TÜREN

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Von innen nach außen – Folge 4

Was macht die Bierschinkenscheibe im Jewelcase? Na, wenn schon Aldi, dann richtig, mit Bierschinkenscheiben-CD, Werbeflyer-Inlay und „Popo“-Schriftzug im Aldi-Nord-Stil. Trashige Konsumkritik gehört bei DIE TÜREN-Artworks einfach zum guten Ton. Auch für das jüngst erschienene Album „ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ“ haben sich die Herrschaften wieder etwas Besonderes einfallen lassen: Ein weißes Cover mit Stickerbeilage? Hört sich nach Botschaft und viel Arbeit an. DIE TÜREN-Hausmeister Maurice über die Schöpfung, Billigprodukte, Marktmonopole und Tonträgersterben.

DIE TÜREN, Hausmeister der Schöpfung?


„DIE TÜREN, Hausmeister der Schöpfung“, das war so ein komischer Arbeitstitel, den wir im Kopf hatten, der sollte mal ein Songtitel sein, dann sollte er wieder ein Albumtitel sein, wurde aber immer verworfen. Dann habe ich ihn in einem Notizbuch wiederentdeckt und wir haben beschlossen, das Handbuch zu unserem aktuellen Album so zu nennen. Ein Handbuch als Gebrauchsanweisung für die Covergestaltung fanden wir witzig. Es ist ja nicht schwer zu erraten, was man mit diesen Stickern anfangen soll, aber da noch ein Handbuch beizulegen und die Sache dadurch noch mal besonders mit Bedeutung aufzuladen, ist doch lustig. Es ist da einiges mit einem gewissen humoristischen Unterton zu lesen, so wie der Titel „Hausmeister der Schöpfung“ natürlich auch. Der ist schon ungefähr zehn Jahre alt und konnte jetzt endlich mal verwendet werden, rausgestrichen aus dem Notizbuch. Dafür war er auch einfach viel zu schade. Manche Sachen kommen ja immer wieder zurück. Manche Sachen schreibt man auf und findet sie in dem Moment gerade lustig und zwei Monate später denkt man „oh man, was für ein Scheiß“, aber „Hausmeister der Schöpfung“ musste einfach rein ins Spiel. Jetzt kann ich beruhigt schlafen.

Ihr habt ja auf eurer Homepage dazu aufgerufen, selbst gestaltete „ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ“-Coverentwürfe einzusenden. Wie war da die Resonanz bislang?

Die Idee, die dahinterstand, war, dass wir im Oktober ja unser zehnjähriges Jubiläum, also zehn Jahre TÜREN und gleichzeitig zehn Jahre Staatsakt haben. Das ist ja nicht voneinander zu trennen. Aus diesem Anlass wird eine Coverplatte erscheinen, auf der Bands von unserem Label uns beziehungsweise unser komplettes neues Album covern. Weil man für das Cover der Coverplatte ja auch ein Motiv braucht, war unsere Überlegung, wenn wir schon bei dem Album dieses ganze Bastelding inszeniert haben, sollte man auch mal gucken, was die Leute so draus gebastelt haben. Nach dem Einsendeschluss wählen wir und die Grafikerin das schönste Motiv aus und das wird dann das Cover für die Coverplatte. Als Belohnung sozusagen.

Entstehen solche Ideen als Kettenreaktion in der Gruppe oder sind da eher Einzelne federführend?

Na ja, verschieden, also wir entscheiden natürlich immer in der Gruppe, aber man trägt auch Ideen mit rein, manche entstehen wiederum erst im Gespräch, wenn man zusammensitzt. Die Idee zu dem aktuellen Albumcover kam eigentlich erst durch den Titel. Wir hatten uns schon dazu entschlossen, das ganze Alphabet als Titel zu nehmen, weil es uns einfach passender vorkam, als irgendetwas Bedeutungsschwangeres oder etwas Poetisches oder keine Ahnung was zu wählen. Dann kam uns die Idee, dem Album das ganze Alphabet auch als Stickerset beizulegen, so dass jeder auch seinen eigenen Titel daraus machen kann – wobei das natürlich auch einen Haken hat, jeder kennt das ja vom Scrabble: Weil es ja nur einmal das komplette Alphabet ist, fehlen dir natürlich Buchstaben, wenn du ein bestimmtes Wort oder einen bestimmten Satz bilden willst. Aber die Leute können ja auch tauschen oder malen, man muss sich nicht an unsere blöden Buchstaben halten. Im Grunde war es so ein kleines Spiel, mal zu gucken, was da so daraus gemacht wird. Nächster Schritt war dann, dass man, wenn man schon Buchstaben beilegt, auch noch mehr Sachen beilegen kann. Daraus wurden dann auch die Stickerbögen mit dem Alphabet und popkulturellen Symbolen von Kruzifix bis Facebook-Daumen. Interessant war auch die Frage, wie die Leute damit umgehen. Es gibt ja diese Jäger und Sammler-Typen, die niemals was am Originalzustand ändern würden, alles schön in Folie packen und immer schön in den Schrank stellen. Ich selbst bin auch Plattensammler, inzwischen nicht mehr so schlimm wie früher, und ich kenne solche Fragen. Nimmt man das Poster jetzt raus und hängt es auf oder lässt man es doch besser drin? Das ist schon verzwackt. Und jetzt sind wir gespannt, was noch so kommt. Im Moment kommen gerade überwiegend Sachen von sehr kreativen Designern und Leuten, die künstlerisch sehr viel Talent haben. Bislang sind nur ein paar lässige Einsendungen dabei gewesen, die meisten sind schon sehr ambitioniert.

Und ihr seid auf der Suche nach dilettantischen, aber witzigen Sachen?

Ja, das wäre schon was, wenn man einfach was Hingeschmacktes hätte, bei dem man genau sieht, hey, das hat jemand zwar in fünf Minuten gemacht, aber es sieht einfach lustig aus. Es ist natürlich schon schön, wenn man da tolle Illustratoren hat, Leute, die die Sachen extra am Computer einscannen, setzen und wirklich Stunden an Arbeit investieren, aber die Suche nach dem großen Kunstwerk war nicht unbedingt unser Anspruch. Natürlich auch toll, wenn so etwas kommt. Mal sehen, was gewinnt, vielleicht setzt sich ja eine total beknackte Idee durch, vielleicht ist es am Ende auch das große Kunstwerk. Es sind immerhin noch ein paar Wochen, da kommt bestimmt auch noch das eine oder andere Lustige dazu.

Ja ja, lustiges Artwork, ich denke da an eure Bierschinken-CD ...

Dafür war Andrew Sinn verantwortlich. Wir hatten diese Idee der Aldi-Discounter-Aufmachung, haben uns dann mit ihm getroffen und so ein bisschen gesponnen: es muss Discounter sein und irgendwie möglichst billig aussehen. Und so kam dann diese Bierschinken-Idee auch zustande. Wurst ist schließlich auch nur Resteverwertung, im Prinzip ist, was da so angeboten wird, ja schon fast Abfall, und das hat prima in unser Billigkonzept reingepasst. Das war ungefähr 2007 und da ist ja schon mal diese Debatte aufgekommen, wie lange noch CDs verkauft werden, braucht man überhaupt noch CDs, wenn ja, was sind CDs überhaupt noch wert, diese ganze Digitalisierungsdebatte, die ja gerade wieder geführt wird. Die Bierwurst-CD war unser Kommentar zu der Krise des Tonträgers. Wir dachten damals auch, das wäre unsere letzte CD gewesen, doch weit gefehlt. Jetzt sind fünf Jahre vergangen und wir haben gerade wieder ein Album auf CD rausgebracht. Da stellte sich natürlich die Frage, okay, was machen wir jetzt, es gibt diese Veröffentlichungsmöglichkeit immer noch, und das hat auch seinen Teil zu der Buchstabenidee beigetragen. Machen wir mal was Aufwändiges – solange das überhaupt noch geht. So wie es aussieht, gibt es wahrscheinlich auch in fünf Jahren noch CDs, aber wir gehen immer an die Sache ran, als wäre es unser letzter Tonträger. Bislang ist jedenfalls noch Interesse an CDs oder Vinyl vorhanden. Und solange das Interesse da ist, werden wir uns auch lustige Artworks einfallen lassen. So was wirkt als Bildchen für den iPod ja nicht so wie die echte Popo-CD, die man anguckt und aufklappt und dann zieht man so diese ekelhafte Bierschinken-CD raus und macht dieses komische Prospekt auf, also dieses ganze Haptische, das macht ja schon Spaß, das hat schon seinen speziellen Wert. Als Labelbetreiber müssen wir uns sehr oft mit der Frage auseinandersetzen, was noch Sinn macht, will man noch eine 7“ machen oder lohnt das nicht mehr, bringt man es auf Vinyl raus oder nicht. Es ist ganz schön, wenn man diese Sachen in die eigene Musik und Kunst einfließen lassen kann. Es ist ja was, womit man sich täglich beschäftigt, diese ganzen Fragen nach Formaten und Verwertbarkeit, da ist es auch ganz angenehm, mal ein bisschen Abstand zu gewinnen und das mit einem gewissen Humor zu betrachten.

Für den Konsumenten ist es auch ganz nett, das dann als Produkt in der Hand halten zu können.

Ja, das hoffe ich. Das Schöne ist, dass man ein paar Fragen auch schon über die Produktgestaltung mitgeben kann. Es ist nicht einfach nur ein Design oder das Foto von der Band, sondern es steht etwas dahinter. Wenn schon Artwork, dann auch mit allem Drum und Dran.

Es gibt ja nicht wenige Musiker, die großen Wert auf die Covergestaltung legen. Ich denke schon, dass so etwas gewürdigt wird. Solange das der Fall ist, wird es auch für CD- und auch Vinylausgaben noch einen Markt geben.

Ja, das denke ich auch. Nicht von der Hand zu weisen ist aber, dass die kleinen Plattenläden nach und nach verschwinden, weil selbst die Vinylkäufer mittlerweile bei Amazon bestellen. Das ist natürlich ein bisschen schade. Ich fand Plattenläden einfach immer toll, auch wenn die Plattenladentypen oft totale Supernerds waren. Plattenläden waren immer wunderbare Orte, an denen man Leuten begegnet ist, an denen man auch teilweise ganz abstruse Musik entdeckt hat, das fand ich schon gut. Heute ist es irgendwie so, dass selbst unsere Sachen zu 60-70% über Amazon verkauft werden. Es ist schade, dass diese liebevoll gestalteten Produkte nicht auch in kleinen netten Einzelhandelsbüdchen stehen. Ich mache mir gerade in den nächsten fünf Jahren mehr Sorgen um die kleinen Plattenläden als um das Vinylformat. Ich habe früher in der Provinz gelebt, da habe ich natürlich auch nur über Mailorder bestellt, da gab’s einfach keinen Plattenladen. Wenn ich Vinyl kaufen wollte, musste ich trampen, das war ziemlich kompliziert. Dann hat man eben lieber beim legendären Malibu-Katalog bestellt, mit Freunden zusammen, um den Mindestbestellwert zusammenzubekommen. Und heute bestellen die Leute bei Amazon. Ist okay, aber finde ich schwierig auf die Dauer, weil Amazon auf diese Weise die Preise diktieren kann. Man müsste mal sehen, wo man landen würde, wenn man ein Album nicht mehr bei Amazon oder über iTunes kaufen könnte, wer das überhaupt noch finden würde. Diejenigen müssten wohl wahrscheinlich erst mal auf Google suchen, haha.