„Ey, hast du gehört, der Typ von den ADVERTS hat ’ne neue Band und die spielen angeblich Montag im Aladin in Bremen!“ Im Prä-Digitalozän ist man ja noch auf solche Gerüchte angewiesen. Seltsam nur, dass das Konzert weder auf Plakaten noch in einschlägigen Zeitschriften angekündigt wird. Die ADVERTS, Punkband der allerersten Stunde, und „Gary Gilmore’s eyes“ kennt natürlich jeder und so machen mein Bruder und ich uns neugierig auf den Weg nach Bremen.
Vor dem Aladin steht keine Menschenmenge, wie sonst immer, wenn dort ein Konzert stattfindet. Auch im Saal sieht es ungewohnt aus – nämlich leer! Nur sieben Leute verlieren sich im Dunkeln. Außer meinem Bruder (THE CLASSICAL) und mir (KASTRIERTE PHILOSOPHEN, Feindbild) sind das Benno (SHADOCKS, Endlösung), Gunda (MIMMI’S), Ecki (Alles Tot!) und noch zwei, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnere. Man sieht: Fast jeder, der sich damals für aktuelle Musik interessierte, spielte in einer Band oder veröffentlichte ein Fanzine.
Die Bühne ist jedoch vollständig aufgebaut und ein paar Roadies sind noch dabei, die Instrumente zu verkabeln. Da aber keine weiteren Gäste kommen, sind wir uns sicher, dass das Konzert ausfallen wird. Aber dann kommen tatsächlich die EXPLORERS auf die Bühne und TV Smith heißt uns freundlich willkommen. Fast hätte er noch jeden einzeln mit Handschlag begrüßt. Sehr britisch, in schwarzem Cordanzug mit Krawatte und Stockregenschirm, lässt er sich durch das fehlende Publikum nicht entmutigen. Mit seinem Schirm propellert er wie John Steed auf Speed über die Bühne und balanciert auf den Monitorboxen herum. Auch der Keyboarder Mel Wesson, der einige Jahre später als Filmkomponist („Mission: Impossible II“) zu Berühmtheit kommen wird, rutscht auf den Knien vor seinen Synthesizern herum, als spiele er vor vollbesetztem Saal.
Insgesamt machen die EXPLORERS einen sehr professionellen Eindruck, und auch wir geben unser Bestes, springen im leeren Saal herum und versuchen, die fehlende Menschenmenge durch lautstarkes Grölen und Schreien sowie enthusiastisches Applaudieren zu ersetzen. TV Smith würdigt das grinsend mit: „Thanks to both of you!“ In einer kurzen Pause unterhalten wir uns mit den Musikern, und da fast alle von uns in Bands spielen, mache ich den Vorschlag, dass wir sieben den zweiten Teil des Konzertes übernehmen. Leider kommt das nicht zustande, die Angst um das teure Equipment ist dann wohl doch zu groß. Außerdem müssen die EXPLORERS natürlich ihren Vertrag erfüllen, um ihre Gage zu bekommen. Die Band spielt das komplette Album „The Last Words Of The Great Explorer“ sowie einige mir unbekannte Stücke. Insgesamt klingen die Songs reduzierter und rauher als auf der LP, was mir sehr viel besser gefällt.
Nach dem Konzert flippern wir noch ein wenig und TV Smith gesellt sich zu uns. Mitgebrachte Fanzines werden begutachtet und Benno und Ecki bekommen ein ausführliches Interview. Smith erklärt, dass es Unstimmigkeiten mit seiner Plattenfirma gab, die daher die Tour nicht organisierte. Die Zusammenarbeit mit einem alternativen Veranstalter lief dann wohl gründlich schief. Veranstaltungskalender wurden nicht informiert und Plakate wurden nicht geklebt. Trotzdem mussten die Konzerte gegeben werden, um den Vertrag zu erfüllen. Finanziell sieht es im Jahr 1981 nicht gerade gut für die EXPLORERS aus und tatsächlich lösen sie sich wenige Monate später auf. Auch wenn es für die Musiker ein eher entmutigender Abend war, bleibt uns dieses „Privatkonzert“ in guter Erinnerung.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #158 Oktober/November 2021 und Wolfgang Wiggers