VIC BONDI

Foto© by Bob Hanham

Über miese Abzocker, Ultra-Linke und Corona-Verschwörungen

Vic Bondi blickt auf eine vielseitigere musikalische Vita zurück als die meisten Punks. Am besten erinnert man sich an ihn aber als Frontmann der legendären Hardcore-Band ARTICLES OF FAITH aus den Achtziger Jahren. Joachim Hiller vom Ox-Fanzine ist 2010 für eine Reunion-Show der Band auf dem Riot Fest sogar eigens nach Chicago geflogen.

Bondi war aber auch mit einer Reihe anderer Bands aktiv, darunter ALLOY, JONES VERY, REPORT SUSPICIOUS ACTIVITY, DEAD ENDING und aktuell REDSHIFT aus Seattle mit Schlagzeuger Adam Gross und Bassist Mike Catts. Die drei haben während der Corona-Pandemie die Online-EP „Stay At Home Orders“ veröffentlicht, ihre neue LP „Worst Timeline Possible“ soll diesen November bei Boss Tuneage erscheinen.

Aber Punkrock ist bei weitem nicht alles, was Vic Bondi gemacht hat; er hat auch drei akustische Soloalben aufgenommen. Kürzlich hat er auf seiner Bandcamp-Seite einen Rough Mix des 1987 aufgenommenen Albums „In Hope And Fear“ veröffentlicht, „überspielt von einer Kassette, die schon lange Schrott ist“, wobei zwei Tracks „nicht mehr zu retten“ waren. Obwohl Vic ziemlich hart über die Klangqualität urteilt, ist es immer noch sehr hörenswert, wenn man nicht auf eine ordentliche Veröffentlichung warten will. Ein weiteres akustisches Soloalbum, „Across The Bridge“, das er 2010 in Seattle aufgenommen hat, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht veröffentlicht – was darauf hindeuten könnte, dass er noch Pläne dafür hat. Aber auf seiner Bandcamp-Seite gibt es noch eine Fülle anderer erstaunlicher Musik, von ARTICLES OF FAITH, die „Fortunate son“ von CREEDENCE CLEARWATER REVIVAL covern, bis zu DEAD ENDING mit ihrer furiosen Abrechnung mit Donald Trump in „Ivanka wants her orange back“.

Obwohl ich ARTICLES OF FAITH liebe – ihre EP „New Normal Catastrophe“ aus dem Jahr 2010 ist eine der stärksten, ergreifendsten Reunion-Platten, die ich je gehört habe, und viel besser, als man es sich hätte erhoffen können –, war mein erster persönlicher Kontakt mit Vic ein Solo-Akustik-Set, das er Mitte April 2022 als Opener für Bob Mould im Rickshaw Theatre in Vancouver spielte (mehr dazu auf meinem Blog „Alienated in Vancouver“). Das war bis jetzt das einzige Mal, dass ich Vic Bondi live gesehen habe, und es war unglaublich. Im Publikum waren außerdem der ehemalige Leadsänger der GAYE BYKERS ON ACID sowie Ford Pier aus dem NOMEANSNO-Umfeld und der lokale Punk-Fan Adam Kates, der Vic Bondi bereits in den Achtziger Jahren mit JONES VERY in Toronto gesehen hatte.
Bei diesem Auftritt im Rickshaw spielte Vic, auf seinen Basssaiten klimpernd, was wie eine phantomhafte Cello-Begleitung klang, Versionen von ARTICLES OF FAITH-Songs, darunter „What we want is free“ und „Remain in memory“, das ALLOY-Stück „More alone with you“ und ein Lied – das er mit DEAD ENDING wie auch REDSHIFT aufgenommen hat – über den Selbstmord des Kulturtheoretikers der Frankfurter Schule Walter Benjamin. Das Video, das ich an diesem Abend gedreht habe, ist auf YouTube zu sehen – sucht nach „Vic Bondi HÜSKER DÜ story“; ihr werdet auch hören, wie er „Getting nowhere“ von der „The Ghost Dances“-LP und das bereits erwähnte ALLOY-Cover vorträgt.

Das folgende Interview konzentriert sich vielleicht ein bisschen mehr auf Vics akustische Aufnahmen, als es dem durchschnittlichen ARTICLES OF FAITH-Fan lieb ist. Er erzählt uns aber auch, wie er zum ersten Mal HÜSKER DÜ gesehen hat und von seiner Zusammenarbeit mit Bob Mould, der die ersten beiden ARTICLES OF FAITH-LPs, „Give Thanks“ von 1984 und „In This Life“ von 1986, produziert hatte. Später werden wir auch auf die Chicagoer Szene und Vics viele Bands zu sprechen kommen, doch dazu mehr im zweiten Teil.

Ich habe nicht oft die Gelegenheit, einen Musiker zu interviewen, der zugleich auch Professor ist. Was war das Thema deiner Doktorarbeit?
Ich habe 1993 an der Boston University in Geistesgeschichte promoviert und meine Dissertation über den Ursprung der Totalitarismustheorie geschrieben. Totalitarismus ist ein Begriff aus dem 20. Jahrhundert, der erstmals 1922 von Giovanni Gentile, einem faschistischen italienischen Philosophen, verwendet wurde. Für ihn war es ein positives Konzept. Er war der Meinung, dass die Menschen nicht frei sein wollen, weil Freiheit von Natur aus Angst auslöst, sie wollen beherrscht werden, und da sie beherrscht werden wollen, ist die beste Regierungsform diejenige, die das konsequent umsetzt. Und genau das ist der Totalitarismus. Das ist also die erste Verwendung des Begriffs. Aber im Laufe des 20. Jahrhunderts hatte er natürlich eine Menge Bedeutungen. Dabei hat es in der Geschichte nie eine wirklich totalitäre Gesellschaft gegeben; man hat im Nachhinein herausgefunden, dass es immer alle möglichen Mechanismen gab, mit denen sich die Menschen dem Staat widersetzten, sogar in Nazi-Deutschland, in Stalins Russland oder im kommunistischen China. Es handelt sich also hauptsächlich um eine Idee, die in der Fiktion am wirkungsvollsten artikuliert wird. Orwells „1984“ ist eine viel, viel realere Beschreibung des Totalitarismus als alles andere in der Geschichte. Aber ich frage mich, ob es angesichts der heutigen computergestützten Überwachungsmechanismen nicht doch eine wirklich totalitäre Gesellschaft geben kann, die nicht weit von der Gegenwart entfernt ist. Denn eine Hürde bei der Umsetzung war, dass man niemals eine Polizei aufstellen konnte, die alle anderen lückenlos überwacht. Um einen Staat komplett zu überwachen, müsste man für jeden Menschen einen eigenen Polizisten haben – nur wer überwacht dann die Polizisten? Es handelt sich also um ein grundsätzliches Problem, aber mit der heutigen Technologie ist diese totale Überwachung mit einer Handvoll Menschen möglich, das hat es in der Geschichte so noch nie gegeben.

China scheint in diese Richtung zu drängen, indem es Handy-Apps und Ähnliches einsetzt, um das Verhalten der Menschen zu steuern.
China stößt hier an seine Grenzen. Aber denken wir mal an die aktuelle Abtreibungsdebatte, der Oberste Gerichtshof der USA hat „Roe vs. Wade“, das wichtige Grundsatzurteil für die legale Abtreibung, aufgehoben. Du wirst sehen, als Nächstes werden sie jedem Mädchen, das im Teenageralter schwanger wird, ein Tracking-Armband oder eine Fußmanschette verpassen, um ihre Biofunktionen und ihren Standort zu kontrollieren, damit sie nicht für einen Abbruch die Staatsgrenze überquert. Die Telemetrie würde natürlich auch verraten, wenn sie die Abtreibungspille nehmen sollte. Man kann also effektiv alle schwangeren Frauen in Amerika gleichzeitig überwachen. Ich bin davon überzeugt, dass Typen wie Peter Thiel oder die Republikaner bereits über so etwas nachdenken. Sie haben das definitiv auf dem Radar.

Mich würde interessieren, ob es Überschneidungen zwischen deiner Lehrtätigkeit und deinem Musikerleben gibt. Du hast zum Beispiel ein Album geschrieben, dessen Titel auf den „Ghost Dance“ verweist, meines Wissens nach eine kurzlebige religiöse Bewegung der amerikanischen Ureinwohner im 19. Jahrhundert, die sich im Wesentlichen gegen die Weißen wandte ...
Ja, ich habe etwa acht Jahre lang in Boston und New Hampshire amerikanische Geschichte, Kultur und Philosophie gelehrt, und ja, „The Ghost Dances“ ist eine bewusste Anspielung auf diesen Kult, der in vielerlei Hinsicht eine Epoche der indigenen Kultur in den Great Plains abschließt, die mit der Ausbreitung der Pferde auf dem amerikanischen Kontinent ihren Anfang genommen hatte. Es ist ein trauriger Moment in der Geschichte, fast eine Elegie für eine Welt im Vergehen. Ich hatte diesen Zyklus von Liedern 1985 auf der AOF-Tour geschrieben, die durch Montana und Wyoming führte, kurz bevor die Band sich auflöste, ich mich von meiner Freundin trennte und nach Boston zog. Ich war noch zuvor nie in den Great Plains gewesen und der Himmel und die Tiefe dieser Landschaft haben mich wirklich beeindruckt. So viel Himmel, dass es einen erdrückt. Ich habe das Album in jenem Winter in den Inner Ear Studios in DC mit Don Zientara aufgenommen. Da die Songs in den Great Plains geschrieben wurden und sich auch meine persönliche Situation radikal verändert hatte, habe ich mir diesen Begriff ausgeliehen. Die Platte ist eher zufällig entstanden. Am Anfang habe ich einfach eine Kassette mit den Songs gemacht und sie an Freunde weitergegeben. Aber die Leute fingen an, sie zu kopieren, und sie zirkulierte weithin und schließlich kontaktierte mich Pat Dubar von UNIFORM CHOICE – den ich gar nicht kannte – und fragte, ob er sie auf Vinyl herausbringen könnte, was er 1988 tat. Es war vielleicht die erste Akustikplatte, die die Hardcore-Szene hervorbrachte. Es erschien nur eine kleine Auflage, aber die Leute, die diese Platte haben ... viele von ihnen nehmen sie sich wirklich zu Herzen. Es ist wohl die am tiefsten empfundene Musik, die ich je gemacht habe, und sie scheint bei den Leuten anzukommen. Ich habe viele der Songs im Vorprogramm von Bob Mould gespielt.

Es gibt verschiedene Effekte auf dem Album, gab es dafür eine bestimmte Inspiration oder einen Grund? Stammt das alles von dir?
Ich habe versucht, mit „The Ghost Dances“ so etwas wie Bob Dylans „Blood On The Tracks“ oder Bruce Springsteens „Nebraska“ zu schreiben – was nicht heißen soll, dass es in dieser Liga spielt. Sie aufzunehmen war großartig, denn Inner Ear befand sich damals noch in Dons Keller, und es waren nur er und ich, die zusammenarbeiteten. Es finden sich eigentlich gar nicht so viele Effekte auf der Platte, außer dass wir mit dem Hall herumgespielt haben – es gab einen kleinen Synthesizer im Studio, also habe ich ein paar Ambient-Sounds integriert. Aber die meisten Sachen, die man hört, sind nur meine Stimme oder eine Gitarre mit viel Hall.

Auf der Wikipedia-Seite zu AOF steht etwas, das darauf hindeutet, dass die Vor-Hardcore-Version der Band, DIRECT DRIVE, Bruce Springsteen gecovert hat. Das kam mir schon immer seltsam vor – ich kann mir nicht vorstellen, dass Bruce bei den Punks der Achtziger Jahre viel Ansehen genoss. [Es gibt online einen Aufsatz von Richard Meltzer, „No Excuse for Bruce After Punk“, der Springsteen auf ziemlich unterhaltsame Weise schlecht macht, wobei ich selbst, um es klar zu sagen, einige seiner Alben sehr mag!]
DIRECT DRIVE haben nie einen Bruce Springsteen-Song gecovert; AOF auch nicht. Ich liebe das vierte Album, „Darkness On The Edge Of Town“, und „Nebraska“. Der Rest ... also ich mag die „Devils & Dust“-Single. Aber Bruce wirkt ein bisschen wie ein Klischee seiner selbst, deshalb mag ich die meisten seiner Platten nach „Nebraska“ nicht. Und so sehr ich Tom Morello auch liebe, so sehr hasse ich die Sachen, die er mit ihm gemacht hat. Sie sind reichlich mittelmäßig. Abgesehen davon war Springsteen in der Highschool ziemlich wichtig für mich – für mich war er einfach der coolste Typ überhaupt. „Darkness ....“ kam an dem Tag heraus, an dem ich die Highschool abschloss, und ich lernte jeden einzelnen Lick auf dieser Platte zu spielen. Die Tour der E STREET BAND in dem Jahr war perfekt – die Videos davon auf YouTube sind unglaublich. Aber ehrlich gesagt habe ich das Gefühl, dass Springsteen nach „Darkness ...“ die falsche Richtung eingeschlagen hat. Er wurde zu diesem Rockkonzern. Wäre er bei diesem urbanen Bohemian-Jazz-Vibe geblieben, den er auf dieser Platte hatte, wäre aus ihm so was wie ein Tom Waits geworden. Zuletzt sah ich ihn 2018 aus einer Laune heraus mit einem Schwarzmarkt-Ticket, und er spielte vier Stunden ohne Pause. Sein Schlagzeuger Max Weinberg hat vier verdammte Stunden durchgeknüppelt. Vor einem solchen Maß an Hingabe verblassen alle Argumente.

Apropos Tom Morello, du hast auch mal mit ihm zusammen gearbeitet, richtig?
Es gibt zwei Alben, die ich 1996/97 mit Tom Morello aufgenommen habe, die nie veröffentlicht wurden und wahrscheinlich auch nie veröffentlicht werden, da Tom viele der Songs, die er für dieses Projekt, das er WEATHERMAN nannte, geschrieben hat, für AUDIOSLAVE wiederverwendet hat.

Mir ist aufgefallen, dass du öfter dein Facebook-Profilfoto änderst, es sind verschiedene Personen aus der Geschichte, ohne zu erklären, wer sie sind. Als bekannt wurde, dass der Oberste Gerichtshof plant, das Grundsatzurteil zum Thema Abtreibung zu kippen, hast du eine Frau als Profilbild eingestellt. Kannst du uns verraten, um wen es sich handelt?
Das war Margaret Sanger. Sie war eine der ersten Vorkämpferinnen in den USA für Geburtenkontrolle und das Recht der Frau auf reproduktive Selbstbestimmung. Sie ist eine etwas umstrittene Figur, weil sie, wie viele andere fortschrittliche Frauen ihrer Zeit, mit der Eugenik kokettierte, aber insgesamt war sie eine wirklich positive Figur. Sie war die erste Frau, die sich landesweit für Geburtenkontrolle aussprach und diese als sehr wichtig ansah. Zu dem Bild gehört ein Zitat von ihr, in dem es darum geht, dass Mutterschaft eine freie Entscheidung sein muss, wenn sie einen Sinn haben soll, und kein Zwang. Und ich denke, das ist absolut richtig. Niemand sollte gezwungen werden, Mutter zu sein. Heute habe ich aber auch in der Zeitung gelesen, dass die Taliban den Frauen jetzt vorschreiben, in der Öffentlichkeit eine Burka zu tragen. Ich war im Nahen Osten, ich war in Kairo und habe Frauen so komplett verhüllt herumlaufen sehen, und finde das wirklich, wirklich verstörend. Es hat etwas unglaublich Unheimliches und Falsches an sich. Mir geht es nicht um Kulturrelativismus. Aber sorry, wenn es das ist, wohin die religiöse Praxis im Islam führt, und ich glaube nicht, dass das zwangsläufig der Fall ist ... dann ist das eine beschissene Idee. Frauen zu nötigen, dieses abscheuliche Gewand zu tragen, ist einfach falsch. Also in dem Fall war es Margaret Sanger, aber es werden auch wieder andere Persönlichkeiten sein. Ich wüsste nicht, warum ich selbst auf dem Bild zu sehen sein muss. Es können genauso gut die Menschen sein, die mich inspiriert haben. Also, verstehst du, die Frauenrechtlerin Margaret Sanger bin ich, der Sozialistenführer Eugene Debs bin ich ... Oder Louis Brandeis, den hatte ich sogar mehrmals. Das war der erste jüdische Richter am Supreme Court und von ihm gibt es einen wirklich großartigen Spruch: „Wenn das Gesetz respektiert werden soll, muss das Gesetz respektabel sein.“ Das halte ich für eine ziemlich aufschlussreiche Aussage. Außerdem hatte ich da Ulysses Grant, Abraham Lincoln, den Schriftsteller James Baldwin, Malcolm X ... Es hängt immer davon ab, was mich gerade beschäftigt.

Es scheint auch meist mit aktuellen Ereignissen zusammenzuhängen.
Normalerweise gibt es irgendetwas in den Ereignissen, das mich dazu bringt, mich an sie zu erinnern. Das sind die Schwächen im Leben eines Mannes, der Geschichte studiert hat, schätze ich.

Ich möchte dich etwas über den Song „Walter Benjamin at the border“ von REDSHIFT fragen, der auf „Stay At Home Orders“, einem deiner Corona-Projekte, enthalten ist. Das ist ein verdammt herzzerreißender Song. Es ist eines dieser Stücke, bei denen ich mir beinahe Sorgen um den Sänger mache – die Vorstellung von Walter Benjamin, der Selbstmord begeht, weil er dachte: „it would never end“, und zugleich ist da dieser scheinbar endlose Kreislauf des Bösen, zu dem die Republikaner Amerika jedes Mal verdammen, wenn sie an die Macht kommen ... Ich meine, zieht es dich nicht runter, dass die Situation in Amerika einfach immer beschissener zu werden scheint?
Ja, das tut es. Ich habe diesen Song mitten in der Trump-Präsidentschaft geschrieben, ich habe vergessen, was der genaue Anlass dafür war, aber ich habe mich mit dem Werk von Benjamin intensiv beschäftigt. Er hat in den Dreißiger Jahren einen fantastischen Essay mit dem Titel „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ geschrieben, der wirklich einer der tiefgründigsten philosophischen Texte des 20. Jahrhunderts ist. Da ich Totalitarismus studiert habe und die Familie meiner Frau im Holocaust umkam, denke ich viel über die Menschen nach, die die Entscheidung trafen, Nazi-Deutschland zu verlassen. Was war für sie der Wendepunkt? Was war der Punkt, an dem sie dachten: Das wird schlimm enden, ich muss hier weg. Benjamin wurde als Jude aus Deutschland verjagt, er ging nach Paris, kurz bevor die Nazis es einnahmen, und landete schließlich in Spanien. Dort brachte er sich um. Und eines Nachts hatte ich das Gefühl, dass ich plötzlich verstanden habe, woher das bei ihm kam. Wenn das, was dich aktuell umgibt, in deinen Augen der Beginn von tausend Jahren Dunkelheit ist, warum solltest du dann noch weitergehen wollen? Und darum dreht sich der Song. Es geht nicht wirklich um mich. Ich bin kein selbstmordgefährdeter Mensch; ich bin nicht einmal wirklich depressiv. Aber mit Trump hatten wir den Punkt erreicht, wo ich dachte: Heilige Scheiße, das war es jetzt. Das ist der Untergang des Römischen Reichs, das ist das Ende und uns stehen tausend Jahre Dunkelheit bevor. Nur dass wir es jetzt auch noch mit einem digitalisierten Polizeistaat zu tun haben, der über ein Maß an Überwachungs- und Unterdrückungstechnologie verfügt, das historisch beispiellos ist. Ich glaube, was mich an den Ultralinken wirklich stört – und du musst wissen, ich war immer links –, ist dieser Hang zum Akzelerationismus, diese schreckliche Lesart der Geschichte, wo sie sagen: „Jetzt ist der Lenin-Moment oder jetzt ist der Weimar-Moment, wo wir auf die Straße gehen müssen und die Spaltung der Gesellschaft beschleunigen müssen, damit wir die Produktionsmittel für die Arbeiter beschlagnahmen können.“ Ich meine, ich habe einfach das Gefühl, dass diese Art von Rhetorik, diese Art von Polarisierung, diese Art von mangelnder Bereitschaft, mit Leuten von der mittleren Linken und der gemäßigten Linken und sogar der gemäßigten Rechten zusammenzuarbeiten, verdammt schräg ist ... Offen gesagt, denke ich, dass viele der schärfsten politischen Kritiker im Moment die „Never-Trumpers“ sind, die Konservativen, die völlig verärgert darüber sind, was mit dem Konservatismus in Amerika passiert ist. Ich meine, sie sind zum Teil dafür verantwortlich, aber, verdammt noch mal, sie wollen wenigstens versuchen, diesen Völkermord zu stoppen. Ich habe keine Zeit für Akzelerationisten. Ich glaube, sie haben ein völlig falsches Geschichtsverständnis und verstehen auch von der marxistischen Dialektik nicht das Geringste. Das macht mich wahnsinnig.

Teil 2 folgt in Ox #164