2020 ist die Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland 30 Jahre her. Ein Ereignis, das auch für die kleine und isolierte Punkszene der DDR eine große Umwälzung bedeutete. Seitdem ist diese vielfach dokumentiert – aktuell mit der „Too Much Future“-Compilation – und interpretiert worden, doch das zugrundeliegende Thema ist (leider) zeitlos: Die Unterdrückung Andersdenkender durch ein autoritäres Regime. Ein Interview von Thomas Thyssen mit „Too Much Future“-Herausgeber und Autor Henryk Gericke.
Thomas Thyssen: 2005 gab es in Berlin die Ausstellung „Ostpunk! Too Much Future“, danach erschien das Buch, 2007 folgte der zugehörige Dokumentarfilm. Jetzt haben wir 2020. Wenn du das in der Retrospektive siehst, mit all dem, was du für Ausstellung, Buch und Film recherchiert hast, was du aber auch selber als Punk in der DDR durchlebt hast, wie würdest du die größten Unterschiede zwischen Punk im Osten und Punk im Westen umschreiben?
Henryk Gericke: Bei allen vorhandenen Gemeinsamkeiten muss man sicher differenzieren. Das gilt ja auch, durch regionale Unterschiede, für Vergleiche zwischen Londoner und New Yorker Punk. Wenn ich Punk in Westdeutschland, wie er in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern stattfand, mit dem im Osten vergleichen soll, dann würde ich das auf die Formel verkürzen, dass in Westdeutschland Punkrock ein popkulturelles Phänomen mit einem politischen Hintergrund, in der DDR aber ein politisches Phänomen mit einem popkulturellen Hintergrund war. Das ist, glaube ich, der große Unterschied. Daher auch der Titel „Too Much Future“, das war fundamental verschieden von „No Future“. Wir hatten keine Angst, keine Zukunft zu haben, sondern waren extrem gestresst davon, dass uns zu viel Zukunft bevorstand, im Sinne einer für alle Zeiten festgezurrten Zukunft.
Ich möchte ein Zitat aufgreifen. In den späten Siebzigern, 1977/78, wurde der Punk westlicher Prägung in den DDR-Zeitschriften bezeichnet als „Mittel im Arsenal bürgerlicher Ideologien, mit denen die Volksmassen manipuliert werden“. Über das Phänomen Punk in der DDR hüllte man aber beinahe bis zur Wende 1989 den Mantel des Schweigens. Wie verlief unter Ausschluss der Öffentlichkeit der Austausch unter Gleichgesinnten? Entstand dieser Austausch einfach, weil die Szene so klein war, dass man übereinander stolpern musste? Wie kann ich mir das vorstellen?
Das lief meines Erachtens zunächst überall gleich ab, egal ob in Manchester oder in Leipzig. Es waren ja am Anfang immer wenige, man hatte gar keine andere Chance, wenn man sich mit Artgenossen gemein machen wollte, sich aufgehoben fühlen wollte unter Gleichgesinnten, dann musste man auf andere zugehen. So arrogant Punk auch war, so abgrenzend gegen andere, wenn man aber in der U-Bahn einen anderen Punk sah, dann hat man sich zunächst belauert und meistens kam man schlussendlich in Kontakt. Dann ging es darum: Wer bist du? Welche Bands kennst du? Hast du irgendeine Ahnung, wo was stattfindet? Das war ein Reflex, der ungesteuert ablief. Der Start, sich selbst neu zu erfinden und sich selbst von der Leine zu lassen, diffus empfundene Ketten zu sprengen, das funktionierte systemübergreifend in Ost-Berlin ähnlich wie in Hamburg. Bis zu diesem Punkt kann man die Entwicklung in Ost und West miteinander vergleichen, danach gingen die Erfahrungen weit auseinander. Durch die fehlende Öffentlichkeit im Osten, auch durch das Fehlen von Fanzines und so weiter, hatte die direkte Kommunikation untereinander eine bedeutende Funktion, man kam gar nicht aneinander vorbei.
Dass Ost-Berlin und Leipzig die ersten beiden Städte waren, in denen Punk in der DDR tatsächlich passierte, lag das schlichtweg daran, dass es einfach die beiden Großstädte waren? Oder daran, dass in Berlin, der gespaltenen Stadt, Punk quasi auf der Hand lag?
Du hast es benannt, Leipzig und Berlin waren in der DDR die größten und auch die internationalsten Städte. Leipzig war Messestadt und in Ost-Berlin waren wir privilegiert, weil wir Westsender empfangen konnten, da sickerte zeitnah viel durch, wir haben neue Einflüsse mitbekommen und schnell absorbiert. Die Mauer zwischen West- und Ost-Berlin war wie eine Venenklemme, die immer wieder gelöst wurde. Das war für die Provinzen in dem Kaff DDR nicht so selbstverständlich. Deshalb spielte Ost-Berlin eine enorme Rolle. Punk streute zwar von dort aus nicht in die Republik, aber die Stadt war für die Szene insgesamt dem Puls der Welt am nächsten.
Die Situation war ja eher so, dass man auf der westlichen Seite aus dem Osten gar nichts mitbekommen hat. Vielleicht auch, weil man sich mit einer gewissen Borniertheit dafür schlichtweg nicht interessierte. Gab es Verbindungen von Ost nach West? Gab es irgendeine Form von Austausch? Hatte man damals im Osten auch von den West-Punkbands gehört?
Es ist ein allgemeines Phänomen, dass der Osten immer über den Westen Bescheid wusste, aber der Westen nicht über den Osten. Das zieht sich bis in die Gegenwart. Natürlich waren wir extrem interessiert an dem, was im Westen Deutschlands und natürlich als Ost-Berliner was im Westteil der Stadt passierte. Aber zwischen den Szenen in den beiden Stadthälften gab es ein großes Interessengefälle. Ich bin initiiert worden durch englischen Punk, doch für eine persönliche Ausrichtung war für uns Punk aus Deutschen Landen, also Bands wie ABWÄRTS, wie SLIME, EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN, vermutlich entscheidender. Wir haben uns an diesen Bands orientiert, weil wir ihre Texte verstanden. In der DDR wurde Russisch als erste Fremdsprache gelehrt und Englisch nur fakultativ. Ich selbst bin vom Englischunterricht „freigestellt“ worden, weil ich in Russisch so schlecht war. Daher haben wir die deutschen Texte aufgesogen, von DER MODERNE MAN oder von FEHLFARBEN, und haben uns an dem Zeitgeist, der aus diesen Texten sprühte, orientiert. Das ist ein interessantes Phänomen, dass bestimmte Zeitgeistbegriffe in West wie Ost gleichermaßen gültig waren. Genauso wie die Bullen und Bürger am Anfang dachten, wir kämen aus dem Westen, die konnten das im Osten gar nicht verorten. Dennoch muss man für die DDR-Punk-Szene einschränkend sagen, wir hatten unsere eigenen Thematiken und die waren grundsätzlich politischer Natur und hatten nur am Rande mit dem Zeitgeist westlicher Prägung zu tun.
Bis 1983 registrierte die Staatssicherheit in einer Art Underground-Zählung – ich finde das sehr interessant – DDR-weit gerade mal ein paar hundert Punks. Wahrscheinlich existierten zu diesem Zeitpunkt vielleicht um die 25 Bands und nur etwa zehn sind zu dem Zeitpunkt aus der Illegalität des Undergrounds, der Keller, der Proberäume herausgetreten und haben überhaupt Konzerte gegeben – in Ateliers oder in Kirchenräumen. Einige der auf der „Too Much Future“-Compilation vertretenen Bands haben nie vor Publikum gespielt. All das ist auch in diesem wunderbaren Booklet sehr opulent von dir aufbereitet worden. Hast du eine Ahnung, wie diese Underground-Zählung vonstatten ging?
Um 1979/80 bewegten sich Punks nur absolut vereinzelt im öffentlichen Raum. Man kann sagen, dass sich bis 1983 dann so etwas wie eine Szene entwickelt hat, die allerdings überschaubar blieb, erst ab 1984 wurde Punk in der DDR zu einer Bewegung. Insofern stimmte die Schräge-Vögel-Zählung der Staatssicherheit mit der Wirklichkeit halbwegs überein. Man darf das nicht überbewerten. Trotz des Staats-Stalkings war das MfS oft auch hilflos. Heute werden die Stasi-Akten als ultimative Quellen zu historischen Fragen herangezogen. Damit sollte man sehr, sehr vorsichtig sein. Da ging es auch um Planerfüllung. Die mussten oft Informationen liefern, ohne welche zu haben beziehungsweise ohne das Phänomen überhaupt ansatzweise zu verstehen. Teilweise sind die Lücken, aber auch die Fehlinterpretationen wirklich kurios, die in den Akten stattfinden. Aber es gab tatsächlich auch Namenslisten von Bands, eine Art Stasi-Charts, und die stimmten im Wesentlichen. Und wenn es heißt, dass von 25 Bands, die es um 1983 gab, zehn aus dem Underground herausgetreten sind, muss man hinzufügen, dass sie den Underground durch ihre Auftritte ja nicht verlassen haben. Das waren Konzerte in engsten Zirkeln, teils hochkonspirativ, auch in Räumen, die nicht jedem zugänglich waren. Da entwickelte sich auch ein Herrschaftswissen, Konzerte waren eine exklusive Angelegenheit.
Das Jahr 1983 stellte den vorläufigen Höhepunkt der frühen Punk-Szene dar, was Anzahl und Umfang der Aktivitäten anging. Wie kam es dennoch zur folgenden Ausbreitung von Punk ab 1984? War da auch eine Zäsur zwischen erster und zweiter Generation?
Der Bruch um 1983/84 hatte verschiedene Gründe. Die frühe Szene wurde durch die Staatssicherheit, auch durch die Kripo, fast aufgerieben. Wie in anderen Ländern auch war die Punk-Szene in der DDR eine männerdominierte Szene und die Staatssicherheit operierte auch mit Einberufungen zur NVA. Viele Punks wurden sofort mit Erreichen der Volljährigkeit von 18 Jahren zum Wehrdienst einberufen. Andere Punks sind im Knast gelandet, etliche im Westen verschwunden. Aber es spielte auch eine Rolle, das sollte man nicht unterschlagen, dass viele sich in einer ganz natürlichen Entwicklung von Punk emanzipiert hatten. Dafür war Punk ja auch gut. Die Szene und ihre Zeit waren auch ein Transitraum, durch den man gegangen ist, um woanders anzukommen. Und dieses Zusammenspiel hat letztlich dafür gesorgt, dass die frühe Szene 1984 nicht mehr in der Weise existent war wie zuvor. Dazu kommt, dass die frühe Punk-Szene natürlich auch Grenzen eingerissen hat, Schlagbäume hob für Leute, die später kamen, die das Risiko inzwischen einschätzen konnten. Wir konnten die politische Brisanz des Ganzen zu Beginn ja kaum übersehen. Wir waren Kinder, wir waren einfach an Pop interessiert, und Pop zu der Zeit war eben Punkrock und Punkrock war das Gebot der Stunde. Erst durch die unmittelbar einsetzende Kriminalisierung wurden wir politisiert und radikalisiert. Insofern wussten die Leute, die nach uns kamen, oft schon, was ihnen blühte, machten aber auch die Erfahrung, dass es nicht mehr ganz so hastig zuging wie noch zwei oder drei Jahre zuvor. All diese Umstände waren mitverantwortlich dafür, dass die Szene der Gründerväter zwar verschwand, aber eine neue ab 1984 expandierte und begann sich in verschiedene Subszenen aufzusplitten. Und da fing es für die Staatssicherheit an, hochproblematisch zu werden, weil sie überhaupt nicht mehr durchgeblickt haben. Die Jugendwächter haben schließlich registriert, dass sie der Sache nicht Herr werden, dass ihnen dafür die subkulturelle Kompetenz fehlt. Punk wurde nicht mehr grundsätzlich verhindert, sondern kanalisiert.
Wir haben eingangs darüber gesprochen, dass Punk in der DDR vor allem in Ost-Berlin und in Leipzig seinen Ursprung hatte, bevor er sich dann ausbreiten konnte. Wie kam es zur Ausbreitung in die Bezirksstädte?
Es ist immer von Leipzig und Berlin die Rede. Aber Subkultur ist wie Wasser und sucht sich ihren Weg. Das ist ein natürlicher Prozess. Mir ist während der Arbeit am Booklet zur Compilation klargeworden, dass zum Beispiel Thüringen als Region eine bedeutende Rolle gespielt hat. Wenn man von Punk-Zentren spricht und die eingrenzt auf zwei Städte, dann muss man das um Thüringen als Landstrich erweitern. Man hat immer den Begriff des Thüringer Waldes im Kopf. Aber man vergisst darüber, wie durchindustrialisiert Thüringen war. Dort war ein Großteil der DDR-Industrie angesiedelt, und das ist sicher ein Grund dafür, dass Punk dort durch viele Klein- oder Bezirksstädte tobte, wie Gotha, Saalfeld, Jena, Eisenberg, Hermsdorf. Weimar war sowieso von Bedeutung, Erfurt herausragend durch die Verschränkung von Punk und einer äußerst agilen Kunstszene.
Wie kam es zur Aufsplittung in verschiedene Subszenen, bis hin zu Abwanderungen aus der ursprünglichen Punk- in die Skinhead-Szene?
Wenn man über Punk in der DDR redet, ist es immer spannungsreich zu vergleichen, wo in Ost und West Entwicklungen nicht nur unterschiedlich, sondern auch wo sie ähnlich verliefen. Ich denke, was die Ausdifferenzierung der Szene angeht, gab es Übereinstimmungen. Natürlich ging man irgendwann gemeinsam los, am Anfang war das ein Riesentumult, das war extrem obskur, absolut wild. Man konnte sich ausleben und austoben, ohne Rücksicht auf Verluste, übrigens auch ohne Rücksicht auf eigene Verluste. Darüber entsteht schnell der Eindruck, diese Szene wäre absolut homogen gewesen. Aber natürlich war sie sehr heterogen. Es differenzierten sich verschiedene Interessen heraus. Auf einmal waren nicht mehr nur die COCKNEY REJECTS en vogue, sondern Punks auch von THROBBING GRISTLE beeinflusst. Irgendwann versuchte man sich auch innerhalb des Undergrounds abzuheben und das, was dort common sense ist, zu torpedieren. Und dann suchte man nach Inhalten, die auch unter den Outsidern extraterrestrisch waren, um sich auch von denen wieder abzugrenzen. Man hörte auf einmal Industrial und entwickelte sich weiter in eine neue abwegige Richtung. Mit den Skins ist es ähnlich. Das hatte natürlich vor allem eine politische und nicht nur eine ästhetische Dimension. Womit konnte man in einem Staat, der politisch derart durchritualisiert war, schocken? Die Punks hatten sich noch links von der Nomenklatura verortet, das war eine klare Provokation. Radikaler war es leider, sich rechts zu positionieren und im Prä-Kommunismus „Sieg Heil“ oder „Juda verrecke“zu schreien. Das war eine Radikalisierung, die schärfer in der DDR gar nicht mehr zu zelebrieren war. Diesen Moment des Schocks, den habe ich bereits sehr früh erlebt, vielleicht Ende 1983 als ich mit einem Punk-Kumpel die Frankfurter Allee runtergegangen bin. Der trug schon Boots, Stonewashed-Jeans und einen Anorak als Bomberjacken-Ersatz. Wir wurden angemacht, er schlug zu und schrie nicht mehr „Scheiß Spießer“, sondern „Du Judenschwein“. Ich habe ihn vollkommen perplex gefragt, ob er sie noch alle beisammen hat! Uns wurde immer wieder hinterher gebrüllt „Ab ins Gas!“, diese Grenze war schon deshalb für Punks tabu. Für einige Leute war sie aber eben nicht mehr tabu. Diesen Tabubruch haben die ganz bewusst vollzogen, das war ein kalkulierter Kontrollverlust.
Alle auf der Compilation vertretenen Bands eint, dass sie zur damaligen Zeit als illegal eingestuft wurden. Das heißt, dass alle Bands eben nicht die staatliche Spielerlaubnis hatten. Interessanterweise, das war mir vorher gar nicht bewusst, gab es aber Punkbands, die eben genau diese offizielle Spielerlaubnis hatten und nicht auf der Compilation vertreten sind, zum Beispiel DIE SKEPTIKER oder FEELING B. Wie war aus damaliger Szene-Perspektive der Blick auf diese Punkbands, die eine staatliche Anerkennung hatten?
Die Bands, die sich um 1980 bis 1982 herum gegründet hatten, wurden schwerst verfolgt. Es gibt das berühmte Beispiel der Ost-Berliner Band NAMENLOS, die radikal politisch waren, ein politisches Phänomen mit popkulturellen Hintergrund, wie eingangs erwähnt. Für NAMENLOS war erst die Botschaft wichtig, dann die Musik, die Band war radikal bis zur Selbstzerstörung. Wer hinter dem „antifaschistischen Schutzwall“ von „Nazis wieder in Ostberlin“ und „MfS SS“ singt, dem musste klar sein, wie das enden wird. Und der Staat hat in seinem Verständnis konsequent gehandelt, NAMENLOS sind geschlossen in den Knast gewandert. Mita, die Schlagzeugerin, die war frische 17, als sie verhaftet wurde. Jana, die Sängerin, ist in Hoheneck gelandet, im schlimmsten Frauengefängnis der DDR. Das war eine alte Festung, da kamst du nicht hin, um deine Zeit abzusitzen. Da kamst du hin, um gebrochen zu werden. Jana kam mit 18 Jahren da rein und hat, glaube ich, fast eineinhalb Jahre in Hoheneck gesessen. Danach hat sie weitergemacht, wie auch A-Micha, der Gitarrist der Band. Das bleibt eine große Leistung, was Zivilcourage angeht. Es mag sein, das ist nicht allen gegeben. Aber es gab weitere Bands wie SCHLEIM-KEIM, wie WUTANFALL, wie L’ATTENTAT, in der mein Mitherausgeber und Freund Maik Reichenbach gespielt hat. Maik hat gesessen, Stracke, der Sänger von L’ATTENTAT, hat gesessen. Chaos, der Sänger von WUTANFALL, ist von der Stasi bis zur Bewusstlosigkeit geprügelt und zu einer Scheinhinrichtung in den Wald eskortiert worden. Es gibt viele Leute, die für ihren Style und für ihre Musik einiges auf sich genommen haben. Von diesen Leuten kann man nicht erwarten, dass sie es schulterzuckend hinnehmen, wenn Leute als Punkband die Bühne mit einer staatlichen Spielerlaubnis betreten. Andererseits muss man anerkennen, dass Bands wie FEELING B, wie DIE SKEPTIKER für eine zweite Generation von Punks Integrationsbands waren.
Wie empfandest du diese Bands?
Dass ich den Opportunismus dieser Bands scheiße fand und finde, ist eine andere Frage. Wobei man auch da wieder differenzieren muss. FEELING B waren ein ganz seltenes Beispiel von Fun-Punk in der DDR. Fun-Punk, wie ihn zum Beispiel DIE ÄRZTE gemacht haben, hatte in der DDR kaum Voraussetzungen. FEELING B trifft der Vorwurf des Opportunismus nur bedingt. Das waren Clowns, anarchische, aber harmlose Typen, deren staatliche Spielerlaubnis eigentlich ein Jagdschein für allerlei Schabernack war. Die waren nicht akzeptiert in der Ur-Szene, das hat uns einfach nicht interessiert, das haben wir nicht mal verweigert. DIE SKEPTIKER haben wir dagegen ganz klar verweigert, die waren, im Kontrast zu ihrem Bandnamen, krasse Opportunisten. Die hatten nicht nur eine Spielerlaubnis, sondern tatsächlich einen FDJ-Fördervertrag. Die sind auch ohne zu zucken auf FDJ-Festivals aufgetreten. Das war sortenreines Kriechertum, bis hin zu jener berüchtigten Szene bei einem gemeinsamen Konzert mit der Band HERBST IN PEKING. Die verfügten zwar ebenfalls über eine Spielerlaubnis, hatten aber ein politisches Gewissen. HERBST IN PEKING haben nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking, ich glaube im Juni 1989, zu den SKEPTIKER-Leuten gesagt; lasst uns auf die Bühne gehen, wir legen eine Schweigeminute ein. HERBST IN PEKING sind auf die Bühne und haben vor den FDJlern eine Schweigeminute eingelegt. DIE SKEPTIKER haben sich derweil im Backstage verkrochen. Im Juni 1989! Als die Leute bereits zu Tausenden über die Grenze in Ungarn sind! HERBST IN PEKING haben übrigens daraufhin ihre so genannte Pappe, ihre Spielerlaubnis, verloren. Und was haben sie gemacht? Sie haben unter einem anderen Namen einfach weitergemacht! Das stellt für mich Piratentum und politische Courage dar, mit dem DIE SKEPTIKER als Punkband nicht in Übereinstimmung zu bringen sind. Für unsere Begriffe hatten die mit Punk in der DDR so viel zu tun wie KARAT mit Hardcore. Wenn die überhaupt Verweigerer waren, dann Anstandsverweigerer. Das Drama ist, dass DIE SKEPTIKER heute als Flaggschiff des DDR-Punk gelten. NAMENLOS haben „Nazis wieder in Ostberlin“ und DIE SKEPTIKER haben von „DaDa in Berlin“ gesungen. Aber DaDa in Berlin, das waren wir, das war die erste Generation und nicht diese Pappkameraden. Als FDJ-Punks verfügten die allerdings über technische Voraussetzungen, welche den frühen Bands nicht vergönnt waren. Bei denen stand ein Mono-Rekorder in der Mitte des Proberaums. So klingen heute die Aufnahmen, sofern sie überhaupt vorhanden sind. Mit Förderung durch die FDJ und einem Vertrag bei Amiga konnte man dagegen seine Platten im Studio aufnehmen. Und das ist heute als Sound vermittelbarer als ein PLANLOS-Song, der mit einem Walkman aufgenommen wurde.
Du selber hast damals als Jungspund auch Musik gemacht, den Namen der Band finde ich großartig: THE LEISTUNGSLEICHEN. Du warst minderjährig, als ihr die Band gestartet habt. Wie entscheidet man sich als Minderjähriger in Ost-Berlin, eine Band zu gründen? Gab es bestimmte Vorfälle, Anekdoten, die dir widerfahren sind oder euch, der kompletten Band, die bis heute bei dir noch persönlichen Nachhall haben?
Also zunächst mal bedanke ich mich sehr dafür, dass du sagst, wir hätten Musik gemacht. Im Nachhinein würde ich das mit Einschränkungen betrachten. Ich habe den Song der LEISTUNGSLEICHEN im Booklet als einen Schreikrampf beschrieben, der begründet war. Als 16-jähriger wurde ich immer wieder vor die Musterungskommission zitiert, um mich als künftiger Offizier zu verpflichten. Insofern war das wirklich ein Schrei der Verzweiflung mit entsprechendem Punk-Kolorit. Für mich hieß, Punk zu sein, auch Musik zu machen. Ich wollte unbedingt Punkrocker sein, mit der Betonung auf Rocker. Dabei hatten wir nichts: Equipment, Verstärker, Gitarren, das war horrend teuer in der DDR. Auch für Profimusiker war das eine echte Hürde. Wir haben angefangen mit den obligatorischen Waschschüsseln. In einem Musikgeschäft namens „Guter Ton“ haben wir eine Pionierpauke gekauft. Es gab aber keine Drumsticks zu kaufen, die haben wir uns über die Bluesband ENGERLING besorgt. Unser Drummer hat sie dann gleich beim ersten Song unseres einzigen Auftritts zerkloppt. Mit einem Schnitzelklopfer und irgendeiner Kelle hat er weitergemacht, das Übliche eben. Das war auch egal. Das war ja eher performativ zu verstehen als wirklich musikalisch. Wir hatten auch keinen coolen Proberaum, wir haben in dem Wohnzimmer meines Vaters im 19. Stock der Fischerinsel 6, mit Blick über die Mauer nach Kreuzberg, geprobt. In einem Neubau, der natürlich unseren Sound viel mehr verbreitet hat als jedes Konzert, weil Beton wunderbar leitet. Deswegen ging das auch nicht lange gut. Dann haben wir unsere Proben unter die Gertraudenbrücke direkt an der Spree verlegt, wo die Autos über einen Gullydeckel kachelten und uns den Rhythmus vorgaben. Dort wurden wir von der Wasserpolizei aufgebracht, um mal im maritimen Sprachgebrauch zu bleiben. Die legte mit einem Schnellboot an und wir durften erstaunlicherweise noch unseren Kram zusammenklauben und verschwinden. Das war vermutlich unsere größte Leistung; zuerst waren die LEISTUNGSLEICHEN die höchste Punkband der Stadt und dann waren wir vermutlich die einzige Punkband DDR-weit, die von der Wasserpolizei verhindert wurde. Aber die Bedingungen, unter denen Punkrock gemacht wurde, waren natürlich alles andere als Comedy. Ich hatte später noch eine Band, das war dann eher Darkwave, und der Proberaum war der ehemalige Kühlraum einer Fleischerei. Den hatten wir besetzt und eines schönen Tages kamen wir in diesen Proberaum, in dem unser bescheidenes Equipment plötzlich knietief unter Wasser stand. Die Staatssicherheit hatte kurzerhand den Raum geflutet.
Wie seid ihr bei der Zusammenstellung der „Too Much Future“-Compilation vorgegangen? Ihr wart alle selber aktiv in der Szene, kanntet wahrscheinlich nahezu alle Bands, die vertreten sind, auf einer persönlichen Ebene. Bestand dieser Kontakt über die Jahrzehnte hinweg oder musstet ihr die Protagonisten von damals erst ausfindig machen? Gab es auch Leute, die mit ihrer musikalischen Vergangenheit nicht mehr konfrontiert werden wollten?
Es gibt eine wichtige Personalie, die ich unbedingt erwähnen will, das ist unser Freund Pankow, der einst Sänger von PLANLOS war. Pankow war eine bekannte Figur in der Ost-Berliner, wie Maik in der Leipziger Szene. Wir drei hatten alle noch viele Kontakte, durch die wir andere Mitverschwörer wieder ausfindig machen konnten. Als Pankow und ich anfingen, zunächst für den 2007 erschienenen „too much future/ostPUNK!“-Film Material zu sammeln, sind wir auf ein hohes Maß an Widerstand gestoßen. Das war eine harte Angelegenheit. Einige Leute aus der Szene waren inzwischen auch erfolgreich, als Musiker, oder allgemein im künstlerischen Bereich, und wollten mit dem Osten nicht mehr in Verbindung gebracht werden. Die haben sich durchaus für ihre Herkunft geniert. Ein interessanter Effekt war dann, als die Ausstellung mit einigem Erfolg gelaufen war und auch das Buch und der Film, da fand das genau andersherum statt. Da wurden manche dieser Leute nicht müde zu betonen, dass sie aus der ostdeutschen Punk-Szene stammen, auf einmal war das cool und ein Punkt in der Vita, mit dem man sich schmücken konnte.
Ich habe das Booklet zu der Compilation wirklich verschlungen. Wie lange hast du daran geschrieben? Allein das Zusammentragen der ganzen Informationen und diese dann in eine wirklich extrem eindrucksvolle Folge an Texten zu bringen ...
Anfangs dachte ich: okay, ich schreibe das an zwei Wochenenden runter. Dann habe ich beim ersten Text schon gemerkt, dass mich das nicht befriedigt. Ich wollte keinen meiner früheren Texte kopieren oder die ewig gleichen Personalbögen aus der einschlägigen Literatur zum Thema. Ich wollte nicht das ewig gleiche Spiel: Wer hat mit wem in welcher Band gespielt und von wann bis wann? Sicher, das hat auch seine Bedeutung, doch mir ging es nicht darum, die ganzen Fachtermini auszubreiten. Für mich wurde essentiell, dieses Booklet auch literarisch zu handhaben. Ich habe zur Subkultur in der DDR, nicht nur zu Punkrock, so viel geschrieben und gesagt, dass ich mich auch neu erfinden musste, um mein Interesse am Thema wachzuhalten. Also habe ich mich zunehmend dafür interessiert, was im Umfeld der Bands stattfand, und zwar nicht nur in der sogenannten Szene. Ich nehme mal das Beispiel GEFAHRENZONE aus Saalfeld in Thüringen; das war eine Band, die war sozusagen psychogeografisch eingeklemmt zwischen den Saalfelder Feengrotten und Unterwellenborn, einem der übelsten „Arbeitslager“ – das Wort war amtlich in Gebrauch – für politische Häftlinge. Mein Mitherausgeber Maik Reichenbach hat in Unterwellenborn gesessen. Fossi, der bei SCHLEIM-KEIM gespielt und dann DIE FANATISCHEN FRISÖRE gegründet hat, saß in Unterwellenborn. Das spielt in dem Booklet eine Rolle. Aber mich hat nicht interessiert, eine Litanei gebrochener Biografien auszubreiten, mich hat die Absurdität, das bizarre Element dieser Geschichten interessiert, um es in die Erzählungen aufzunehmen. Und dadurch hat sich die Arbeit hingezogen, nicht nur über zwei Wochenenden, sondern letztlich, mit Unterbrechungen, über eineinhalb Jahre. Viel Arbeit haben die Recherchen gekostet. Ein Beispiel: Die beiden Leute von RESTBESTAND – ich bin ein großer Liebhaber des schmalen Werks dieser Band – habe ich gefragt, wann habt ihr RESTBESTAND gegründet? Die wenigen Angaben in anderen Publikationen sind widersprüchlich. Und dann wusste ich auch warum: Einer von beiden sagte, wir haben uns 1984 gegründet, der andere sagte; wir haben uns 1984 aufgelöst. RESTBESTAND haben aber zwei Jahre existiert! Es war oft mühsam, sich der Wahrheit wenigstens zu nähern. Insofern dürften die Storys im Booklet auch nicht frei sein von Unschärfen. Aber mir war ohnehin wichtiger, den Geist von Punkrock Ost einzufangen, als einen Datenabgleich vorzunehmen, auch wenn ich letzteren ernst genommen habe.
Es fällt sehr auf, dass das Artwork, im direkten Vergleich zu vielen anderen Punk-Retrospektiven, nicht dem typischen Punk-Klischee entspricht. Keine Schleimspuren, keine Spraypaintings, keine wirren Fotocollagen – das Ganze ist grafisch aufgeräumt, stilistisch sehr durchdacht. Wie kam es zu dieser Herangehensweise, die eher ungewöhnlich ist und die sich von anderen Rückschauen, ganz gleich ob UK-Punk, US-Punk oder westdeutscher Punkt, enorm abhebt?
Ich kann mich für Punkrock nur noch aus der Perspektive von Post-Punk begeistern. So prägend Punkrock war, so entscheidend als Impuls und als Initiation, für mich persönlich liegt der eigentliche Wert von Punkrock in der Artenvielfalt von Post-Punk. In mir kämpfen SHAM 69 mit den TALKING HEADS, da tobt in mir immer noch eine Schlacht. Mich hat damals schnell gestört bis abgestoßen, dass die Ästhetik von Punk zu einem Muster wurde. Am Anfang war die Erpresserbrief-Typografie von Jamie Reid höchst innovativ, auch die Schablonenschrift, die Bands wie CLASH und CRASS einführten – aber dann wurde die Schablonenschrift tatsächlich zu einer Schablone. Und was mir zunehmend auf den Geist ging, sind diese Punk-Tapeten aus Foto-Vignetten, die man oft nicht mal erkennt, weil die schon beim Druck zulaufen. Du kannst viele Bücher und Booklets, die zu Punkrock entstehen, ohne große Abweichungen nebeneinander legen. Letztlich sehen die alle gleich aus. Und deswegen haben wir Wert darauf gelegt, die Fotos groß und sinnlich abzudrucken und dafür vielleicht auch auf manches Foto zu verzichten. Entsprechend wollten wir auch eine klare Typografie, die, so hoffe ich jedenfalls, auch die gedankliche Sortiertheit des Inhalts widerspiegelt.
Gibt es Bands oder bestimmte Songs auf dem Sampler, die dir persönlich sehr wichtig sind, zu denen du eine emotionale Beziehung hast, die dir mehr bedeuten als andere Songs, auf die du besonders stolz bist, weil es zum Beispiel kaum noch Quellenmaterial gab?
Ich habe einige Bands, sofern sie damals aufgetreten sind, live erlebt. Dadurch habe ich eine besondere Verbindung zu Ost-Berliner Bands wie NAMENLOS und UNERWÜNSCHT, aber vor allem zu PLANLOS, die ich musikalisch für stilbewusst und textlich für herausragend halte. Zu diesen Bands habe ich natürlich eine ganz andere Beziehung als zu Bands, die wir im Nachhinein recherchiert haben. Aber es gibt Songs, die wir erst im Nachhinein entdeckt haben – da freue ich mich einfach für die Compilation, dass die drauf sind. Es gibt zum Beispiel einen Song auf dem Sampler, nach dem gieren viele Adepten, die sich für das Genre Ostpunk begeistern, „DDR Terrorstaat“. Der ist in der Dokumentation „Störung Ost“ von 1996 mit nur einer Strophe zu hören. Den kannte zu DDR-Zeiten niemand, weil der politisch so explizit und krass war. Die Leute, die den damals aufgenommen haben, hielten ihn unter Verschluss. Niemand wusste bis vor drei Jahren, von wem er ist. Wir haben jahrelang intensivst gerätselt. Auch die beiden Frauen aus der Ost-Berliner Punk-Szene, die „Störung Ost“ gedreht haben, wussten nicht, von wem der Song ist oder von wem sie die Aufnahme hatten. Dann sind sie für uns noch mal in die Archive hinabgestiegen und fanden die Aufnahme auf einer alten VHS-Kassette. Von diesem Moment an hatten wir überhaupt erst eine vollständige Version des Songs. Und der geht nicht etwa nur über eine Strophe, der läuft, was für Punk schon episch ist, geschlagene fünf Minuten! Eine einzige Brandrede gegen den Staat, und das in Midtempo, das gerade macht ihn so intensiv. Aber wir wussten immer noch nicht, von welcher Band der Song stammt. Wieder ein paar Jahre später äußerte Schrammel, ein Leipziger Experte und Freund, den vorsichtigen Verdacht, dieser Song könne von einem Kumpel von uns stammen, von Mike Göde von BETONROMANTIK, eine Band, die auch auf der Compilation zu hören ist. Ich habe das zuerst gnädig beiseite gewischt, dann aber beim nächsten Telefonat Göde mal nebenbei gefragt: Sag mal Mike, kann es sein, dass „DDR-Terrorstaat“ von dir ist? Und der sagt: Ja, klar, der Song ist von mir! Nach beinahe 25 Jahren Rätselei stellte sich heraus, der Song stammt aus unserem engeren Umfeld! „Too Much Future“ ist die erste Compilation, die „DDR-Terrorstaat“ im Programm hat. Das ist ein Coup. Das ist ein Song, auf den ich, das kann ich sagen, stolz bin.
Bei meiner eigenen Recherche für unser Gespräch bin ich immer wieder über eine Ost-Berliner Band namens KOKS gestolpert. Den Namen liest man auch mehrfach im Booklet, allein aufgrund der Tatsache, dass er anscheinend in die erste Welle von DDR-Punkbands gehört. Es fällt daher auf, dass die Band auf „Too Much Future“ nicht enthalten ist. War das einer dieser klassischen Fälle, wo einfach eine Rechteklärung nicht mehr möglich war, Mitglieder nicht mehr auffindbar waren? Oder gab es andere Gründe?
Es ist tatsächlich so, dass wir vielleicht mit zwei oder drei Bands zunächst Rechteprobleme hatten. Bei KOKS verhielt es sich allerdings anders. Die Band ist, was ihren Mythos angeht, vielleicht so etwas wie THE LONDON SS der Ost-Berliner Szene. Wer sich im englischen Punk auskennt, weiß um den Legendenstatus von LONDON SS. Sicher, ein gewagter Vergleich und natürlich sind beide Bands nicht direkt nebeneinander zu stellen. Doch, was sie als Geisterbands angeht, schon. KOKS sind sehr früh entstanden. Der Sänger, ein Ilja, war, das ist Teil des Mythos’, Sohn eines Diplomaten der jugoslawischen Botschaft in Ost-Berlin. KOKS haben zwei, drei Auftritte gehabt, einen in den Räumen der jugoslawischen Botschaft. Dieser Ilja ist damals über den Alexanderplatz getigert und hat die paar dortigen Punks zusammengetrommelt. Nur dadurch sind einige wenige Leute in das Konzert geraten. Die Szene war ja zu dieser Zeit sehr dünn, und dass er überhaupt ein paar Leute gefunden hat, grenzt an ein Wunder. Es ist wie mit LONDON SS. Die Leute, die heute sagen können, ich habe diese Band gesehen, die gehören wirklich zum Muttergestein nicht nur der Ost-Berliner, sondern überhaupt der DDR-Punk-Szene. Ich selber war Teil der ersten Generation, muss aber neidvoll bekennen, ich habe sie live nicht gesehen, ein schwärender Dorn im Fleisch meiner Vita. Aber immerhin, ich kenne ein paar Leute, die KOKS gesehen haben. Diese Band schwebt ein bisschen wie ein Geist nicht über, aber durch die Szene, auch weil es von KOKS kein uns bekanntes Material gibt. Aber ich verspreche an dieser Stelle, genauso wie bei „DDR Terrorstaat“, wir werden diese Band erkennungsdienstlich behandeln. Und dann werden wir vielleicht auch KOKS auf einer zweiten Auflage von „Too Much Future“ präsentieren. Wir arbeiten daran.
Du hast wahnsinnig viel Arbeit, auch viel Lebenszeit, in die Aufbereitung und Dokumentation von Ostpunk gesteckt. Wir sprachen darüber; ein Buch, viele Veröffentlichungen, Ausstellungen, ein Dokumentarfilm. Ist diese Compilation dein finales Statement zum Thema? Oder gibt es deinerseits noch Bemühungen, Ideen, Vorstellungen oder überhaupt noch Material oder Blickwinkel, um Ostpunk noch weiter auszuleuchten? Oder sagst du: That’s it?
Nun ja, die Freude an der Beschäftigung mit einem Teil der eigenen Vergangenheit war ja, dass ich mir wieder ein Gefühl für eine Zeit verschafft habe, in der Musik ein Riesenabenteuer war. Musik musste man sich erobern, im Sinne eines Entdeckers. Da öffneten sich immer wieder neue Kontinente, die man betreten hat. Und man musste, ich bleibe mal im Bild, zu den noch unbekannten Quellen des Genres vorstoßen. Und das war für mich wunderbar, das auf die Ost-Subkultur heute noch einmal anzuwenden. Die Compilation erscheint ja in der Platten-Edition „Iron Curtain Radio“, die betreibe ich bei Major Label gemeinsam mit Alex Pehlemann, der ein großer Enthusiast ist, was den osteuropäischen Underground der Achtziger Jahre betrifft. Alex erforscht den Underground Osteuropas und ich bin gewissermaßen der DDR-Beauftragte. Als eine große Herzensangelegenheit in Form eines Doppelalbums gebe ich 2021 eine Compilation mit DDR-grundiertem Darkwave heraus. Das berührt auch meine Arbeit als DJ, ich lege Psychedelic, Darkwave und Post-Punk in all seinen Facetten und Ausspielungen auf. Was Punkrock aus der DDR betrifft, so bin ich an einem glücklichen Ende. Ich bin da komplett ausgeschrieben und im besten Sinne überfragt. Ich habe zum Thema sehr viel veröffentlicht, an etlichen Podien teilgenommen, habe einen Film gemacht zum Thema, also was noch mehr?! Ich freue mich vor allem darüber, in Zukunft die „Iron Curtain Radio“-Serie mit zu lancieren. Und ich gebe ja noch eine weitere Vinyl-Serie heraus – „Tapetopia“ bei Play Loud! Records in Berlin. Bei „Tapetopia“ erscheinen Underground-Tapes, die in der DDR in geringsten Auflagen von zwanzig bis maximal hundert Stück kursierten, die nie auf CD, nie auf Vinyl veröffentlicht wurden, die damals im Kanon des Undergrounds eine Rolle gespielt haben, übrigens auch in den Stasi-Etagen, aber darüber hinaus nie Wirkung entfalten konnten. Diese Tapes bringe ich jetzt in 500er-Auflagen heraus. Bisher sind ORNAMENT & VERBRECHEN erschienen, DIE GEHIRNE und KLICK & AUS. Als Nächstes erscheinen auf „Tapetopia“ THE LOCAL MOON, ein Ost-Berliner Projekt aus dem Jahr 1986. Das ist eine Entdeckerarbeit als Herausgeber, aber als Autor werde ich mich aus dem Thema DDR-Underground in Zukunft verabschieden, ehe es too much wird.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #153 Dezember/Januar 2020 und Thomas Thyssen