TRIBUTE TO NOTHING aus Worcester, England sind so aktiv wie nur ganz wenige andere Bands. Sei 2003 ihr Album "Act Without Words" auf Lockjaw Records erschien, dem damals noch der Band gehörenden Label, ist dieses sympathische Quartett nahezu unentwegt auf Tour gewesen und hat sich den Ruf einer exzellenten Liveband erspielt. Und eine außergewöhnlich gute Liveband sind die vier Briten - Samuel Turner, Gitarre und Gesang, Ben Turner, Drums, Jim Turner, Bass, und Kris Stammer, Gitarre, Gesang -, denn live entfaltete ihre musikalische Mischung aus Rock, emotionalem Punk und einer Hand voll anderer Stile eine tolle Atmosphäre. Das neue Album der Band, "How Many Times Did We Live?", ist ihr erstes für Destiny Records, das zur Berliner Konzertagentur Destiny gehört. Und dieses Album ist mit Abstand das Beste, was diese Band je gemacht hat. Seine zwölf Songs klingen wie eine impulsive und tiefgehende Mischung aus LEATHERFACE, HOT WATER MUSIC, AVAIL, sowie etwas QUICKSAND und FUGAZI. Dazu gesellt sich bei TRIBUTE TO NOTHING ein eigenes songwriterisches Verständnis, so dass die Songs letztlich einen sehr eigenen Stil der Band präsentieren und Stücke wie "Portraits fall" oder "Maybe I'm waiting" zu tollen emotionellen Songs werden, die von Rock und Punk gleichermaßen beeinflusst sind. Dass TRIBUTE TO NOTHING es mit diesem Album geschafft haben, ihren eigenen Stil zu finden, und dass dieses Album überdurchschnittlich gut ist, war Grund genug, um Samuel Turner auf der TRIBUTE TO NOTHING/BOYSETSFIRE-Tour im März zu sprechen.
Sam, ihr seid in den letzten Jahren zu einer extrem aktiven Liveband geworden und habt überdies unzählige Interviews gegeben. Gibt es daher eine Frage, die du nicht hören möchtest?
Ja! Die Frage danach, wie es ist, mit meinen beiden Brüdern in einer Band zu spielen. Nicht, dass mich die Frage wahnsinnig nerven würde, neulich gab ich aber acht Interviews hintereinander und jeder stellte diese Frage. Nach diesem Interviewmarathon entschied ich für mich, dass diese Frage etwas einfallslos ist.
Dann lass uns über euer neues Album "How Many Times Did We Live?" sprechen. Ein tolles Album, wie ich finde.
Danke! "How Many Times Did We Live?" ist das erste TRIBUTE TO NOTHING-Album, das mich rundum zufrieden stellt. Bei allen unseren vorangegangenen TTN-Alben hatte ich folgendes Gefühl: Als ein Album fertig war, mochte ich es. Sobald wir aber anfingen, die Songs live zu spielen, und ich mir das Album aufmerksam zu Hause anzuhören begann, missfiel es mir immer und immer mehr. Dieses Gefühl habe ich bei "How Many Times Did We Live?" nicht gehabt. Immer wieder habe ich mir das Album angehört und die Songs haben wir bei den Proben zur BOYSETSFIRE-Tour intensiv geübt. Beides führte nicht dazu, dass ich Kritikpunkte am Album entdeckte. Und das macht mich sehr froh.
Kannst du Gründe dafür nennen, dass du gerade an diesem Album keine Kritikpunkte gefunden hast?
Dies liegt zum größten Teil daran, dass "How Many Times Did We Live?" ein Album war, das wir ganz alleine gemacht haben, so dass uns niemand in die Songs und die Produktion hinein redete. Jim, unser Bassist, hat das Album aufgenommen, und die Songs haben wir alleine eingespielt. Dazu kommt, dass wir die Stücke live aufgenommen haben. Meinen Gesang und einige wenige, härtere Gitarrenlinien haben wir später über die bereits aufgenommenen Parts gelegt. Der Gesang wurde aber nicht separat aufgenommen, sondern ich sang die Gesangsspuren ein, während wir live die Songs spielten. Aufgrund dieser Aufnahmetechnik, die in meinen Augen half, die Intensität einer TTN-Show einzufangen, vermittelt das Album starke Emotionen und Energie. Deswegen mag ich das Album immer noch sehr gerne, denke ich. Dazu muss ich allerdings sagen, dass Jason Livemore und Bill Stenvenson das Album in den USA gemixt haben, wir nicht dabei waren, aber stetig mit ihnen in Kontakt standen, um ihnen unsere Meinung zu ihrer Arbeit zu sagen.
Warum seid ihr so vorgegangen?
Ich denke, dass TRIBUTE TO NOTHING eine Liveband sind. Seit jeher haben wir versucht, unsere Live-Energie auf einem unserer Alben umzusetzen. Um dies zu schaffen, haben wir viele verschiedene Aufnahmetechniken ausprobiert: Mal mit einem Produzenten, dann nur einem beratenden Freund, dann nur mit Tontechniker und und und. Es hat nie richtig geklappt, deswegen sagten wir uns dieses Mal, scheiß drauf, wir machen es alleine. Und ich denke, dass wir mit diesem Album näher an unsere Live-Energie herangekommen sind, als mit allen unseren anderen Alben. "Näher herangekommen" sage ich deswegen, weil ich nicht denke, dass wir unsere Live-Energie bereits hundertprozentig eingefangen haben, denn das ist in meinen Augen ein sehr schweres Unterfangen.
In meinen Augen hat der politische Gehalt, den ihr auf "Act Without Words" deutlich zum Ausdruck brachtet, abgenommen, so dass "How Many Times Did We Live?" ein weniger politisches Album geworden ist.
Richtig, auf dem Album treten politische Themen in den Hintergrund. Ich habe alle Texte für "How Many Times Did We Live?" geschrieben. Dadurch, dass wir in den letzten zweieinhalb Jahren mehr getourt sind als je zuvor, und dadurch, dass in meinem Leben sehr viele Dinge passiert sind, fühlte ich, dass es an der Zeit war, mehr über persönliche Dinge zu schreiben. TRIBUTE TO NOTHING waren aber noch nie eine Band, die sich nur über politische Inhalte definierte. Denn alle TTN-Texte entstehen aus situativen Einflüssen heraus - wir schreiben über das, was uns im Moment des Songschreibens bewegt. Deswegen sind auch die politischen Songs letztlich persönliche Stücke beziehungsweise eine Sicht auf politische Zustände durch eine sehr persönliche Brille. Ganz ehrlich gesagt, mir gefällt die Art von Texten, die ich für unser neues Album geschrieben habe, besser als unsere früheren, teils politisch gefärbten Texte. Denn jetzt lassen wir dem Leser und Zuhörer einen Interpretationsspielraum. Solche Texte mag ich, seit ich ein Kind war. Du hörst dir einen Song an und tastest dich nach und nach an die Bedeutung des Stückes heran und versuchst eine eigene Interpretation des Textes. Ich hoffe, dass ich es geschafft habe, solche Texte für dieses Album zu schreiben. Letztlich ist es bei Filmen und Büchern doch genauso: Werke, deren Bedeutung dir ihr Urheber nicht direkt auf die Nase drückt, machen viel mehr Spaß, als solche, die standardisierten und allzu einfachen Storylines folgen.
Als "Act Without Words" heraus kam, wart ihr in Großbritannien sehr viel bekannter als auf dem europäischen Festland. Ist das auch jetzt noch so?
Nein, wie du schon erwähntest, sind wir sehr viel getourt und dies vornehmlich auf dem europäischen Festland und weniger in Großbritannien. Mittlerweile verbringen wir den größten Teil des Jahres auf Tour auf dem europäischen Festland. Deswegen läuft es für uns auf dem europäischen Festland sehr viel besser als auf der Insel. Unsere ausgeprägte Festlandpräsenz führte neulich zu einem recht lustigen Ereignis: Bei einem Konzert bekam ich mit, wie sich zwei Deutsche unterhielten und einer von ihnen der Überzeugung war, dass wir Deutsche seien, weil wir eben laufend in einer Stadt in seiner Nähe gespielt hatten. Es entwickelte sich zu einem richtigen Streitgespräch, weil er seinem Kumpel nicht glauben wollte, dass wir Engländer sind. Schließlich ging ich hin und schlichtete den Streit und klärte den Herrn auf, dass wir aus England sind, in einer Band spielen, Jobs haben und noch nicht nach Deutschland übergesiedelt sind.
Ach Quatsch, ihr arbeitet doch nicht nebenbei. Ich meine, ihr seid dreiviertel des Jahres auf Europatour.
Doch, ich arbeite in einer Firma, die Häuser renoviert. Jim gehört ein Aufnahmestudio, Ben, unser Drummer, kümmert sich um lernbehinderte Kinder und Kris, unser zweiter Gitarrist, arbeitet in einem Supermarkt. Dass wir noch Jobs haben, ist auch einer der Gründe, warum wir solange gebraucht haben, um "How Many Times Did We Live?" fertig zu stellen. Wir sind zwischen 150 und 200 Tagen im Jahr auf Tour, gehen dazu noch arbeiten, um zu leben, und müssen Songs schreiben und proben. All das braucht seine Zeit. Dieses Jahr werden wir wohl allein den Juni frei nehmen, damit Ben heiraten und in die Flitterwochen fahren kann. Danach geht es wieder auf Tour, voraussichtlich bis Ende November. Und ich freue mich schon wieder darauf, den Van durch Europa zu fahren.
Ist euch D.I.Y.-Ethik wichtig?
Uns ist D.I.Y.-Ethik sehr wichtig, deswegen machen wir so viel wie möglich selber. Dies ist die erste Tour, auf der wir einen Tontechniker dabei haben. Der Sound und der Merchandise-Verkauf sind die einzigen Aufgaben, die nicht auch ein Bandmitglied wahrnimmt. Ansonsten machen wir alles selber - wir haben keine Gitarrentechniker, Fahrer oder ähnliches.
Nur aus Gründen der D.I.Y.-Ethik oder auch, weil es die finanzielle Situation nicht zulässt?
Natürlich spielen finanzielle Aspekte auch eine erhebliche Rolle. Selbst, wenn wir Tontechniker und Fahrer haben wollten, könnten wir sie uns nicht leisten. Egal, von welcher Tour wir zurückkommen, wir stecken nach einer Tour immer wieder in einem Haufen Schulden. Sie entstehen, weil während einer Tour laufende Kosten wie die Miete anfallen, wir aber kein Geld verdienen, um sie bezahlen zu können. Wenn eine Tour endet, arbeiten wir also meistens vom ersten Tag nach der Tour an los, um die Schulden, die die letzte Tour verursachte, decken zu können, bis wir wieder auf Tour gehen. Trotzdem ist die Tatsache, dass wir viele Dinge selber machen, im Wesentlichen darin begründet, dass wir mit TRIBUTE TO NOTHING D.I.Y.-Ethik leben wollen. Selbst wenn wir uns Tontechniker, Fahrer und Tourmanager leisten könnten, würden wir sie nicht anstellen, denke ich. Für uns ist das Livespielen wie eine Belohnung, die wir dafür bekommen, dass wir selbst zum Club gefahren sind, die Instrumente selbst gestimmt haben, letzten Endes selbst dafür gearbeitet haben, dass wir auf der Bühne stehen dürfen.
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