UNDERØATH könnten mit ihrem aktuellen Album „Voyeurist“ einen erneuten Höhenflug erleben – es ist technisch perfekt, düster, emotional, atmosphärisch und einfach gut. Die Band aus Florida klingt viel befreiter als auf dem Vorgänger „Erase Me“, was vielleicht auch daran liegt, dass es komplett in Eigenregie aufgenommen wurde. Wir unterhalten uns mit Keyboarder Chris Dudley über ihre neu gewonnene Energie und wollen wissen, wie sich seine Band nach all den Jahren noch einmal neu erfinden konnte.
Gerade ist euer neues Album erschienen. Kannst du uns etwas zum Entstehungsprozess erzählen?
Mann, wo soll ich da anfangen? Wir haben vor etwas mehr als zwei Jahren begonnen, an „Voyeurist“ zu arbeiten, und hatten das Album auch relativ schnell fertig. Dann kam allerdings die weltweite Pandemie dazwischen und wir wussten gar nicht, wie wir darauf reagieren sollten. Wir hatten da diese fertigen Songs und konnten sie nicht live spielen. In der Nachbetrachtung ist es allerdings das Beste, was dem Album passieren konnte. Wir haben uns selbst und die Songs immer wieder hinterfragt und genug Zeit, alles auf uns wirken zu lassen. Im Endeffekt ist vielleicht höchstens einer der Songs auf dem Album so geblieben, wie er vor einem Jahr war. Alles andere haben wir komplett verändert. Wir konnten so lange an den Songs arbeiten, bis wir komplett zufrieden damit waren. Es fühlt sich verdammt gut an, das Album jetzt endlich auf die Menschheit loszulassen.
Das heißt in diesem Fall war es der Faktor Zeit, der euch zugute kam?
Ja, definitiv. Wir sind eigentlich am liebsten permanent unterwegs, aber manchmal ist es eben auch gut, zur Ruhe zu kommen und sich selbst und die eigenen Songs zu hinterfragen. Wir hätten das Album zwar gerne schon 2020 veröffentlicht und waren gezwungen zu warten, aber rückblickend betrachtet haben wir – und das muss man dann auch einfach offen zugeben – 2021 viel bessere Songs geschrieben, die das Album zu dem gemacht haben was es heute ist. Das wird mit Sicherheit auch einen Einfluss auf künftige Alben haben. Wir werden uns selbst und unsere Songs noch stärker hinterfragen.
Ihr habt mit „Voyeurist“ zum ersten Mal in eurer Bandgeschichte ein Album komplett im Alleingang aufgenommen. Ohne Produzenten und alles in Eigenregie. Wie kam es dazu?
Ich kann dir ehrlich gesagt nicht sagen, ob alles so geblieben wäre wie immer, hätten wir 2020 aufgenommen und ohne die Corona-Situation. Also mit einem Produzenten und all dem, was so dazugehört. Wir haben immer mal wieder darüber gesprochen, wie cool es wäre, alles selbst zu machen, aber die Idee dann doch immer wieder verworfen. Wie sagt man so schön: Never change a running system. Vielleicht haben wir uns eine komplett eigenverantwortliche Produktion auch nicht zugetraut. Was völliger Quatsch ist, denn drei von uns produzieren ja auch andere Bands, also wieso sollte es bei uns selbst nicht klappen? Natürlich hat die Arbeit mit einem Produzenten immer den Effekt, dass dieser im besten Fall die Kreativität in die richtigen Bahnen lenken kann, aber ich glaube, wir sind erfahren genug, um zu wissen, wo unsere Stärken und Schwächen liegen und wie sich jeder einbringen kann. Es war zwar eine komplett neue Erfahrung, aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass wir es jemals wieder anders machen werden.
Das heißt aber auch, dass ihr euch in einer ganz anderen Drucksituation wiedergefunden habt?
Ich würde sagen, wir machen uns sowieso immer sehr viel Druck, weil wir einfach wollen, dass alles perfekt wird. Aber ja, diesmal war es eine besondere Situation. Wir wollten schließlich beweisen, dass es außer der Band niemanden bedarf, um ein gutes Album zu machen. Es war verdammt viel Arbeit, aber wir sind auch unendlich stolz auf das Ergebnis. Wir können es nicht erwarten zu erfahren,wie die Leute darauf reagieren.
Ihr klingt auf „Voyeurist“ verdammt befreit. Im Vergleich zum Vorgänger „Erase Me“ ist ein riesiger Unterschied zu verspüren. Siehst du das auch so?
Ich glaube einfach, man hört ein Stückweit das neu gewonnene Selbstvertrauen der Band. Etwas komplett selbst geschaffen zu haben, kann einen schon auf einen Höhenflug schicken. Wir haben bei den Arbeiten zu „Voyeurist“ verdammt viel über uns selbst als Persönlichkeiten, aber auch über uns als Band gelernt. Das Gefühl, sich bedingungslos auf den anderen verlassen zu können, hört man auch in jeder Facette des Albums. Die Stimme von außerhalb, die dir sagt, mach das doch einmal so und so oder verändere doch hier mal noch etwas, hat ja diesmal gänzlich gefehlt und alles kam von innerhalb der Band. Du lernst einfach noch mal neu, deinem Gegenüber zu vertrauen. Das ist sehr schön.
Wie schafft man es sich selbst nach all den Jahren neu zu erfinden?
Ich glaube, wir sind eine Band die immer wieder versucht, neue Einflüsse zuzulassen und nicht zu stagnieren. Das ist nicht immer einfach, aber wir wollen uns selbst keine Beschränkungen auferlegen. Es gibt Bands, die seit zwanzig Jahren gewissermaßen das gleiche Album schreiben, und ich finde das ist auch absolut legitim, für die Band selbst wie auch für die Fans, aber wir sind da etwas anders. Wir würden uns selbst verkaufen. Es ist zwar schön, dass einige Bands ihre Formel gefunden haben und diese immer wieder anwenden, aber UNDERØATH funktionieren so nicht. Wenn wir ehrlich sind, wollen wir ja nicht, dass sich unsere Lieblingsband verändert, es ist immer auch ein Stück Arbeit für den Fan, wenn sich eine Band weiterentwickelt, und man muss schauen, ob man die Entwicklung mitgehen kann. Dahinter steckt, glaube ich, auch einfach eine unterschiedliche Philosophie. Schau dir AC/DC an. Die sind eine der besten Bands, die es jemals gab, aber im Endeffekt ist es immer das Gleiche in unterschiedlicher Verpackung. Aber solange die Band und die Fans das so wollen, ist das doch absolut legitim. Es gibt da kein besser oder schlechter. Für uns ist es lediglich nicht der richtige Weg, uns zu wiederholen. Wir wollen immer etwas Spannendes, Neues bieten.
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