Die Berliner TOXPACK sind harte Brocken: Wer Schmuserock will, geht besser woanders hin. „Aggressive Kunst“, so der Titel ihres letzten Albums, ist deshalb auch eine sehr passende Beschreibung ihrer Musik, ihrer Texte, ihrer Attitüde. Doch stumpf geht auch anders, das beweisen sie mit ihrem fünften Longplayer „Epidemie“, mit dem sie von DSS zu People Like You wechselten, wobei dem neuen Label leider der Konkurs ihres Vertriebs in die Quere kam, so dass die Veröffentlichung des Albums um einige Wochen in den Herbst verschoben werden musste,
„Epidemie“ heißt euer neuestes Album. Warum habt ihr gerade diesen Titel gewählt und was macht das neue Album aus?
Tommi: Den Albumtitel haben wir aus dem Grund gewählt, weil wir in den letzten zwei Jahren mit der Band konzertmäßig ziemlich um die Welt gereist sind. Wir waren mehrmals in Spanien, in Frankreich, in Italien und in Österreich und haben dort unvergessliche Abende erlebt. Als deutschsprachige Band auch im Ausland Erfolg zu haben oder bekannt zu sein, ist nicht selbstverständlich. Uns freut das natürlich sehr, und in dem Song haben wir darüber auch ein paar Zeilen geschrieben, wie sich unsere Musik epidemieartig weltweit ausbreitet. Das Ganze ist natürlich im positiven Sinne zu verstehen. Das Album beinhaltet, aus unserer Sicht, das Beste, was wir bisher aufgenommen haben.
Ihr seid für meinen Begriff etwas melodischer geworden und Schulle setzt seine Stimme teilweise auch nicht mehr so brachial ein.
Tommi: Ja, wir haben unserem Gesamtsound einen gewissen Schuss mehr Melodie verpasst, das stimmt schon. Schulle gibt noch genauso Vollgas im Studio wie sonst auch, allerdings sind wir schon bewusst bei einigen Stücken beim Gesang etwas dezenter an die Sache rangegangen. Kommt immer auf den Text an, Songs mit einem beispielsweise traurigen persönlichen Hintergrund volle Kanne nur zu shouten, ergibt für mich keinen Sinn, weil man so das Gefühl der Situation und des Textes nicht vermitteln kann.
Schulle: Was jetzt aber nicht bedeutet, dass auf den nächsten TOXPACK-Scheiben nur Rockballaden enthalten sind. Bei einigen Songs passt es und ich sehe es als Herausforderung an, um im Gesangsbereich besser zu werden. Ich werde aber auch weiterhin meinem alten Stil treu bleiben.
In einem eurer neuen Songs betont ihr, „Das bin ich – 100 % Ich“. Dann kehrt mal euer Innerstes nach außen ... was macht das „Ich“ für euch aus, wie definiert ihr euch?
Tommi: Ganz einfach, ich bin der, der ich halt bin, und daran wird sich auch nichts ändern, Punkt. Wenn jemand damit ein Problem hat, juckt mich das nicht, ich ziehe meinen eigenen Film durch, das ist mein Leben, das ich zu führen habe. Genau das soll auch der Song rüberbringen, um es mal in Kurzform zu sagen: Sei du selbst und bleib, wie du bist!
Auf „Aggressive Kunst“ war Roger Miret als Gast dabei, auf der letzten Scheibe „Cultus Interruptus“ TROOPERS-Atze und Köfte von MAD SIN, ihr besingt zusammen mit Mickey Fitz von BUSINESS die ewige Rivalität zwischen England und Germany beim Fußball. Und jetzt sind Gary Meskil von PRO-PAIN und Joost von DISCIPLINE Gastsänger auf dem neuen Album. Wie schafft ihr das beziehungsweise wie kommt so was zustande?
Tommi: Wir sprechen vorher darüber innerhalb der Band, mit wem wir gerne zusammen ein Stück aufnehmen würden, fragen dann bei demjenigen an, ob er darauf Bock hat, und dann schneiden wir die Songs meistens auf die jeweiligen Gastsänger im voraus schon zu. Wir hatten alle Gastsänger bisher bei uns im Studio, bis auf Gary von PRO-PAIN, da er leider zu der Zeit auf Tour war und nicht zu uns ins Studio kommen konnte. Gary hat dann seine Gesangsspuren in New York aufgenommen, die wir dann bei uns im Studio in den Song eingebaut haben. Das funktionierte wunderbar. Mit Joost und Erik von DISCIPLINE haben wir in Berlin einen ganzen Tag zusammen verbracht und ganz nebenbei die Gastparts aufgenommen. Wir lassen unseren Gästen immer die Freiheit, sich voll und ganz entfalten zu können, so wie sie das gerne wollen. Wir schreiben den Leuten nicht vor, wie sie was zu machen haben, meistens braucht man nur den Song gemeinsam zu hören und der Rest kommt dann wie von alleine. Wichtig ist, dass es rockt, und da waren wir uns alle bisher immer einig. Wir freuen uns immer wieder, mit Leuten zusammenzuarbeiten. Freundschaft spielt da natürlich eine große Rolle, und mit solchen gemeinschaftlichen Songs pflegen wir auch diese Freundschaften.
Angenommen, ihr hättet die freie Auswahl. Mit wem würdet ihr gerne einen Song einspielen?
Tommi: Aus dem Rock/Metal-Bereich: Lemmy und MOTÖRHEAD, Angry Anderson, Angus Young und AC/DC, IRON MAIDEN, Kirk Hammett und James Hetfield ... Eine weibliche Stimme als Gastgesang wäre mal was Neues.
Martin: MOTÖRHEAD, RYKER’S, RED HOT CHILI PEPPERS ... Stimmt, eine Gastsängerin wäre mal nett.
Erik: Heino oder wahlweise die WILDECKER HERZBUBEN.
Schulle: Paul Di’Anno.
Ihr seid ja mittlerweile an einem Punkt angelangt, wo das Flaggschiff TOXPACK auch in größeren Gewässern segeln kann. Gibt’s da Kompromisse, die man eingeht, beispielsweise beim Songwriting oder Gesang, um eine breitere Masse zu erreichen?
Tommi: Nein, so etwas gibt es bei uns nicht. Auf dem „Epidemie“-Album ist zwar alles etwas rockiger und melodischer als auf den Vorgängeralben, das aber aus dem Grund, weil wir, als wir die Songs schrieben, eben einfach Bock darauf hatten, so zu klingen. Und wenn wir auf was Bock haben, dann machen wir das, so war schon immer unser Grundgedanke. Wenn du anfängst, dir Gedanken zu machen, wie du damit eine breitere Masse erreichen könntest, hast du sowieso schon verloren, weil du dann den Glauben an deiner eigenen Musik bereits verloren hast.
Was hat sich für euch seit dem Labelwechsel zu People Like You verändert, was ist passiert? Wie war die „10th Anniversary“-Tour?
Tommi: Die von dir angesprochene People Like You-Tour stand direkt nach unserem Studioaufenthalt an und ließ sich für uns als eine sehr interessante Erfahrung verbuchen. Ich meine, wir sind noch nie so lange am Stück auf Tour gewesen mit der Band. Aber es hat alles wunderbar funktioniert, wir hatten mächtig Spaß mit allen Beteiligten der Tour, haben neue Freundschaften geschlossen und alte gepflegt, und jede Show in jeder Stadt war irgendwie ein Highlight für sich. Bei einer Wiederholung wären wir sofort wieder dabei, keine Frage. Ansonsten sind wir ja im Prinzip noch die „Neuen“ bei PLY und es steht bei uns gerade noch alles in den Startlöchern. Leider verschob sich unser Release ja durch die SPV-Pleite, aber jetzt gehen wir auch in die Vollen mit den People Like You-Jungs!
Martin: Die größte Veränderung war natürlich ein noch professionelleres Arbeiten, als wir es bisher gewohnt waren. Plötzlich muss man sich massiv an enge Zeitpläne halten. Davon abgesehen, haben wir mit der Tour und dem Wechsel zu PLY natürlich auch ein ganz neues Publikum erreichen können. Insgesamt also ein hoher Entwicklungserfolg für TOXPACK.
Der Konkurs eures Vertriebs SPV kam ja ziemlich ungünstig für euch und das geplante Release im August wurde verschoben.
Tommi: Die Insolvenz von SPV kam natürlich zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Natürlich sind wir nicht begeistert über die Verschiebung und haben unseren Frust auch schon in den letzten Wochen mehrmals runtergespült, aber wir schauen nach vorne!
Tommi, du spielst neben TOXPACK ja noch bei STOMPER 98 mit, die ebenfalls in den letzten zwei Jahren sehr erfolgreich waren. Das stelle ich mir ganz schön hektisch vor. Wie kriegt man beides unter einen Hut und muss man da nicht Prioritäten setzen?
Tommi: Manchmal ist das schon etwas stressig, beides unter einen Hut zu bekommen, klar. Aber wir bekommen das immer alles ohne Probleme geregelt, so dass sich keine Gigs in die Quere kommen. Musikalisch gesehen sind das auch auf jeden Fall zwei verschiedene Paar Schuhe für mich.
Schulle, wenn du so zurückblickst, als du nach den BIERPATRIOTEN deine neue Band TOXPACK gegründet hast: Was hat sich verändert in den Jahren, welche Erwartungen hattest du – oder vielleicht auch nicht? Und wie ist dein Resümee?
Schulle: Ja, das sind schon zwei verschieden Lebensabschnitte und auch zwei dadurch unterschiedliche Bands, es ist eine ganz andere Erfahrungsebene. BIERPATRIOTEN habe ich im zarten Alter von 18 Jahren mitgegründet und diese Band gab es acht Jahre bis zum Split 2000. Jetzt bin ich Mitte dreißig und TOXPACK besteht ja auch schon acht Jahre. Ich bin im Gegensatz zu früher ausgeglichener und menschlich gereift. Ich habe eine liebevolle Frau, einen tollen Sohn, eine mir Rückhalt gebende Familie und gute Jungs, mit denen ich Musik machen kann. Wenn ich dafür noch belohnt werde, weil es den Leuten draußen gefällt, freut es mich umso mehr.
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