TOWER BLOCKS

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Die Kids aus dem Hochhaus-Ghetto

Noch ein Jahr bis zum Jubiläum: neun Jahre TOWER BLOCKS! Und wenn man sich umhört, wen man in Deutschland so mit Streetpunk verbindet, fällt neben OXYMORON fast immer auch dieser Name. Wobei diese Genrebezeichnung ja mittlerweile für ein ganzes Sammelsurium aller möglichen Bands verwendet wird. Wie die TOWER BLOCKS sich selbst, ihre Musik und ihre Szene sehen, erzählt mir Stephan Zebisch.

Wie steht ihr zu dem Begriff „Streetpunk“, oder würdet ihr euch vielleicht sogar ganz woanders einordnen?

Mit den Begrifflichkeiten ist das ja immer so eine Sache. Vor geraumer Zeit haben wir uns über solch eine Einordnung eher lustig gemacht, denn wir haben die meisten unserer gut 300 Konzerte bisher schließlich in kleineren und größeren Clubs gespielt, also: Indoor-Punk, bitte schön! Aber Spaß beiseite, wenn andere Bands meinen, sie gehören nicht in diese und jene Schublade, weil sie sich damit viel zu sehr eingeschränkt und in eine Ecke gedrängt fühlen, dann entgegnen wir: Scheiß doch der Hund drauf, ja, wir sind eine Streetpunk-Band, wir betreiben die ganze Sache nicht nur als Kunstprojekt oder um hin und wieder am Wochenende die Sau rauszulassen, sondern es ist nun mal unser verdammtes Lebensgefühl, die Schublade, in der und mit der wir gerne leben! Street Credibility ist zwar ein furchtbares Wort, zudem unaussprechlich, aber es ist ein Aspekt, der aus einer guten Band eine geile Punkband macht. Wir sind mit der ganzen Szene schon ewig verbandelt, wovon auch die Vita unserer Bandmitglieder zeugt: sei es Dr. Kackes Vergangenheit bei TOXPACK, Lindows bei den SOIFASS, Holgis bei der ZUSAMM-ROTTUNG, oder aktuell Stephan bei BAD CO. PROJECT, Suckers (ex-OXYMORON) neuer Band. Auch beruflich sind wir stets bodenständig geblieben, von Stahlarbeiter bis Taxifahrer, um nur mal klarzumachen, dass wir uns „Working Class“ weder auf die Stirn noch Schwanz tätowieren lassen müssen. Resümee: Streetpunk bleibt Streetpunk und Asi bleibt Asi und wir sind stolz drauf, uns Ersterem zugehörig zu fühlen.

Wenn ihr so zurückblickt von den Band-Anfangstagen und „Praise Your Ghetto“ bis heute, was für ein Fazit würdet ihr ziehen? Was hat sich innerhalb der Band geändert und welche Ziele habt ihr mit der neuen Scheibe?

Das wichtigste Fazit: Es war bisher schon eine so geile Zeit, dass uns gar nicht aufgefallen ist, wie schnell sie doch vergangen ist. Es ist schon beeindruckend, wenn man bedenkt, dass wir inzwischen auf neun Jahre TOWER BLOCKS zurückblicken. Als wir anfingen, hat uns der Reiz des Neuen im alten Gewand sofort gepackt. Melodischer Streetpunk, dazu mit englischen Lyrics, war ja, von den Oxys mal abgesehen, in Deutschland nicht unbedingt die große Nummer für einen Großteil der Szene. Und dann nimmst du dein erstes Demotape auf, schickst es in Erwartung von zig Absagen los – und bekommst ein Hammer-Feedback: von Bandworm über Mad Butcher bis Knock Out, jeder wollte unseren ersten Longplayer rausbringen, na ja, fast jeder, hehe ... Unerfahren, wie wir waren, lief dann aber leider manches schief, auch unsere Live-Präsenz ließ damals zu wünschen übrig, so dass eine geile Scheibe nicht den gewünschten Effekt zur Folge hatte. Die schwierigste Phase unserer Bandgeschichte begann 2003 mit dem Rauswurf des ersten Drummers und dem Ausstieg von Schneider , unserem Gitarristen. Bis man in neuer Besetzung in die Gänge kommt, dauert dann halt erst mal etwas, zumal wenn sich ein neues Bandmitglied als Choleriker herausstellt, und so sind mal drei Jahre ins Land gezogen, bis das zweite Album, „Back With A Bang“, erscheinen konnte. 2005, nachdem wir uns unseres Gitarristen entledigt hatten, begann für die TOWER BLOCKS eine neue Zeitrechnung: Mit dem Umstieg Stephans vom Bass auf die Gitarre und Zoppels Einstieg als Rhythmusgitarrist hatten wir mit zwei Klampfen nun ein ganz anderes „Brett“ am Start. Das merkt man auch sehr deutlich bei unserem dritten Longplayer „Havin’ A Laugh & Havin’ A Say“. Mit Sunny Bastards hatten wir nun endlich auch wieder ein Label im Rücken, welches uns, ohne einem lästig reinzuquatschen, professionell unterstützt und mit dafür sorgte, dass wir wieder mit einer ganz anderen Euphorie, aber vor allem Ernsthaftigkeit an die Sache TOWER BLOCKS herangingen.

Mit Sucker verbindet euch ja auch eine langjährige Freundschaft und vom Artwork bis hin zu Gastbeiträgen als Sänger ist er bei euren Scheiben irgendwie immer beteiligt ... Welchen Einfluss hat der Ex-OXYMORON-Sänger auf die TOWER BLOCKS, schreibt er auch Songs für euch oder bringt Ideen mit ein?

Seit Sucker 2006 wieder nach Berlin gezogen ist und über Stephan der Kontakt zur Band zustande kam, ist er mit seiner musikalischen Erfahrung, seinem guten Ohr in Soundfragen und nicht zuletzt mit seinem grafischen Talent ein wichtiger Ratgeber und Freund der Band geworden. Sowohl bei „Havin’ A Laugh & Havin’ A Say“ als auch bei unserer neuen Produktion ist er für das Artwork verantwortlich. Die Picture-Split-LP mit unseren polnischen Kumpels THE ANALOGS hat er ebenfalls gestaltet. Auch bei jeder neuen Produktion ist ihm kein Weg zu lang, um Songs nochmals gegenzuhören und gegebenenfalls seinen Senf dazuzugeben, was man noch verbessern könnte.

Und jetzt also euer viertes Album: „The Good, The Bad & The Punks“. Ihr scheint EXPLOITED-Fans zu sein, wenn ich mir das Cover so ansehe ...

Das gesamte Album kann man als Tribut an 30 Jahre Punkrock bezeichnen. In vielen Texten sind Zitate anderer Punkbands versteckt, die wir gerne hören oder die uns beeinflusst haben. Kleinigkeiten ... da taucht hier mal ein „pissed and proud“ auf, also PETER & THE TEST TUBE BABIES, dort ein „Sitting in the waiting room“, FUGAZI, auch mal eine „wasted time“, STIFF LITTLE FINGERS. Bei „Skinhead girl on the terraces“ wird zur Abwechslung ein musikalisches Zitat verwendet, ein Schelm, wer dabei an COCK SPARRER denkt ... Von EXPLOITED mag man musikalisch halten, was man will – sie haben dem Punkrock in den 80ern noch mal so richtig einen Arschtritt gegeben und damit für viele Kids populär gemacht. Wattie sah jung und mit fettem Iro halt schweinegeil aus, die Musik war zwar nicht mehr als klassischer Eins-zwo-drei-Knüppel-uff’n-Kopp-Punk, aber ich glaube, genau das hat es damals gebraucht. Nachdem die SEX PISTOLS mit dem Film „The Great Rock’n’Roll Swindle“ ihre Abrechnung mit sich und der Kommerzialisierung von Punk gemacht hatten, New Wave und der Großteil der „Neue deutsche Welle“-Bands einem einfach nur die Ohren verklebten, kam da auf einmal so derbe und rotzig eine Band an und behauptete: „Punks not dead!“ Und, yeah, „it wasn’t and it isn’t“!. In dieser Hinsicht wären wir auch stolz, wenn es eines Tages mit einer Tour mit den Jungs noch klappen sollte – wir waren mehrmals kurz davor ...

Was bedeutet es denn ein „Kid of the tower blocks“ zu sein, wie ja der Opener vom neuen Album heißt? Erzähl mal, was ihr damit verbindet, und warum der Name TOWER BLOCKS?

Ein „Kid of the tower blocks“ zu sein, bedeutet, sich seinen Freiraum schon in jungen Jahren dort zu erkämpfen, wo man herkommt – und sei es aus so einer menschenfeindlichen Umgebung wie ein Hochhaus-Ghetto, wie es das in den meisten Großstädten gibt und wo eine Subkultur für gewöhnlich eher schlecht gedeiht. Der Song soll den 14-, 15-, 16-Jährigen Mut machen, die auch in einem so unwirtlichen Umfeld das Punk-, Skinhead- oder Psycho-Ding für sich entdecken und allem den Mittelfinger zeigen, was dem im Wege steht, seien es Eltern, Lehrer, Spießer, Nazis. Auf unseren Bandnamen sind wir damals gekommen, weil wir selbst damals inmitten der Tower Blocks von Berlin-Hellersdorf loslegten, dort viele Freunde gefunden haben und mit dem Sonneneck einen Club, der die Punk/Skinhead-Kultur unterstützte. Das hatte weniger was mit Lokalpatriotismus zu tun – nur unser Gitarrist Stephan ist dort auch aufgewachsen –, sondern mehr mit einem Statement adressiert an den Rest der Berliner Szene: „Schaut her, ihr geleckten Kreuzberger, Friedrichshainer, Prenzlauer Berg-Affen, auch aus den Suburbs von Marzahn/Hellersdorf kann guter Sound kommen, kann eine Subkultur ihren Weg gehen!“ Inzwischen sind wir natürlich längst über die Grenzen hinausgegangen, spielen auch in besagten Bezirken und hängen dort in den Kneipen ab. Es sollten auch nicht alle dort Lebenden abqualifiziert werden. Der damaligen Arroganz wollten wir aber schon was entgegensetzen und da der Begriff auch in einigen Punk-Lyrics auftauchte, lag der Bandname eigentlich nahe.

Eure Lieder besitzen immer eine gehörige Portion Sarkasmus und Zynismus, mit denen ihr die Zustände oder Entwicklungen kritisiert und grenzen sich dadurch wohltuend ab. Ihr nehmt auch nicht gerade ein Blatt vor den Mund und das stößt bestimmt einigen Leuten übel auf. Ist das Kalkül, weil Punk den Finger in die Wunde legen sollte? Ist euch scheißegal, wie die Reaktionen sind, oder ist es gar eine gewisse Lust an Nihilismus und Zerstörung?

Zuallererst: Es gibt auch einige Texte, die nicht in dieses „Fuck off!“-Schema passen, sei es „Football junks“, sei es unser erstes Liebeslied, „Skinhead girl on the terraces“. Aber um zu unseren zynischen Texten zu kommen: „scheißegal“ trifft es schon ganz gut. Ich mag Lyrics, auf die viele mit Ablehnung reagieren, weil sie nicht in ihren kleinen Horizont passen, manches Mal outet sich ein junger Punker dann ja als größerer Spießer als seine Eltern. Wir sind als Band auch nicht gerade Modepüppchen, leben seit geraumer Zeit als Skinheads/Punks, ohne jemals das Gefühl gehabt zu haben, wir müssten jetzt eine Band gründen, die genau so und so klingt, deren Texte jedes Klischee erfüllen und deren Mitglieder genau so und so gestylet sind, damit es auch bitte wie im Katalog passt, Bullshit! Kein Mensch braucht solche Lackaffen-Bands. Und kein Mensch braucht Bands, die mit ihren Texten andere indoktrinieren wollen. Ich beobachte lieber, was um mich rum passiert und knall es dann dem werten Zuhörer vor den Latz. Vielleicht denkt er dann „Jau, kann man so sehen“ oder „Was’n Quatsch“. Ansonsten ist „Nihilismus“ auch ein passendes Stichwort. Wenn man sich bewusst macht, wie bescheuert engstirnig die meisten Menschen doch sind, die sich zumeist tatsächlich für intelligente Wesen halten, dann lässt sich diese Welt doch nur mit einer gesunden Mischung aus Menschenhass und Menschenliebe ertragen.