T.S.O.L.

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Die Wellen sind schuld

Dort, zwischen der tosenden Brandung und dem weiten Himmel, wo Welten aufeinandertreffen, entstand aus dem Mythos der sorglosen amerikanischen Nachkriegsjugend der Fünziger jener Gitarrensound, den eine andere Art von Jugendlichen zwanzig Jahre später aufgriff und mit eigener Prägung versah. Gitarristen im ganzen Land bedienten sich bei VENTURES, Link Wray und Duane Eddy, erhöhten das Tempo, warfen Überflüssiges über Bord, und es blieb nur das Gerüst mit jeder Menge scharfer Kanten. Bald darauf waren es dann wieder Bands vom Strand wie BLACK FLAG, BLAST! und T.S.O.L., die sich dieser Sounds bemächtigten und ihr ganz eigenes Ding daraus machten. Und wenn wir von T.S.O.L. sprechen, sprechen wir von Ron Emory: Sein Sound, sein Stil, seine Fingerfertigkeit prägen Platten wie „Dance With Me“, „Weathered Statues“ und „Beneath The Shadows“, definieren bekannte Klänge ganz neu. Scharfsinnig und neues Terrain erkundend setzten diese Platten neue Standards für Hardcore und Thrash. Ron Emory, Jahrgang 1962, ist bis heute aktiv, lebt aber nicht mehr an der südkalifornischen Küste, sondern im Mittleren Westen. Er hat eine Menge durchgemacht, persönlich wie musikalisch, und ich freue mich, dass er die Zeit fand, ein paar Fragen zu beantworten.

Ron, wie kamst du zum Surfen, zum Skaten und zum Punk?

Die erste Liebe meines Lebens war das Surfen, und das geht zurück bis Mitte der Sechziger. Ich wuchs mit zwei älteren Brüdern auf, und meine Mutter war das, was man in den Fünfzigern und Sechzigern als „beach bunny“, als „Strandhäschen“ bezeichnete. Wir verbrachten also schon von klein auf viel Zeit am Strand. Ich habe irgendwo ein Foto von mir auf einem Longboard – von 1965, da war ich drei Jahre alt und so oft im Wasser, wie es ging. Und gab es keine Wellen, brachten wir die Bretter an Land und frönten unserer zweitgrößten Liebe – dem Skateboarding! Damals waren noch sogenannte „clay wheels“ verbreitet, ein recht bröseliges Material, und wir verbrauchten davon Unmengen, bis dann die Rollen aus Polyurethan aufkamen, und die veränderten alles. Das Leben in Südkalifornien hatte viele gute Seiten, und dazu gehörten all die Swimmingpools. Jedes Haus hatte einen, und so zogen wir los, suchten leerstehende Häuser mit leeren Pools, um dort zu surfen. Das war ein halbwegs akzeptabler Ersatz dafür, nicht surfen gehen zu können. Und meine dritte Liebe galt dann dem Punkrock. Zu meinen besten Skate-Kumpels zählten seit meinem elften, zwölften Lebensjahr Mike Roche, der spätere T.S.O.L.-Bassist, Steve Olson, der spätere Skate-Weltmeister und Bassist meiner ersten Band THE HOODS, der legendäre Pat Brown, und der erste T.S.O.L.-Drummer Todd Barnes. Olson hatte einen älteren Bruder namens Bucky, der baute Surfboards und hatte einen sehr eigenwilligen Geschmack, auch was Musik betraf. Der brachte uns mit der Underground-Musikszene von L.A. in Kontakt. Steve und ich gründeten dann unsere erste eigene Band, nachdem Mike Roche gefragt worden war, ob er nicht bei THE ACCIDENTS spielen wolle. Und Todd kannte einen Typen namens Jack Grisham, der immer total außer Kontrolle zu sein schien, und die gründeten dann Ende 1978 VICIOUS CIRCLE. Nachdem ich erstmals eine Gitarre in der Hand gehabt hatte, mussten meine erste und meine zweite Liebe in den Hintergrund treten, denn das war noch einmal eine ganz neue Form von Freiheit, die ich da kennen lernte. Bis heute liebe ich das Surfen und das Skaten, aber wirklich mein Leben verändert hat der Punkrock. Aber ohne Skaten und Surfen wäre ich nie zum Punk gekommen.

Was war deine Idee von T.S.O.L., worauf sollte die Band eine Reaktion darstellen?

Ganz einfach: Musik zu machen, die uns gefällt und die uns Spaß macht. Bevor ich die WEIRDOS, THE CLASH, X, SEX PISTOLS, GENERATION X, THE DAMNED und die zahllosen anderen Bands kennen lernte, die in Südkalifornien Ende der Siebziger einfielen, war mir Musik völlig egal. Ich sah 1978 THE CLASH live und wusste instinktiv, dass das, was sie sagten, wahr und echt war. Ich nahm sie mir zum Vorbild, um die Übel der Welt mittels einer Band bloßzustellen. Keiner interessiert sich für die Meinung eines Einzelnen, aber wenn da eine Gruppe von Typen steht, die alle an eine Sache glauben und diese mit ihrer eigenen Art von Lärm untermalen, dann scheint die Botschaft bei den Menschen anzukommen. Und auch 32 Jahre später geht es mir bei T.S.O.L. immer noch darum, zusammen mit meinen besten Freunden Spaß zu haben und die Menschen zum Nachdenken darüber zu bewegen, was in der Welt so vor sich geht – und das ist heute wichtiger denn je.

Gibt es rückblickend eine Phase bei T.S.O.L., an die du dich am liebsten erinnerst?

Ich hatte das Vergnügen, in all den Jahren mit vielen verschiedenen Musikern spielen zu können, und ich bin froh, diese Gelegenheit gehabt zu haben. Gut verzichten können hätte ich auf die Zeit, die ich mit Drogenmissbrauch und im Knast verbrachte ...

Und was machte, was macht den Unterschied von T.S.O.L. zu anderen Punkbands aus?

Unsere Konzerte wirken bis heute ziemlich bedrohlich, finde ich, was vielleicht damit zusammenhängt, dass wir alle über 1,80 groß sind. Und irgendwas passiert bei uns immer: Auf T.S.O.L.-Shows wurden schon Menschen erschossen, Knochen gebrochen, Kinder gezeugt, und manche haben da die Liebe ihres Lebens getroffen. Man weiß eben nie, was einen erwartet. Und wir spielen härter und schneller als andere, sind verrückter als andere.

Bei Punk geht es sehr oft um Politik, aber denkst du, dass man wirklich mittels seiner Musik die Gesellschaft verändern kann?

Ja. Wir haben als Band schon so lange überlebt, und das hängt sicher auch damit zusammen, dass wir immer schon einen bleibenden Eindruck hinterlassen wollten, ob nun gut oder schlecht. Heute allerdings geht es uns schon darum, ein positiver Einfluss für alle zu sein, mit denen wir in Kontakt kommen. Ich arbeite als Gitarrenlehrer, mit Kindern, und ich bin ein eher unorthodoxer Lehrer, denn es geht bei mir nur nach Gehör, so wie ich Gitarre gelernt habe. Ich ermutige sie, eigene Lieder zu schreiben, über das, was sie bewegt. Derzeit habe ich über 50 Schüler.

Gab es damals einen Schlüsselmoment, der auslöste, dass du Gitarre lernen wolltest?

Ja, THE CLASH 1978 live zu sehen. Die hatten eine unglaubliche Bühnenpräsenz und ihre Musik war so echt! Aber auch einige Bands aus der Gegend von Huntington Beach waren wichtig, wie THE CROWD, THE FLYBOYS, THE OUTSIDERS und viele andere aus Orange County. Und auch die ganzen L.A.-Bands wie THE GERMS und X waren ein wichtiger Teil meines Lebens, Menschen wie Pat Smear und Billy Zoom, und Jim Kaa von THE CROWD zeigte mir die ersten Akkorde auf der Gitarre. Und die spielte ich dann mit meiner ersten Band THE HOODS.

Ein Name, der in eurem Kontext immer wieder auftaucht, ist der von Pat Brown. Wer war dieser Kerl?

Das war ein total durchgeknallter Skater-Freund von uns. Über den habe ich Todd Barnes getroffen. Wir waren immer zusammen im Lakewood-Skatepark, und es gibt eine frühe Ausgabe des „Skateboarder“-Magazins, wo Pat in der „Who’s hot“-Rubrik auftaucht. Er war einer der lustigsten und verrücktesten Menschen der Welt, in seiner Begleitung war immer was los. Der brachte die unglaublichsten Sachen, etwa als die Cops ihn mal anhielten, als er mit dem Auto im dichten Verkehr in falscher Richtung eine Einbahnstraße lang fuhr. Die Cops treten an sein Fenster, fragen, ob er sich schon bewusst sei, dass das eine Einbahnstraße ist, und er erwidert eiskalt „Ja klar, und ich fahre ja auch nur in eine Richtung.“ Haha, wir hatten immer viel Spaß mit ihm.

Euer erster Drummer Todd Barnes starb 1999 mit nur 34 Jahren an einer Hirnblutung. Er war in den frühen Jahren von T.S.O.L. zusammen mit Jack verantwortlich für den Ruf von T.S.O.L., eine ziemlich verrückte Band zu sein, prägte aber auch durch seine Art des Schlagzeugspiels maßgeblich den Sound. Kannst du uns etwas zu Todd erzählen?

Todd war einer der lustigsten Menschen, die ich je kennen gelernt habe. Er war irgendwie immer wie ein großes Kind. Er lebte damals bei seinen Großeltern, und bei denen im Gästehaus hatten wir auch unseren Proberaum. Für eine Weile wohnten Mike Roche und ich auch da. Todd war ein verrückter Drummer mit unglaublichem Durchhaltevermögen, aber er war auch gut auf der Gitarre und am Bass. Wir lebten also alle auf einem Haufen, Jack die Straße runter, und so probten wir jeden Tag stundenlang. Und ehrlich, jeder andere Drummer, mit dem ich seitdem gearbeitet habe, gab zu, auf die eine oder andere Weise von ihm beeinflusst worden zu sein.

Der Ruf von T.S.O.L. ist nicht makellos, denn immer wieder taucht das Gerücht auf, eure Band sei damals „rechts“ gewesen. War da, ist da was dran? Ich meine, der Name allein, „True Sounds Of Liberty“ klingt schon „verdächtig“, dann deine Tätowierung der US-Flagge, eure Herkunft aus Orange County, einer Region, die als Hochburg der Republikaner gilt.

Ich liebe mein Land – aber nicht die Menschen, die es regieren! Das sind alles Gauner und Lügner. Auch die ganzen englischen Bands, die in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern in den USA auf Tour waren, trugen irgendwo den Union Jack, am Ärmel oder so, und so halte ich das auch. Nur dass mein Stars & Stripes-Tattoo am Oberarm von einem T.S.O.L.-Schriftzug durchzogen wird.

Bei englischen Bands denke ich an THE DAMNED – ein wichtiger Einfluss für euch?

Schon. Allein Jacks Bühnenverhalten, seine an Dave Vanian erinnernden Bewegungen, und auch musikalisch haben sie Spuren hinterlassen, denn mal ehrlich, wie konnte man damals als Punkband nicht von Rat Scabies’ Schlagzeugspiel und Brian James’ und Captain Sensibles Gitarrenarbeit beeinflusst sein, ganz zu schweigen von Dave Vainians Bühnenpräsenz und Stimme? Und Algee Ward oder Paul Gray am Bass – beeindruckend! Ich bin der Meinung, „Machine Gun Etiquette“ und „The Black Album“ sind zwei der besten Platten, die je gemacht wurden. Wir hatten Anfang der Achtziger mal das Vergnügen, mit THE DAMNED zusammen zu spielen, und ich lernte eine Menge vom Captain. Und später habe ich mal gehört, dass Dave unser „Dance With Me“-Album auf dem Nachtkästchen liegen hatte, haha. Welch Ehre. Also ja, THE DAMNED waren und sind ein wichtiger Teil meines Lebens.

Warum, denkst du, hattest du Erfolg in einem Bereich, in dem anderen das nicht vergönnt ist?

Das kommt darauf an, was du Erfolg nennst. Mir kommt es eher so vor, als ob wir einfach überlebt haben, und unterwegs verloren wir eine Menge Freunde. Dass wir „Erfolg“ hatten, hängt vielleicht damit zusammen, dass wir nie irgendwelche Erwartungen hatten. Wir gründeten die Band, weil wir Freunde waren und zusammen Spaß haben wollten. Als ich damals begann, Gitarrespielen zu lernen, sagte mein Großvater, ich solle mir immer selbst treu bleiben und nie den Spaß daran verlieren, dann würde der Tag kommen, an dem ich zurückblicken könne und feststellen, dass eine Karriere aus dem geworden ist, was ich so liebe. Ich konnte mir damals nicht vorstellen, wie das gehen soll, aber heute erkenne ich, dass er recht hatte. Und so unterrichte ich heute Kinder in dem, was ich so liebe, bringe ihnen das wenige bei, das ich über die Gitarre weiß.

Was wünscht du dir, dass jemand fühlt, der eines eurer Konzerte besucht?

Begeisterung. Dass die Energie rüberkommt. Inspiration, selbst aktiv zu werden. Und dass niemand das Gefühl hat, abgezockt worden zu sein.

Ist Musik der beste Weg, um dich selbst auszudrücken?

Oh ja! Wenn man etwas zu seinem „Beruf“ gemacht hat, sollte man auch immer dafür sorgen, seine Fähigkeiten wiederum anderen zu vermitteln. Als Kind war ich unglaublich schüchtern, ich zeichnete und schrieb gern. Als ich dann anfing, Gitarre zu spielen, diese Art von Musik zu machen, hatte ich einen Weg gefunden, mich auszudrücken, ohne zu viel von mir preisgeben zu müssen. Wenn ich heute meine Gitarrenschüler unterrichte, ist es mir sehr wichtig, sie zu ermutigen und zu motivieren, ohne ihnen dabei im Wege zu stehen.

Dein Leben hat sich in den letzten zehn Jahren sehr verändert. Was waren die wichtigsten Veränderungen?

Zweifellos die Tatsache, dass ich es geschafft habe, vom Heroin loszukommen. Ohne den Entzug wäre alles andere nicht möglich gewesen. Das ist jetzt zwölf, 13 Jahre her, und ich verdanke dass meinen guten Freunden Mike Roche, Jack Grisham und Mark Mahoney, die mich selbst dann noch mochten, als ich mich selbst nicht mehr leiden konnte. Seit ich clean bin, habe ich alles gegeben, um ein guter Ehegatte, Vater und Sohn zu sein. Ich habe wirklich Glück gehabt, denn ich hätte auch gut so enden können wie viele meiner Freunde: tot oder hinter Gittern. Tja, aber ich habe aufgehört zu trinken und Drogen zu nehmen, und überraschenderweise kam ich seitdem nicht mehr in den Knast, haha.

Wie lange warst du im Knast?

Die längste Zeit an einem Stück war ein Jahr. Aber ich habe endlose Sechs-Monate- und 60-90-Tage-Urlaube verbracht, haha. Nichts wirklich Schlimmes also. Immerhin habe ich die Zeit dort sogar kreativ genutzt. Du hast ja sonst nichts zu tun da, und so schrieb ich da viele Songs, widmete mich meiner Kunst.

Inwiefern hat der Drogengebrauch deine, eure Musik beeinflusst? Oft wird ja behauptet, Drogen förderten die Kreativität.

Aus der Drogenkultur ist viel großartige Musik hervorgegangen, aber man muss nicht „drauf“ sein, um gute Musik machen zu können. Drogen und Alkohol halfen mir dabei, den Schmerz des Lebens zu ertragen. Sie gaben mir Mut. Vor meinem Entzug 1999 spielte ich wohl kein einziges Konzert nicht unter dem Einfluss von irgendwas. Als ich dann das erste Mal nüchtern auf der Bühne stand, war ich eingeschüchtert. Als dann nach dem ersten Song die Leute ausrasteten, von den Boxen sprangen, die Lichtanlage herunterrissen und ein Typ auf der Krankentrage aus dem Saal geschleppt wurde, wusste ich, dass das Publikum auch abgeht, wenn ich nüchtern bin. Ich habe dann bald festgestellt, dass ich nüchtern sogar besser spiele. Ich bekomme jetzt viel mehr von dem mit, was um mich herum geschieht.

Die EP „Weathered Statues“ und das Album „Beneath The Shadows“, 1982 beziehungsweise 1983 auf Alternative Tentacles erschienen, wurden seinerzeit als recht progressiv empfunden. Warum dieser Wechsel im Sound? Wart ihr gelangweilt von der Musikszene jener Jahre?

Es gab da keinen Plan. Für mich sieht Weiterentwicklung so aus: Nachdem ich Fahrradfahren konnte, wollte ich bald ein Motorrad. Ich bin nie lange zufrieden mit etwas. Jede unserer Platten reflektiert unseren Zuwachs an Wissen über Musik und unsere Instrumente. Nicht ohne Grund waren THE DAMNED so große Vorbilder. „Weathered Statues“ und „Beneath The Shadows“ waren die logische Konsequenz davon, deren „The Black Album“ und „Strawberries“ gehört zu haben, das war 1981/82. Die Leute wussten damals echt nicht, was sie mit diesen Platten machen sollen, sie verstanden sie nicht. Lustigerweise werden heute bei Konzerten immer wieder Songs von diesen Platten gewünscht. Die Platten gehörten übrigens zu den Lieblingsscheiben von Kurt Cobain. Hör dir mal ganz genau die Gitarren an ...

Verfolgst du mit deiner Musik einen bestimmten Plan, gibt es ein Ziel?

Es gibt keinen Plan. Ich tue das, was ich seit 32 Jahren mache: in einer Punkrock-Band spielen. Wohin mich die Musik führt? Weg von den Problemen des Alltags.

Und gibt es noch andere künstlerische Aktivitäten?

Meine Frau Gia und ich veranstalten seit vier Jahren jedes Jahr im September eine Open-Air-Skulpturenausstellung namens Artoretum, mit Künstlern aus dem ganzen Land. Die Stücke werden mitten in der Natur gezeigt, der Kontrast von moderner Kunst mitten im Wald ist spannend. Wir sind beide Teil der Künstlerszene unserer Heimatstadt Sioux City, Iowa. Wen es interessiert: einfach mal googlen.

Übersetzung: Joachim Hiller