Wenn Stuart Berman auf pitchfork.com schreibt: „TV PRIEST are redefining dad-rock“, dann ist das zwar recht einprägsam, wird dem wütend zwinkernden Debüt der vier Briten aber nicht wirklich gerecht. Ja, „Uppers“ wurde mit Ü30 im besten Vateralter geschrieben, aber sonst ist das hier definitiv mehr Punk als Rock. Charlie Drinkwater erklärt den Zusammenhang zwischen Wut, Humor und Hoffnung und warum er lieber viele Fragen aufwirft, als Antworten zu geben.
Charlie, du hast Kunst studiert, warst Art Director bei Island Records und hast inzwischen eine eigene Gestaltungsagentur, da liegen die visuellen Dinge der Band sicherlich in deinen Händen.
Größtenteils, ja. Das Artwork von „Uppers“ habe ich selbst layoutet, die ganzen Handschriften selbst gestaltet. Wenn du die Vinylversion kaufst, wirst du darin auch ein Poster von mir finden. Außerdem übernehme ich die Gestaltung unserer Social-Media-Auftritte, vieles, was irgendwie einen Anstrich braucht, mache ich, haha. Aber nicht alles Visuelle stammt ausschließlich von mir, ich arbeite gerne mit anderen Leuten zusammen, das ist wohl auch einer der wesentlichen Gründe dafür, warum ich in einer Band bin und nicht einfach alleine Musik mache. Ich mag es, wenn man sich persönlich trifft, gegenseitig voneinander lernt und gemeinsam etwas Neues schafft. Morgan Hill-Murphy zum Beispiel, der das Foto für das Albumcover von „Uppers“ geschossen hat, ist ein wirklich guter Freund. So ist es wohl mit jeder Kunst, die ich mache: Mir ist die Idee hinter einer Sache und wie sie übersetzt wird wichtiger, als es auf Biegen und Brechen auf eine bestimmte Art und Weise umzusetzen oder von einer bestimmten Person machen zu lassen. Ich bin in einer DIY-Kultur aufgewachsen, in der sich Leute gegenseitig helfen und daraus ziehe ich meine Inspiration, Leute zu treffen, miteinander zu kommunizieren und gemeinsam Dinge zu gestalten.
Du lässt dich nur ungern einschränken.
Haha, so könnte man das nennen. Ich bin da vielleicht ein bisschen gierig, ich möchte mich nicht auf ein Medium festlegen, ob das jetzt Musik, Malerei oder Schreiben ist. Wenn ich eine Idee für brauchbar halte, dann lasse ich mich ein Stück weit von ihr führen. Was jetzt meine Fertigkeiten angeht, finde ich es einfach total spannend, Neues auszuprobieren. Ich habe das immer für eine Schwäche gehalten und gedacht, dass sich so einfach nicht das Beste rausholen lässt, aber wenn du älter wirst, merkst du, dass das eigentlich eine Stärke ist. Sich anpassen zu können und Dinge auch mal auszuprobieren und an ihnen zu wachsen. Aber auch da gibt es Grenzen. Ich bin kein wirklich begabter Instrumentalist und das hat mir unglaubliche Sorgen bereitet: Fuck, ich kann mich nicht auf einer Gitarre oder einem Klavier ausdrücken und die anderen können das alle. Dann habe ich mir irgendwann gesagt: Mann, so funktioniert mein Hirn vielleicht einfach nicht. Meine Aufgabe ist eben, die Artworks zu gestalten oder mit den anderen über die Musik zu sprechen, zu singen oder die Texte zu schreiben. Offen für Neues sein bringt dich weiter.
Und aus diesem Grund konnten TV PRIEST durchstarten?
Auch. Das ist schon eine abgefahrene Sache, ich kenne unseren Gitarristen Alex Sprogis, seit ich sechs Jahre alt bin. Wir haben mit 15, 16 angefangen, zusammen Musik zu machen, also war Musik schon früh ein Weg für mich, eine besondere Verbindung zu meinem besten Freund zu knüpfen. Seit damals haben wir immer mal wieder musikalisch was zusammen auf die Beine gestellt, so wirklich auf Eis lag das also eigentlich nie. Aber das Komische an der Sache war, dass irgendwann ein Punkt gekommen ist, an dem es da draußen echt ein Publikum für unsere Musik gab. Vielleicht gab es das bis zu einem gewissen Grad auch schon immer, nur ist es jetzt viel größer als zuvor. Als wir TV PRIEST gegründet und dieses Album geschrieben haben, geschah das in erster Linie für uns selbst. Wir sind alle schon ein wenig älter und wollten mal wieder was Neues ausprobieren, so ist diese Platte entstanden. Unser ursprüngliches Ziel war es, das Album auf einem kleinen UK-Label in einer Auflage von vielleicht ein paar hundert Stück herauszubringen. Das wurde jetzt bei Weitem übertroffen, haha. Dafür gab es aber ganz bestimmt keinen Masterplan. Die Pandemie und der Lockdown haben das Ganze noch seltsamer gemacht, eigentlich wollten wir natürlich möglichst viel live spielen, Leute treffen, Teil einer Gemeinschaft sein. Um ehrlich zu sein, waren wir uns gar nicht sicher, ob wir die Platte tatsächlich schon veröffentlichen sollten. Ob das in so einer Zeit wie dieser nicht ein wenig unangebracht ist. Erst als es dann klar wurde, dass die Leute da draußen trotzdem gerne etwas Neues hören wollen, haben wir uns dafür entschieden. Unsere erste Single erschien zwei Wochen, nachdem der erste landesweite Lockdown im Vereinigten Königreich verhängt wurde. Jeder war in einer Art Schockstarre: Verdammt, Leute werden sterben. Für mich war die Band eine mächtige mentale Stütze in diesem wirklich schwierigen Jahr, auch, wenn wir nicht alles tun konnten, was wir als Band gerne zusammen gemacht hätten. Immerhin konnten wir bis zu einem gewissen Grad auch online mit einem Publikum in Kontakt treten und auch mit anderen Bands, das war schon was Besonderes. Musik hilft da auf einer sehr persönlichen und emotionalen Ebene.
Geht es eher darum, positive Energie daraus zu ziehen oder aber Frust abzulassen?
Haha, beides! Beim ersten Hören wirst du „Uppers“ vermutlich als ein sehr wütendes Album wahrnehmen. Aber es ist ganz oldschool geschrieben, es erzählt eine Geschichte und irgendwann verwandelt sich diese anfängliche Wut in eine Art energiegeladene Hoffnung. Wir als Band haben dieses Album in einer Zeit geschrieben, in der wir frustriert und wütend waren, aber wir haben diese negativen Gefühle immer wieder versucht aufzulösen. Je öfter du dir „Uppers“ anhörst, desto mehr wird dir auffallen, dass meine Wut vielleicht nicht immer ganz so ernst gemeint ist, dass es da auch eine humorvolle Ebene gibt. Wut, so laut sie auch sein mag, ist manchmal einfach falsch. Viele der Texte sind eher kryptisch, sie bieten nicht wirklich Antworten, Frustration bringt dich nicht weiter. Möglichkeiten, daraus Hoffnung zu schöpfen, gibt es trotzdem. Melancholie könnte man das wohl nennen.
Ihr habt Wert darauf gelegt, gezielt psychogeografische Bezüge einzuarbeiten, was heißt das?
Die Platte ist in und um London geschrieben worden und vieles auf „Uppers“ dreht sich um Zeit und Raum. Ich wollte bewusst ein zeitbezogenes Album machen. Manche bevorzugen zeitlose Platten, aber viele meiner Lieblingsalben katapultieren mich in eine bestimmte Zeit oder an einen bestimmten Ort. In den Songs „History week“ oder „The ref“ zum Beispiel findest du Anspielungen auf bestimmte Orte und wie sie uns auf psychischer Ebene beeinflusst haben.
Die Idee dazu stammt aus dem Roman „Journal Of A Plague Year“ von Daniel Defoe, dem ihr auch ein Lied gewidmet habt.
Den Song „Journal of a plague year“ haben wir im November 2019 geschrieben, die Pandemie hatte zu diesem Zeitpunkt vielleicht irgendwo auf der Welt schon begonnen, um sich zu greifen, aber niemand ahnte, was noch kommen sollte. Ich hatte gerade den Defoe-Roman über den letzten großen Ausbruch der Pest in London gelesen. Es war nur ein psychogeografisches Gedankenspiel, was wäre, wenn etwas in der Art heute wieder passieren würde. Dann ist es verdammte Scheiße tatsächlich passiert und es war so grausig und furchterregend. Dadurch hat der Song natürlich eine sehr düstere Ebene bekommen. Wir haben lange darüber nachgedacht, ob wir ihn unter diesen Umständen auf dem Album lassen können. Das ist schon eine harte Sache, auch ich kenne Leute, die bei dieser Pandemie ums Leben gekommen sind. Dann sind wir aber zu dem Schluss gekommen, dass er abstrakt genug erzählt ist, um Raum für Interpretation zu lassen, und haben ihn mit drauf genommen. Er hat eine sehr poetische Seite, aber klar, es ist ein schwieriger Song.
Dadurch besteht ein Stück weit die Gefahr, darauf reduziert zu werden. Dabei hat „Uppers“ unter anderem auch eine recht politische Ebene.
Es geht um unser Unbehagen gegenüber der Politik in unserem Land, aber auch um die Durchdringung der Welt durch spätkapitalistisches Gedankengut, die Platte verrät dir dazu, dass wir in politischer Hinsicht ziemlich weit links stehen. Aber ich wollte das nicht zu offensichtlich machen: dieses System ist schlecht – ja, ist es, haha –, aber wir leben alle darin, sind irgendwie darin verwickelt und ein wenig auch mit schuld daran. Es geht eher um Möglichkeiten, sich damit zu arrangieren und anderen zu helfen. Fragen zu stellen und Dinge infrage zu stellen. Es ist schon absichtlich so, dass dieses Album keine direkten Antworten auf diese Fragen gibt. Als Künstler kannst du im besten Fall Aktivismus in die Wege leiten, die eigentliche Rolle des Künstlers ist es meiner Meinung nach nicht, Antworten zu geben, sondern Fragen aufzuwerfen. Wenn du zu einem Publikum sprichst, ist das förderlicher. Das kann jemanden dazu inspirieren, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Realistisch gesehen unterhalten wir uns gerade mit Hilfe von Telefonen, die das Werk von Sklavenarbeit sind. Wir bringen Musik auf Plattformen heraus, die nicht unbedingt gut mit Künstlern umgehen. Es ist wirklich schwierig, diese Dinge zu steuern. Du willst ja auch, dass deine Kunst gehört oder gesehen wird. Es ist echt schwer, sich da selbst gerecht zu werden. Diese Frage wirft die Platte auch auf: Nicht alles da draußen ist schön, wie gehen wir damit um? Ich habe keine Ahnung, aber kann hoffentlich den einen oder anderen dazu animieren, sich für eine gute Sache zu engagieren.
Du selbst bietest deine Arbeit als Künstler für Projekte und Protest gegen Rassismus, White Supremacy, Ungleichheit und Faschismus kostenfrei an.
Ich bin zur Zeit in der privilegierten Position, Geld mit etwas zu verdienen, das ich wirklich liebe. Klar habe ich auch hart dafür arbeiten müssen, aber ich bin an dem Punkt, an dem meine Kunst mich und meine Familie trägt. Das kommt mir noch immer total verrückt vor. Also habe ich beschlossen, einen Teil meines Glücks weiterzugeben. Manchmal muss man dem Sog der europäischen Arbeitsethik und der ständigen Suche nach bezahlter Arbeit einfach entfliehen, einen Schritt zurücktreten und überlegen, wie man anderen helfen kann. Wenn du den Tag eines anderen auch nur ein bisschen besser machst, gibt dir das natürlich auch ein gutes Gefühl, haha.
Mit eurem eigenen Studio seid ihr ja auch in einer privilegierten Position.
Ja, aber die Aufnahmen waren schon ziemlich DIY-mäßig. Unser Bassist Nic Bueth ist Toningenieur und mischt alles selbst, nur das Mastering haben wir abgegeben. Und unser Studio, in dem wir „Uppers“ produziert und aufgenommen haben, ist wirklich nur winzig klein. Nic ist ein unglaublicher Tontechniker und Produzent und wir können uns echt glücklich schätzen, jemanden in der Band zu haben, der in dem Bereich so leidenschaftlich engagiert ist. Er hat eher aus der Not heraus damit angefangen, als wir 16 waren, und war damals auch der Einzige von uns, der daran interessiert war, haha. Na ja, und er hat es schließlich zu seinem Job gemacht. Wir hatten also nur diesen winzigen Ort in London – gefühlt ein mal ein Meter groß, London ist echt verdammt teuer –, eher eine Gesangskabine als ein Studio, und das hat es natürlich unmöglich gemacht, alles direkt mit der ganzen Band live einzuspielen, wie man das von einem gepflegten Punk-Album eigentlich erwartet. Wir mussten das komplett stückeln, das war schon ein eigenartiger Prozess. Geschrieben hatten wir das zusammen in den Proben und mussten dann herausfinden, wie das aufgedröselt funktionieren soll. Da hat Nic schon einen fantastischen Job gemacht.
Ihr konntet ja bislang nicht wirklich touren, hat das „Uppers“ irgendwie beeinflusst?
Wir haben die Arbeiten an „Uppers“ im April 2020 abgeschlossen, gerade als die Welt stehengeblieben zu sein schien, und die Songs sind natürlich ursprünglich dafür verfasst worden, um live vor einem Publikum gespielt zu werden, haha. Also ich denke, das Album hat das alles trotzdem nicht wirklich direkt beeinflusst, nein. Unser Ziel ist nach wie vor, Konzerte zu spielen, Leute und Freunde zu treffen. Und es ist natürlich ein absolutes Alleinstellungsmerkmal, in einer inzwischen relativ bekannten Band zu spielen, die in ihrer gesamten Bandgeschichte nur ein einziges Konzert vor etwa achtzig Leuten gegeben hat, haha. Weird! Gigs, dafür hatten wir die Band eigentlich hauptsächlich gegründet. Und jetzt von unserem einzigen Konzert vor achtzig Köpfen aus Familie und Freundeskreis direkt in die großen Säle zu gehen und nicht genau zu wissen, wie das Publikum reagiert, wird eine spannende Erfahrung. Wir haben zwar auch vorher alle schon in Bands gespielt, auch als Flop des Abends vor drei Leuten oder so, aber das ist doch noch mal eine ganz andere Hausnummer. Ich bin echt total gespannt.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #155 April/Mai 2021 und Anke Kalau
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