Seit einer Weile gibt es in Münster das Studio und Label Unterschichten Records, betrieben von Tontechniker und OVER THE TOP-Sänger Sascha Wiesbrock und der Grafikdesignerin Tina Wortmann, und ein bisschen fühle ich mich als Namenspatin des liebevoll U-schi genannten Unternehmens. Immerhin war es 2010 ein Interview im Ox, in dem OVER THE TOP ihren Sound erstmals als „Unterschichten-Hardcore“ bezeichnet haben. Leider gibt es die Band seit kurzem nicht mehr. Dabei war ich so gespannt, was nach ihrer genialen Gesichtsmortadella-Picture-7“ wohl als Nächstes kommt.
Eine Frage zu OVER THE TOP habe ich trotzdem: Wie wolltet ihr so was Appetitliches wie die „Fleischplatte“ noch toppen?
Sascha: Wir haben zum Abschluss noch mal eine richtige Knallerscheibe aufgenommen: „Trash’n’Go“. Der Aufforderung des Plattentitels, nämlich zu gehen, ist die Band dann ja auch nachgekommen und hat sich aufgelöst. In der Folge haben wir uns dagegen entschieden, etwas Neues pressen lassen. Also steht das Teil jetzt zum freien Download auf der Website. Genau wie alle anderen Platten, die wir gemacht haben – sozusagen als Abschiedsgeschenk, da es leider keine Show mehr geben wird.
Kommen wir zu U-schi, wie ist euer Konzept?
Tina: Unterschichten Records verbindet Aufnahme, Produktion und Gestaltung. Das heißt, eine Band kommt zu uns, nimmt Songs auf bei Sascha und lässt sich dann von mir das Aussehen des Tonträgers designen.
Sascha: Professionelle Ergebnisse zu unprofessionellen Preisen, haha. Also wir machen zwar etwas, das öfter angeboten wird, aber achten sehr darauf, dass die Bands in die ganzen Prozesse miteinbezogen werden. Seit einiger Zeit haben wir auch einen Webshop, wo unsere Bands ihren Kram auch online anbieten können, und wir kümmern uns um die ganze Abwicklung von Verkauf und Versand. Der Gewinn geht dann an die Bands. Wenn mir eine Band besonders gefällt, steige ich auch gerne als Label bei der Finanzierung mit ein.
Wie fühlt es sich so an, das Leben als junge Startupper?
Sascha: Mega, ich bin mein eigener Boss. Und wenn die Bands gut drauf sind und ich meine Mikros so weit stehen habe und der Sound passt, kann ich mir sogar mal ein Bier genehmigen. Ein sehr lockeres Miteinander in geschmeidiger Atmosphäre. Wer will das nicht? Bei dem ganzen Biertrinken muss natürlich auch das Ergebnis immer noch stimmen.
Mehr D.I.Y. oder Dienstleistungsunternehmen?
Tina: Dienstleistungsunternehmen! Wir arbeiten eng mit den Bands zusammen und wollen niemandem etwas aufzwingen, wir sehen uns als Werkzeug. Jede Band soll sich mit dem Endergebnis identifizieren können: „Yeah, das sind wir!“
Sascha: Puuuh. Dienstleistung mit starkem D.I.Y.-Einschlag. Die guten, die von uns bevorzugten Kunden mögen das. Den anderen ist es einfach egal, denen geht es nur ums Geld. Die wollen einfach nur eine billige Dienstleistung, also liefere ich die. Aber denen mache ich auch nicht das Angebot, ihren Kram in unseren Webshop aufzunehmen oder mich an der Veröffentlichung zu beteiligen. Das ist strikt getrennt. Doch das sind wirklich Ausnahmen.
Neigt man nicht zur Selbstausbeutung?
Sascha: Aber hallo! Wenn ich nur überlege, was für Deals ich so mache ... Ey, das darf man niemandem erzählen! Da kriegen die Leute in den Call-Centern einen besseren Stundenlohn. Es ist einfach ein schwieriger Spagat und manchmal verkaufe ich mich zu billig. Dann habe ich auch ein schlechtes Gewissen, mir selbst gegenüber. Aber ich trainiere, hart zu bleiben.
Tina: Bei mir ist es wahrscheinlich auch noch mal schwerer, Preise durchzusetzen. Musiker hören ja bei Sascha die Qualität der Arbeit, aber es gibt viele, die das Artwork dann auf die leichte Schulter nehmen und sich lieber selbst daran austoben. Das ist schade, denn ich finde, dass auch die Optik reinhauen muss.
Sascha, Musik ist dein Leben, schätze ich. Kannst du jetzt auch davon leben?
Sascha: Nee, voll nicht! Bei den Bands, in denen ich bin, kann man immer froh sein, wenn man nach der Heimreise nicht draufzahlen muss. Und das Studio läuft einfach noch nicht beständig genug. Die Frage klingt übrigens grausam nach Klischee. Natürlich ist Musik mein Leben! Ist doch bei den ganzen Musikspacken so, oder nicht?
Eben. Wie geht’s weiter?
Sascha: Der Plan war ja immer, auch ein Label zu starten. Anfangs haben wir das Unterschichten-Logo einfach auf die Veröffentlichungen meiner eigenen Bands draufgehauen. Aber jetzt habe ich ein bisschen was angespart und helfe zwei Bands, die ich selbst auch sehr geil finde. Die Splitsingle von MOFABANDE mit den BLOODSTAINS-Boys ist gerade erschienen. Wir hatten übrigens eine Menge Spaß, beide Bands waren da und wir haben alles an einem Tag reingeballert. Danach kommt die erste 7“ von Kollegen aus Tschechien, FASTERATU. Crust-Punk-Geballer mit extra bösem Artwork.
Tina: Ich arbeite außerdem noch an der Verwirklichung meines Modelabels Toxic Sugar. Da der erste Anlauf einer Finanzierung via Crowdfunding in die Hose gegangen ist, gucke ich jetzt, dass ich die erste Auflage der T-Shirts für unseren Onlineshop irgendwie selbst produziert kriege.
Wie würdest du deinen Stil beschreiben?
Tina: Ich mag Gesichter, die Geschichten erzählen. Und Kontraste, inhaltlich, aber auch farblich und kompositorisch. Geprägt wurde ich durch meine verschiedenen Berufswünsche: Modedesign, Visagistin, Tattoo Artist. Ich habe vor ein paar Jahren mal in einem Tattoostudio gearbeitet, auch auf ein paar Conventions. Das hat mich künstlerisch ziemlich weitergebracht und ich habe mir einige Tricks und Kniffe abgeschaut.
Sascha, hast du ein Lieblingsmotiv von Tina?
Sascha: Natürlich alle Bilder, auf denen ich drauf bin. Irgendwann kaufe ich die alle, um die bei mir aufzuhängen, dann habe ich eine Galerie mit mir selbst. Das Design für WOOLY ANTSHAKE ist echt super, auch das Bandlogo. Da hat Tina echt saubere Arbeit geleistet. Mir gefällt besonders, dass nicht immer alles gleich aussieht. Das kotzt mich bei so vielen Marken an. Hauptsache, es ist angesagt und verkauft sich gut an die ganzen Trendspastis.
Tina, stammt von dir auch das Affen-Logo für U-schi?
Tina: Den Ursprungsaffen hat Lars von NEON BONE entworfen für OVER THE TOP. Die Jungs haben den Affen, der damals noch kotzte, für ihre Tonträger als Label benutzt. Wir haben den dann übernommen und ein wenig angepasst. Keine Kotze mehr, dafür fett in Pink mit knallgrünem Schriftzug. Das Teil springt dir ins Gesicht!
Sascha, soweit ich weiß, spielst du in mehreren Bands, die ganz unterschiedliche Mucke machen.
Sascha: Na ja, komplett verschieden sind die Sachen ja jetzt nicht, alles ist immer noch auf irgendeine Art und Weise Punk. Aber mit KOMMANDO ZURUECK, der Elektro-Punk-Eurodance-Trash-Partyzug, proben wir nur alle zwei bis drei Monate mal. Im Moment arbeiten wir an unserem galaktischen Hörspiel „Na Prost“ von Paul Scheerbart. Eingelesen ist mittlerweile alles, jetzt müssen wir das noch passend zusammenschneiden, Sounds einfügen und dann haben wir uns ja vorgenommen, bei jeder Episode mindestens einen neuen Kommando-Song einzubauen. Die ersten Folgen kann man sich schon auf unserer Website anhören. Bei der Hardcore-Band ANOTHER WRONG sieht das im Grunde genauso aus: Wir haben ein paar neue Songs, treffen uns aber höchstens alle paar Wochen. Manchmal bin ich noch Musiksöldner beim Pop-Punk-Multitalent NEON BONE, da Lars ja eigentlich eine Ein-Mann-Band ist. Außerdem gibt’s das Trashpunk-Spaßprojekt EISENFAUST. Aber da passiert auch nicht viel. Die Band gibt’s mittlerweile schon fast tausend Jahre und wir haben gerade mal genug Songs für eine Platte zusammen. Hauptsächlich betrinken und beleidigen wir uns bei der Probe, machen dann zwei neue Songs und können uns beim nächsten Mal nicht mehr dran erinnern. Und jetzt aktuell haben sich auch OVER THE TOP aufgelöst. Ich bin also auf der Suche.
Tina, hast du davon eine Lieblingsband?
Tina: Ich stehe total auf KOMMANDO ZURUECK. Vor allem auf die Shows, da geht’s immer ordentlich ab!
KommZu bezeichnen ja nicht nur sich selbst als „From Out Of Space“, sie sind auch musikalisch ziemliche Aliens. Ich sage nur: Techno-Beats.
Sascha: Es ist teilweise schon ziemlich verrückter Scheiß, „Killerspiele“ beispielsweise besteht komplett aus den Sounddateien eines legendären Egoshooters. In anderen Songs finden sich auch Sounds vom SNES oder dem C64 wieder. Wir verwursten ziemlich viel. Aber Techno würde ich das jetzt nicht schimpfen.
Woher rührt dieses auffällige Faible der Band für Physik?
Sascha: Leadsänger Jan und ich haben uns mal am zweiten Bildungsweg versucht. Wir wollten unser Abi machen. Nur Jan war fürs frühe Aufstehen nicht gemacht, bei mir scheiterte das aus finanziellen Gründen. Jedenfalls hatten wir da Physik, was mich ziemlich begeistert hat. Allerdings noch wichtiger war der Religionslehrer, Herr Bauer. Der Typ hat nämlich diese ganze Schöpfungsgeschichte von beiden Seiten beleuchtet, also auch naturwissenschaftlich. Da kamen Sachen auf wie Schrödingers Katze, Entropie oder die Kausalität. Gleichzeitig hat Jan mich dann noch mit Harald Lesch und seinen Wissenschaftssendungen angefixt. Und zack!, so kam uns die Idee zu Musik mit ein wenig Edutainment.
Alles Themen auf eurem lehrreichen neuen Album „Back From Out Of Space“. Leider gibt es das nicht als Vinyl, dabei sind die Aufnahmen brillant, das hört man schon auf der Kassette.
Sascha: Natürlich sind die brillant. Dieses Mal habe ich das ja auch selbst übernommen. Und bei mir an der Tür steht nicht umsonst: „Ich mach das geil!“ Aber bei KOMMANDO ZURUECK denke ich einfach, dass sich das auf Vinyl nicht verkauft. Die erste Platte gab’s auf CD. Das war okay, doch darauf hatten wir jetzt irgendwie keine Lust. Deswegen haben wir 100 Tapes gemacht. Wir mussten auch erst mal sehen, ob wir überhaupt noch Abnehmer finden, schließlich dachten viele schon, wir würden gar nicht mehr existieren. Das Tape ist aber mittlerweile fast ausverkauft. Ich glaube, es gibt noch vier Stück bei Green Hell in Münster. Wenn alle weg sind, hatten wir vor, das Ganze noch mal als Download anzubieten. Am liebsten gegen Spende.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #111 Dezember 2013/Januar 2014 und Ute Borchardt