bieten, wobei vor allem die ruhige, melancholische Grundstimmung von "Left And Leaving" hervorsticht. Das Ox unterhielt sich mit Frontmann John K. Samson, der früher bei PROPAGANDHI tätig war. Das Thema PROPAGANDHI kommt in unserem Gespräch allerdings nicht vor, was ich ganz bewusst so gesteuert habe, schließlich ist der gute Mann schon oft genug mit Fragen über seine ehemalige Band gelöchert worden. Statt dessen konzentrieren wir uns hauptsächlich auf den zweiten Longplayer der vier Kanadier, der in Deutschland übrigens auf B.A. Records veröffentlicht wurde. Am Anfang des Gesprächs habe ich auch Marcus (ex-...BUT ALIVE) am Apparat, auf dessen Label sich die WEAKERTHANS befinden. Die Band befindet sich gerade in Hamburg, wo ich John K. Samson zwischen dem Soundcheck und dem Auftritt an die Strippe bekomme. Trotz aller Hektik (John telefonierte teilweise mit dem Handy von Marcus) entpuppt er sich als äußerst angenehmer und redseliger Interviewpartner, was das ohnehin schon sehr sympathische Album der Kanadier noch sympathischer macht.

In Kanada konnte sich "Left And Leaving" sogar einige Wochen an die Spitze der nationalen College Charts etablieren, wie John erzählt: "Im August hielten wir uns einige Wochen auf Platz 1 auf, nachdem die Platte im Juli veröffentlicht wurde. Über den Erfolg in Kanada können wir uns echt nicht beschweren. Aber auch in den Staaten läuft es mittlerweile ganz gut." Hat er mit dem relativ großen Erfolg der Platte gerechnet? Und wie kommt er mit dem Erfolg zurecht? "Ich bin in gewisser Weise schon stolz darauf, aber ich lese so gut wie keine Plattenbesprechungen", antwortet John. "Weisst du, schlechte Kritiken können nämlich ganz schön verletzend sein. Und gute Kritiken bewirken oft, dass man leicht abhebt. Manchmal ist es ein seltsames, fast beängstigendes Gefühl, wenn man bewertet und kritisiert wird. Deswegen lese ich mir die ganzen Sachen erst gar nicht durch."

Nun ist ja "Left And Leaving" um einiges ruhiger und softer als noch das Debütalbum "Fallow" ausgefallen. Hatte John denn keine Angst, dass sich dadurch einige Leute von der Band abwenden könnten? "Doch, ich hatte sogar sehr große Angst, aber im Prinzip hatten wir in dieser Zeit gar keine andere Wahl, weil wir nur diese Songs zur Verfügung hatten. Wir entschieden uns, einfach die Songs aufzunehmen, die wir wollten. Und jetzt sind wir sehr positiv überrascht, wie offen und tolerant die Hörer doch sind." Qualität setzt sich manchmal eben doch noch durch.

Doch wie würde er den Sound der WEAKERTHANS im Jahre 2000 am einfachsten beschreiben? Es sind ja schon die abenteuerlichsten Sachen wie "Folk Rock", "Songwriter Pop" oder "Emo" geschrieben worden. "Eigentlich bin ich mit allem einverstanden, was über unseren Sound geschrieben wird", gibt sich John sehr diplomatisch. "Aber über die Emo-Szene weiss ich zum Beispiel so gut wie gar nichts, obwohl wir oft in diese Ecke gerückt werden. Ich habe mir diese ganzen Sachen noch nie angehört. Ich höre eher Folk und Country." Was man der Musik von den WEAKERTHANS sicherlich auch anhört. "Wir sind eine Band aus Winnipeg", fährt er fort, "und wir sind sicherlich von der Musik dieser Gegend beeinflusst worden. Aber im Prinzip sind wir einfach nur eine Rock´n´Roll-Band."

Und wie sieht es mit der Punkrock-Szene aus? Fühlt er sich als ehemaliges PROPAGANDHI-Mitglied nicht auch noch mit dieser Szene verbunden? "Doch, sicherlich", lautet die Antwort, "und zwar speziell in politischer Hinsicht. Ich bin schließlich mit diesem Gedankengut aufgewachsen. In der Punk-Szene habe ich gelernt, wie man Musik macht und wie man ein Instrument bedient. Vor allem aber wurde durch sie meine politische Philosophie geprägt." Eine kleine Einschränkung gibt es jedoch: "Auf der anderen Seite möchte ich mich nicht auf ein reines Punkrock-Publikum beschränken, weil ich vor allen Leuten spielen möchte, die mich hören wollen. Musik sollte Grenzen einreißen, nicht aufbauen." Besser kann man es eigentlich nicht ausdrücken. Und was rotiert zur Zeit auf dem Plattenteller in seinen eigenen vier Wänden? "Eine ganze Menge Sachen - Elliot Smith, Elvis Costello oder Tom Waits zum Beispiel. Aber auch Punkrock-Bands wie GREEN DAY, FUGAZI oder JETS TO BRAZIL."

Mit JETS TO BRAZIL hat er mir ein gutes Stichwort gegeben, weil dort Blake Schwarzenbach tätig ist. Und eben jener Blake Schwarzenbach war früher bei JAWBREAKER tätig, mit denen THE WEAKERTHANS schon oft verglichen wurden. "Ja, das stimmt, mit JAWBREAKER sind wir wirklich schon oft in einen Topf geschmissen worden. Aber der Vergleich stört mich nicht, weil JAWBREAKER speziell in den frühen neunziger Jahren einen großen Einfluss auf mich ausgeübt haben, als ich mit dem Schreiben von Songs anfing. Gerade auch in lyrischer Hinsicht fühle ich mich sehr mit JAWBREAKER verbunden, weil Blake Schwarzenbach ein großartiger Songwriter ist."

Die Texte der WEAKERTHANS, die John alle selbst verfasst, spielen eine sehr wichtige Rolle für ihn: "Für mich sind die Texte genauso wichtig wie die Musik. Ich möchte, dass man meine Texte auch unabhängig von der Musik lesen kann, fast wie ein Buch eben." Deshalb auch das sehr liebevoll und aufwendig gestaltete Booklet, das man wirklich gerne in die Hand nimmt, um die Texte genauer zu studieren: "Ich arbeite wirklich hart an meinen Texten - ich brauche verdammt lange für sie!" Auf den ersten Blick scheinen sie ausschließlich persönliche Themen zu behandeln, aber beim näheren Hinsehen kann man auch politische Untertöne entdecken. Richtig beobachtet? "Ja, es gibt tatsächlich politische Untertöne. Ich versuche halt Geschichten aus meiner direkten Umgebung zu erzählen. Das alleine ist schon politisch. Wenn ich ernsthafte und ehrliche Texte schreibe - und ich glaube, dass ich das tue - schimmert auch meine politische Einstellung irgendwie durch. Aber ich bin bestimmt kein Propagandist, der predigt. Das können andere Leute besser." Was mich zur Frage bringt, was zuerst kommt: die Texte oder die Musik? "Das variiert von Song zu Song. Jedes Stück hat eine andere Entstehungsgeschichte. Manchmal existiert der Text zuerst, manchmal die Musik. Aber generell dauert der Entstehungsprozess eines Songs sehr lange - so etwas passiert nicht innerhalb von wenigen Tagen. Außerdem touren wir sehr viel. Wir haben dieses Jahr schon über 120 Shows gespielt." Mag er das Leben on the road? "Schwer zu sagen, weil ich mich nie richtig entscheiden kann", lacht er. "Oft hasse ich das Tourleben regelrecht, aber manchmal mag ich es auch gerne. Das ist schon ein seltsamer Lebensstil, an den ich mich in den letzen zehn Jahren immer noch nicht richtig gewöhnt habe. Aber langsam finde ich mich damit ab..."

Vor nicht allzu langer Zeit gingen die WEAKERTHANS ja mit ELLIOTT auf Amerika-Tournee. Was für Eindrücke hat John von dieser gemeinsamen Tour mitgenommen? "Das war eine schöne Erfahrung für mich - ELLIOTT sind einfach großartig! Sie ein klein wenig größer als wir, aber nicht viel. Jede Band hat ungefähr hundert Leute pro Auftritt angezogen, was in einem so schwierigen Land wie Amerika sehr schwer zu erreichen ist. Wir haben jeden Abend vor einer schönen Menge an Menschen gespielt."

Themawechsel: Es ist allgemein bekannt, dass sich John K. Samson sehr für Politik interessiert. Das Gespräch mit ihm fand einen Tag nach der bizarren Präsidentenwahl in den Vereinigten Staaten statt, als noch niemand wusste, wie denn nun eigentlich der nächste Präsident der USA heissen wird. Was hält John von dem mehr als knappen Wahlausgang? "Oh, das ist wirklich unglaublich, was da gerade abgeht", lacht er. "Ich habe schon den ganzen Tag rumtelefoniert, um den letzten Stand der Dinge zu erfahren. Ich wünsche mir schon die ganze Zeit, dass ich Zuhause wäre, weil ich bei solchen Dingen ein echter Junkie bin." Und wen favorisiert er letztendlich? Bush oder Gore? "Keinen von beiden", lautet die wenig überraschende Antwort. "Das knappe Wahlergebnis zeigt meiner Meinung nach doch nur, dass es zwischen beiden Parteien so gut wie keine Unterschiede gibt. Eigentlich ist es doch egal, ob ein Demokrat oder ein Republikaner im Weissen Haus sitzt. Die Gesichter ändern sich vielleicht, aber die Politik wird sich nicht ändern. Ich persönlich fände es aber trotzdem besser, wenn Gore Präsident werden würde, weil er eine liberalere Einstellung gegenüber der Abtreibung hat. Ich bin Pro Choice."

Am meisten hat es ihm aber eine andere Person angetan, die vielleicht das Zünglein an der Waage spielen könnte: "Ich interessiere mich sehr für Ralph Nader, der für die Grünen antritt. Es ist das erste Mal, dass die Grünen ins Rampenlicht treten und Einfluss auf den Wahlausgang haben. Zum ersten Mal seit 60 oder 70 Jahren findet eine linke Partei Gehör." Und wo würde er sich selbst auf der politischen Skala einordnen? Anarchist? Sozialist? "Ich betrachte mich selbst eher als Sozialist, weniger als Anarchist. Ich würde demokratischer Sozialist sagen. Ich bin sehr stark von Marx beeinflusst worden." Und wie es sich für gute Sozialisten gehört, spendet die Band einen Teil der Einnahmen an wohltätige Organisationen: "Ein Teil der Einnahmen aus den USA geht zum Beispiel an eine Organisation namens Art City in Winnipeg. Das ist so eine Gemeinschaftseinrichtung, die sich auf Kunst und den künstlerischen Ausdruck von Gefühlen spezialisiert hat, während sich die meisten anderen Einrichtungen auf Sport konzentrieren. Wir denken, dass das eine sehr sinnvolle Organisation ist, die es auch armen Leuten ermöglicht, sich künstlerisch zu betätigen." Und auch die WEAKERTHANS werden sich in der Zukunft weiterhin künstlerisch betätigen, wie mir John verrät, als ich ihn nach den Zukunftsplänen seiner Band frage: "Wir haben schon zwei fertige Songs für eine neues Album. Und vier, fünf weitere, die gerade entstehen. Wir werden im Winter eine kleine Pause einlegen, um an der neuen Platte zu arbeiten." Ich für meinen Teil freue mich jetzt schon auf den neuen Output dieser Combo...