VEX

Foto© by Guntram Pintgen

Synthpop aus einem Punkrock-Blickwinkel

Eine Synthie-Pop-Band in einem Punkrock Fanzine? Ja, genau! VEX aus dem schwedischen Malmö, die vor kurzem mit „Living Up To Low Expectations“ ihr zweites Album veröffentlicht haben, konnten im März bei einem Konzert mit PISSE und SNIFFING GLUE derart überzeugen, dass wir Bandleader Tobias Kastberg (ex-THE GUILT) und seine Mitstreiter Sasha Reiss (gt) und Frida Ekerlund (back vocs) um ein Gespräch baten.

Bei der Vorbereitung auf dieses Interview fiel mir auf, dass Discogs VEX als Nummer 37 von Bands gleichen Namens führt.

Tobias: Ja, es gibt mindestens 40 mit diesem Namen. Ich hätte da besser nachdenken sollen, was ich aber nicht habe. Verklagt mich doch, haha.
Sasha: Hmm, ich werde immer gefragt, was VEX bedeuten soll, da die Leute mit dem Namen nichts anfangen können. Nummer 37? Fühlt sich nicht so an.

Bei eurer Art von Musik bin ich nicht wirklich im Thema und sie erinnert mich stark an die ganz frühen DEPECHE MODE zu „Speak & Spell“-Zeiten.
Tobias: Klar, DEPECHE MODE sind ein Einfluss, der ganze frühe Achtziger-Kram, wobei es da eher DEVO, NEW ORDER oder BLONDIE sind. Dieser Post-Punk/Synthpop, aber aus einem Punkrock-Blickwinkel heraus. Ich würde sagen, dass wir einfach ein Haufen Punks sind, die tanzbaren Synthpop spielen. Auch wenn du da DEPECHE MODE heraushörst, bekommst du auch eine Menge Punk-Einflüsse geboten.

Auf dem Cover von „Living Up To Low Expectations“ ist zu lesen, dass dieses Soloalbum eine Gemeinschaftsleistung sei. Was heißt das genau?
Tobias: Ich habe alle Songs geschrieben. VEX war zunächst mein Soloprojekt, aber man kann nicht alles alleine machen. Da gibt es das Album, aber wir sind auch eine Live-Band. Alleine auf der Bühne, das geht nicht. Ich brauchte eine Band, also kamen Frida und Sasha dazu. Ich habe alles selber aufgenommen, aber zusammen mit Gustav Brunn gemixt und gemastert, der mir geholfen hat, es so gut klingen zu lassen. Ich brauche Leute, damit es funktioniert. Ich brauche die Stimmung des Publikums.

Ist er der Gustav Brunn, der auch bei ATLAS LOSING GRIP war?
Tobias: Ja, genau der. Gustav kommt aus der gleichen Ecke Südschwedens wie ich und er hat die Hälfte des ersten THE GUILT-Albums gemixt, die Band, bei der ich früher war. Er leistet wirklich ganz hervorragende Arbeit.

Es scheint so, als hätten Musiker in Schweden wenig Berührungsängste mit anderen Musikstilen.
Tobias: Ja, genau. Er macht auch HipHop-Sachen, Punkbands, einfach alles.

Als ihr vor ein paar Tagen bei einem Konzert mit vier Punkbands auf die Bühne kamt, habt ihr da erwartet, dass der rappelvolle Saal euch derart abfeiern würde?
Tobias: Ich habe es nicht erwartet, aber mir den Arsch aufgerissen, um es zu erreichen. Das ist genau das, was ich will, was wir wollen, aber es gibt da keine Garantien. Vielleicht finden sie uns beim nächsten Mal scheiße.
Sasha: Aber die Wurzeln liegen im Punk. Heute kann man die Leute, auch wenn sie eigentlich nur Hardcore hören, leicht einfangen und begeistern. Man ist nicht mehr so engstirnig wie früher.
Tobias: Ich sehe das Publikum nicht als Punkfans, ich sehe sie als Musikfans.
Sasha: Allen ist gemeinsam, dass sie sich selber nicht zu ernst nehmen.

Reagiert das Publikum anders, wenn ihr nur mit Elektro-Bands spielt?
Tobias: Puh, es ist ein anderes Publikum, klar, und sie kleiden sich auch anders. Viele kleiden sich sehr schick und sehen aus wie Filmstars, die selber auf der Bühne stehen sollten, aber sobald wir spielen, tanzen sie sich die Seele aus dem Leib, lächeln und singen mit, wie alle anderen auch. Sie haben nur eine andere Ästhetik, oder nicht?

Erinnert ihr euch an Stockholm, wo Leute mit Haaren, die einen halben Meter hoch aufgestellt waren, Kontaktlinsen wie Katzenaugen und super hohen Stiefeln dagewesen sind und am Ende wild getanzt haben und auch einen gelben Ballon in Händen hielten?
Frida: Das Verhalten hat sich in den letzten zehn Jahren geändert, wenn es darum geht, seine eigene Komfortzone zu verlassen. Man kann heute die Genres mischen. Davor war es eher so, dass man „true“ sein musste. Heute ist das Publikum viel aufgeschlossener, wenn Bands spielen, die eigentlich nicht ins Line-up passen. Dieser „Keep it real“-Gedanke hat sich verändert – und das ist gut so.

Gilt das nur für Schweden oder erlebt ihr das auch woanders?
Sasha: Das ist eigentlich überall so. Die Menschen werden aufgeschlossener.

Tobias, welche Rolle spielt die Käsereibe, die sowohl auf dem Cover auftaucht als auch auf der Bühne zum Einsatz kommt und die du als Kettenanhänger trägst?
Tobias: Nun, es ist eine Kuhglocke, oder?! Sieht für mich jedenfalls so aus und ich dachte, dass es lustig sei. Ich wollte ein Symbol, so wie DEVO ihre Verkehrskegel und andere Bands eine Rasierklinge oder so haben. Da stimmt mir niemand zu, haha, aber genau deswegen finde ich es immer besser. Keine gute Idee ist es allerdings, sich die Käsereibe gegen den Kopf zu schlagen, weil man viele kleine Löcher davonträgt.

Wie war eigentlich die Ansage zu eurem Song „Science Fiction“ gemeint, hast du damit die Nachrichten gemeint?
Tobias: Ich habe die Leute gefragt, ob sie Science-Fiction-Sendungen mögen und die Nachrichten sind doch inzwischen genau das. Die Welt ist zu einer postapokalyptischen Science-Fiction-Show geworden.
Frida: Das Lied richtet sich auch gegen Fake News und Verschwörungstheorien.
Tobias: Wissenschaft gilt heute nichts mehr, Fakten sind keine Fakten mehr. Das ist schräg und erschreckend. Ich habe den Text zu Corona-Zeiten geschrieben, der Krieg in der Ukraine begann später.

Alle Platten sind bei Heptown erschienen, die einen wilden Mix von Bands auf dem Label haben.
Tobias: Ja, auf jeden Fall. Sie haben Punkbands unter Vertrag, machen aber auch Country oder Psychobilly.

Und seid ihr an sie gekommen?
Tobias: Ich komme nicht direkt aus Lund, wo sie ihren Sitz haben, stamme aber aus der Gegend. Als ich noch bei THE GUILT war, haben wir unsere Platten dort veröffentlicht. Ich bin also seit 2016 auf diesem Label.

Bist du mit ihrer Arbeit zufrieden?
Tobias: Auf dem DIY-Level, auf dem wir uns wie so viele andere Bands auch bewegen, ist es doch so, dass die Bands die meiste Arbeit selber machen. Ich arbeite gerne mit Heptown zusammen. Ich habe eine großartiges Verhältnis zu ihnen. Sie haben einen exzellenten Webshop, aber Promotion und Booking mache ich alles selbst. Ich bin aber sehr zufrieden mit ihnen. Nichtsdestotrotz sind wir immer offen für andere, neue Labels, die Interesse an uns zeigen. Man kann und sollte von einem Label nicht zu viel erwarten, denn niemand kümmert sich besser um deine Band und deine Musik als du selbst. Wenn du da mehr von einem Label erwartest, hast du bereits verloren. Vergiss es, das läuft nicht. Aber dennoch, wir haben eine gute Abmachung, mit der wir zufrieden sind.

Sasha, du bist vor ein paar Jahren von einer deutschen Kleinstadt in eine schwedische Kleinstadt umgezogen. Was ist anders, was ist gleich?
Sasha: Die Leute sind überall scheiße. Haha, nein, ich bin da schon mit großen Erwartungen hingezogen. Es gibt viele gute Musiker in Malmö. Sie brennen mehr für ihre Musik und sind viel umtriebiger als in Deutschland. Ich will jetzt aber auch nicht sagen, dass in Deutschland alles scheiße ist. Corona hat auch in Schweden der Szene hart zugesetzt. Was ich dort und in der Gegend um Malmö vermisse, sind gute alternative Konzertorte. Das muss vor zehn Jahren noch anders gewesen sein, wie man mir erzählte. Das alltägliche Leben ist in jedem Fall viel entspannter, was vielleicht auch an der geringeren Bevölkerungsdichte liegt.

Frida, du warst früher mit THE GUILT auf Tour und nun mit VEX ...
Frida: Ja, genau. Bei THE GUILT habe ich den Merch gemacht, nun stehe ich auf der Bühne und singe im Background mit, was echt Spaß macht.
Tobias: Du bist viel stärker in die Ausarbeitung der Show involviert.
Frida: Ja, das ist neu und echt toll. Im Vergleich zu THE GUILT sind VEX viel poppiger und viel näher an dem, was ich mag und was ich selber schreiben würde.
Tobias: Genauso wie bei THE GUILT sind viele Leute erst einmal skeptisch, wenn sie merken, dass wir ohne Drummer auftreten, aber gewöhnlich dauert es nur einen halben Song, und wenn das Publikum sieht, dass wir 100% geben und uns den Arsch aufreißen, dann haben wir sie.