TODD SERIOUS & REBEL SPELL

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Spaziergang im Wald

Wenige Wochen vor der geplanten THE REBEL SPELL-Europatour ist Todd „Serious“ Jenkins, Leadsänger der Polit-Punkband aus Vancouver, am 7.3.2015 im Alter von 41 Jahren bei einem Kletterunfall in Nevada ums Leben gekommen. Die Band ist erschüttert, genauso wie der Großteil der Punk-Szene Vancouvers. Todd Serious – geboren als Todd Jenkins – war ein wirklich inspirierender Mensch. Er setzte sich auch für anarchistische Politik und soziale Gerechtigkeit ein und war ein ausgesprochen guter Texter, Sänger und – gerade angesichts dessen, wie streng er mit sich selbst umging – ein freundlicher, lustiger und zugänglicher Mensch.

Weil ihn der Widerspruch störte, in einem nicht sonderlich umweltfreundlichen Diesel-Gefährt zu touren, sich aber gleichzeitig lautstark für Umweltschutz zu engagieren, rüstete er den Bandbus so um, dass dieser mit gebrauchten Pflanzenöl lief. Ein Mann, der die kontrovers diskutierte Hunde-Rettungsorganisation „A Better Life“ unterstützte, die irgendwann von der Polizei verboten wurde, weil sie angeblich mit ihren Ansichten zum Wohl der Tiere zu weit ging. Seit THE REBEL SPELL mich das erste Mal total begeisterten, als ich sie am 10. Februar 2007 im Richard’s on Richards in Vancouver mit den FURIES und D.O.A. live sah, habe ich sie mir immer wieder angeschaut, und ich interviewte Todd mehrfach. Als ich ihn im Oktober 2014 anlässlich des letzten Albums „Last Run“ interviewte, hätte ich niemals gedacht, dass es mein letztes Gespräch mit ihm sein würde oder dass die Record-Release-Show im 333 das letzte Mal sein sollte, dass ich ihn sehe. Hier nun posthum Ausschnitte aus diesem Interview.


Todd, nach dem ersten Anhören würde ich sagen, das neue Album „Last Run“ klingt sehr bedrückend. Ich finde es immer schrecklich, wenn Bands Alben so benennen, dass man denken könnte, es wäre ihr letztes. Ich weiß aber, dass der Titelsong „Last run“ nicht davon handelt.

Nein, der Song handelt nicht davon, dahinter steht ein anderes Konzept. Ich weiß aber, dass es wahrscheinlich die letzte Tour für den Bus war, mit dem wir jahrelang unterwegs waren ... Man kann das natürlich sofort auf einer anderen, einer höheren Ebene betrachten und da kommt man unweigerlich hin, wenn man darüber intensiv nachdenkt. Wir haben so, wie wir gerade leben, nicht mehr viel Zeit. Es wird bald eine große, chaotische Veränderung geben, und ja, ich weiß, das klingt jetzt nach „doomsday talk“, dennoch: Heute gibt es ja schon diese kleinen wirtschaftlichen Probleme, die momentan die USA in die Knie zwingen, aber das sind nur Symptome. Ich denke, bald werden wir ein globales Riesenproblem haben – und wenn dann alle die selben ökonomischen Probleme zur selben Zeit haben, werden sie nicht mehr dazu in der Lage sein, sich gegenseitig wieder auf die Beine zu helfen. Die Flucht, auf der die Menschheit sich gerade befindet, wird bald ein Ende haben. Zuerst ging es bei „Last run“ um die signifikante Reduzierung der Wolfspopulation im Norden von Alberta zum Schutz der Rentier-Bestände. Dann habe ich mich weiter damit beschäftigt und festgestellt, dass sie dasselbe mit Robben machen. Die Tiere dafür verantwortlich zu machen, dass der Fischbestand kollabiert? Das ist absurd! Und dann habe ich angefangen, alles zusammenzusetzen und diese gigantische Hasstirade auf die Weltvernichtungsmethoden zu schreiben.

Wie verändert dich das Älterwerden?

Darüber habe ich in „Sit with me anger“, einem Song von unserem 2005er-Album „Days Of Rage“, geschrieben. Der Song handelt vom Älterwerden und wie man mehr über Sachen nachdenkt und auch Nuancen erkennt. Deine Weltsicht ist nicht mehr nur schwarz oder weiß, du kannst nicht einfach alles in gut oder schlecht einteilen. Ich finde es immer schwieriger und das kommt Verzweiflung gleich.

Glaubst du noch an Punk und dessen revolutionäre Kraft?

Die Idealen, die mich damals zum Punk geführt haben, sind immer noch meine Ideale. Ich versuche, nach ihnen zu leben beziehungsweise sie in mein Leben zu integrieren. Ich sehe die Band immer noch als Hobby, aber es ist eine Möglichkeit, mit mehr Menschen kommunizieren zu können – mehr, als würde ich nur herumlaufen und reden. Andere Menschen tun das auch auf andere Weise, mit anderen Kunstformen. Es ist eine Stimme, die die Menschen nutzen können. In einer Band sein, ist einfach das Mittel, zu dem ich einen Zugang habe. Es ist eine Möglichkeit, viele Menschen zu erreichen.

Aber das recht abgelegene Lillooet, wo du lebst, ist doch wirklich nicht günstig gelegen, wenn man in einer Band spielt, oder?

Nein, aber es gibt dennoch etwas Gutes daran. Elliot und Erin, die in meiner Band spielen, sind momentan hier, Travis lebt hier auch – und ja, es gibt den Umstand, dass sie herfahren müssen. Aber wir müssen nichts zahlen, um zusammen zu spielen. Wir können hier in meinem Haus jammen. In Vancouver müssten wir richtig viel Miete zahlen.

Und sie sitzen hier fest, es gibt keine Ablenkung. Wenn sie da sind, sind sie da ...

Genau. Als wir damals 35 Kilometer außerhalb von Lillooet gewohnt haben, war das wie eine Höhle. Da gab es nichts zu tun. Also, na ja, es gibt einiges zu tun, aber vor allem im Winter bist du eingeschneit, es gibt keinerlei Ablenkung.

Dennoch sprichst du im Titeltrack des neuen Albums ja von „the distractions of your silly scene“. Ich nehme an, du meinst damit die Punk-Szene?

Nein, ich meine Ablenkungen allgemein und die Dummheit innerhalb solch einer Szene, sei es die Punk-Szene oder die Film-Nerd-Szene, die uns von wichtigen Dingen ablenkt, die um uns herum passieren. Wir halten uns mit Dingen auf, die unseren Freundeskreis betreffen und wessen Platte nächste Woche erscheint. Das ist diese dämliche Szene, über die ich spreche. Wir alle sind in solche Szenen involviert. Wir beschäftigen uns alle prioritär mit albernen Dingen.

Wir entertainen uns also zu Tode ... Und worum geht es „I heard you singing“ vom neuen Album?

Der Text ist fast wie ein Spaziergang in den Wäldern oder in den Bergen. Dahinter steht auch das primitivste Ideal, nämlich einfach alles zurückzulassen und in den Bergen zu leben. Diesen Ruf zu hören und einfach zu viel Angst zu haben, ihm zu folgen. Er ist da, aber ich bin nicht mutig genug. Und irgendwie wäre es die ultimative Verwirklichung einiger Ideale, die ich vertrete.

Respektierst du die Spiritualität der indigenen Völker in Kanada mehr als das Christentum?

Nein. Ich denke aber, Religion hat einen Nutzen für Menschen – Hoffnung und was das angeht. Aber wenn Menschen erwarten, dass ihr religiöser Glaube – oder auch nur ihr Glaube, ihre Gebete – etwas in der Welt verändern würden, kann ich auch nur noch meine Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Du verschwendest deine Zeit und Energie. Wenn dir etwas wirklich so wichtig ist, dass du deine Kraft reinsteckst, warum betest du dann und steckst nicht wirklich deine Kraft in dessen Umsetzung?

Bist du durch und durch Atheist?

Soweit ich mir alles zusammenreime, gibt es keinen Gott. Ich bin mir da nicht ganz sicher, aber ich bin definitiv Atheist. Nichts deutet auf die Existenz eines Gottes hin.

„Last Run“ ist ein großartiges Album, aber es klingt auch „kommerzieller“, als würdet ihr versuchen, ein größeres Publikum zu erreichen.

Ich bin über jede Art von Publikum froh. Ich habe letztens noch gesagt: Punk ist nicht tot, Genres sind es. Wir haben auf einigen Festivals gespielt, an Orten, an denen ich es nie erwartet hätte. Die Leute waren verrückt danach – ganz unterschiedliches Publikum. Den Leuten werden Genres gleichgültiger. Vielleicht ist das so, weil wir alle erwachsener werden, mit dem Alter verlieren Genres an Bedeutung.

Es scheint jedenfalls sehr viel persönlicher zu sein, als würdest du deine eigene Verletzlichkeit offener zeigen.

Ja, und bei „I heard you singing“ präsentiere ich meine Ängste, meine eigene Feigheit, wenn du so willst. Ich kann über meine Ideale singen, aber wenn es wirklich darauf ankommt: Wie weit kannst du gehen, inwiefern bist du gewillt, außerhalb dieser großen, gemütlichen Gesellschaft zu leben? Ich beantworte deine Frage also nicht direkt. Aber ich schreibe keine Lieder über Herzschmerz oder Ähnliches .

Wie würde im Idealfall dein Leben aussehen, wenn dich keine Ängste zurückhalten würden?

Ich wünschte, ich hätte eine perfekte Antwort auf die Frage. Es ist einfach so weit von der Realität entfernt, wie sich eine Milliarde Dollar zu wünschen ... Ich würde gerne in einer gerechteren Welt leben. Das ist alles.