Manche Musiker und Bands kann man sich ohne Tattoos kaum vorstellen. Für die sind ihre Tattoos Lebenseinstellung, bei ihnen stellen die Tattoos gleich klar, was auch musikalisch zu erwarten ist. Eine dieser Bands ist TOXPACK. Seit ihrem Debütalbum „Stadtgeflüster“ vor elf Jahren sind die Berliner den meisten Freunden harter Musik ein Begriff. Spätestens mit ihrem im letzten Jahr erschienenen Album „Bastarde von morgen“ haben die fünf Streetcore-Musiker noch einmal eine Grenze überschritten. Die Gitarristen Erik und Tommi, Sänger Schulle und Schlagzeuger Hinni gaben dem Ox Auskunft. Bassist Martin musste passen, er ist unter den Berlinern der einzige Nichttätowierte.
Haben für euch Tattoos und Musik etwas gemeinsam?
Erik: Klar. Wenn man beides unter dem künstlerischen Aspekt betrachtet, kann man sich mit Tattoos wie auch mit Musik selbst verwirklichen und ausdrücken.
Schulle: Ich habe es Mitte/Ende der Achtziger damit verbunden. Ich kam aus der Metal-Szene, bevor meine langen Haare gefallen sind. Musik hat mich immer inspiriert. Mich wundert nicht, dass meine alten Tattoos zu 80% aus Dämonen, Totenschädeln und mystischem Zeug bestehen.
Hinni: Musik und Tattoos sind gleichermaßen ein Ausdruck von Lebensgefühl und Leidenschaft. Wichtige Dinge und Ereignisse im Leben hinterlassen nicht nur Falten oder Narben, sondern manchmal eben auch Tattoos.
Was war zuerst bei euch da: die Musik oder die Tattoos?
Erik: Die Musik kam und kommt immer an erster Stelle.
Tommi: Ganz klar: die Musik!
Schulle: Die Musik kam zuerst. Da bewunderte ich schon Leute wie Angry Anderson, Steve Harris und Bon Scott.
Hinni: Die Musik!
Geht Subkultur für euch ohne Tattoos?
Erik: Heutzutage gibt es wohl keine Subkultur mehr, in der nicht einer tätowiert ist. Bei einigen gehört es ja regelrecht zur Uniform. Ich finde aber nicht, dass es einen Tattoo-Dresscode geben sollte.
Tommi: Ich meine ja. Auch wenn Tattoos für mich immer irgendwie in Verbindung mit Subkultur standen, kenne ich genügend Leute, die nicht tätowiert sind, dafür aber mehr mit Subkultur zu tun haben als viele andere Leute da draußen, die der Meinung sind, dass sie die Könige der Straße sind, weil sie sich in kurzer Zeit komplett zuhacken.
Schulle: Das geht schon. Bestes Beispiel ist Martin, unser Bassist. Obskur finde ich die sogenannten Emo- und Metalcore-Teenies, die sich in einem halben Jahr zurotzen.
Hinni: Ja natürlich. Die meisten Tattoos heutzutage haben eh nix mehr mit Subkultur zu tun, sondern sind oft nur modisches Beiwerk ohne substanziellen Hintergrund.
Wann habt ihr euer erstes Tattoo bekommen? Und was?
Erik: Mit 17 Jahren ... Einen finsteren Sensenmann in Schwarz und Grau mit einer Gitarre in der Hand. Und das auf dem Oberarm und nicht am Hals oder Handrücken!
Tommi: Mit 17 oder 18. Ich weiß es nicht mehr. Ich werde allerdings nie vergessen, dass der Tätowierer mich damals bestimmt dreimal fragte, ob ich mir sicher bin mit dem Motiv. Ich ließ mir einen Krieger auf den Oberarm tätowieren. Nicht gerade der Schönste, aber er ziert immer noch meinen Arm.
Schulle: Ich glaube, mein erstes Tattoo war auf dem linken Oberarm. Das habe ich mir mit 16 Jahren stechen lassen: ein blutrünstiger keltischer Krieger. Meine Mutter schüttelte nur den Kopf. Mein Vater rubbelte mit Spucke und seinen Fingern darauf herum ...
Wie entstehen eure Tattoos?
Erik: Zuerst kommt mir eine Idee in den Kopf, die mich nicht mehr loslässt. Danach lasse ich mir eine Zeichnung anfertigen. Und dann wird gehackt.
Tommi: Ich denke lange darüber nach, was ich mir tätowieren lasse. Die Idee muss in meinem Kopf erst reifen und ich muss davon überzeugt sein, bevor die Maschine angeht.
Schulle: Wenn ich mich heutzutage noch mal auf den Stuhl setze, sollte das Tattoo schon eine besondere Verbindung zu etwas besitzen, das mir sehr heilig ist, etwa zu meiner Familie, zur geliebten Musik oder zur Band. Sensenmänner fallen da wohl weg.
Hinni: Meine Tattoos sind allesamt „freehand“ entstanden. Was erhebliches Vertrauen in den Künstler voraussetzt.
Gibt es für euch eine Verbindung zwischen der Musik, die ihr macht, und den Tattoos, die ihr habt?
Erik: Nicht wirklich. Wenn ich mir ein Tattoo meiner Band stechen lasse, dann würde ich mich wahrscheinlich eher nicht auf einen bestimmten Song beziehen!
Tommi: Auf gewisse Art und Weise schon. Auf meinem rechten Innenarm habe ich mir vor Jahren einen Dämon, eine Zeichnung von einem alten Plattencover von uns, mit dazugehörigem TOXPACK-Schriftzug tätowieren lassen. Mir ist die Band und das, was wir machen, sehr wichtig. Aus diesem Grund kann ich es auch auf der Haut tragen. Ebenfalls habe ich mir erst im letzten Jahr ein Porträt von Lemmy Kilmister auf meinen Unterarm tätowieren lassen. Das hat jetzt nur indirekt mit unserer eigenen Musik zu tun, aber Lemmy und MOTÖRHEAD haben mich schon immer musikalisch inspiriert.
Schulle: Ja, das blieb nicht aus. Ich habe mir vor zehn Jahren unseren Bandschriftzug auf den Hals und vor sechs Jahren meine Finger mit dem Kürzel: „E.B.S.C.“, was für „East Berlin Street Core“ steht, stechen lassen.
Was bedeuten eure Tattoos für euch?
Erik: Erinnerungen an Lebensabschnitte.
Tommi: Für mich sind Tattoos Kapitel des Lebens, wie ein Buch, das eine Geschichte erzählt. Ich trage auch ein Porträt meiner Tochter auf der Haut, als Zeichen meiner Liebe zu ihr. Und um sie immer bei mir zu haben, auf Tour und überall.
Schulle: Es gab gute und schlechte Zeiten im Leben. Meine Tattoos erinnern mich daran.
Hinni: Sie stellen einen Teil meines Inneren dar. Sie sind so was wie ein Fingerabdruck für mich.
Ist Hautkunst politisch für euch?
Erik: Für mich nicht. Wenn sich jemand „Good Night White Pride“ stechen lässt, hat das sicherlich einen politischen Hintergrund.
Tommi: Nein. Noch nie gewesen.
Schulle: Es gibt Menschen, die versuchen, ihre Meinung damit auszudrücken. Vielleicht können sie nicht reden ...?
Hinni: Für mich sind Tattoos etwas zutiefst Persönliches und haben mit Politik nicht viel zu tun.
Jeder Vierte ist tätowiert. Wie beurteilt ihr diesen Trend?
Erik: Da es ein Trend ist, tun mir die Leute leid, die es wegen des Herdentriebs gemacht haben. Denn einige dieser Leute werden sich sicherlich irgendwann ärgern, sich nicht mehr Zeit gelassen zu haben.
Tommi: Wer sich aufgrund eines Trends tätowieren lässt oder meint, dass sein Ansehen oder Coolnessfaktor dadurch steigt, den kann und will ich nicht ernst nehmen.
Schulle: Vor 20 Jahren waren die meisten Tattooträger nur Außenseiter, Knastis oder Rockstars. Vielleicht will jeder Vierte heutzutage gerne in so eine Rolle rein springen?
Hinni: Es ist einfach nur lustig zu sehen, wie sich manche Leute innerhalb eines halben Jahres mit Papas Kohle komplett zupikern lassen und sich dabei total cool fühlen. Was für Volltrottel!
Bereut ihr manche eurer Tattoos?
Erik: Niemals.
Tommi: Auf keinen Fall. Das wäre auch traurig.
Schulle: Nein, nicht wirklich.
Hinni: Zum Glück nicht!
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