TITLE FIGHT

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Ein neues Hardcore-Selbstverständnis

Mit der Veröffentlichung von „Shed“ 2011 konnten sich TITLE FIGHT der dogmatischen Ketten des Hardcore entledigen und setzten einen enorm kreativen Reifeprozess in Gang. Auf ihrem dritten Studioalbum „Hyperview“ mit seinem Shoegaze-Sound stehen die Zeichen weiter auf Veränderung, aber weniger auf Sturm. Ein wünschenswerter Lebenszyklus bei einer Band. So weit, so gewöhnlich. Sie wären aber nicht TITLE FIGHT, wenn das alles nicht von einer bestimmten Rücksichtslosigkeit geprägt wäre. Der Vierer verkörpert gemeinsam mit LA DISPUTE oder PIANOS BECOME THE TEETH ein neues Hardcore-Selbstverständnis. Ich sprach mit Ned über den Reifeprozess der Band.

Ned, wie nimmst du euren eigenen Reifeprozess und eure Schritte wahr, die ihr von Album zu Album gewagt habt?


Wir sind an dieses im Grunde nicht anders herangegangen als an die vorherigen Alben auch. Wir hatten die gleiche Grundidee. Aber die Art und Weise, wie wir unsere Songs schreiben, hat sich verändert. Aus dem einfachen Grund, weil wir uns diesen von einem anderen Punkt in unserem Leben annähern. Wir haben neue Erfahrungen gesammelt, neue Bands gehört und neue Orte besucht.

Doch scheint es, als musstet ihr euch erst durch verschiedene Stadien kämpfen: „Shed“ ist das Proberaumalbum, auf das ihr lange Zeit hingearbeitet habt. „Floral Green“ ist das Album, das während Soundchecks und Wartezeiten auf Tour entstanden ist. Wofür steht „Hyperview“?

Das ist eine recht treffende Analyse der Alben. Ich würde sagen, „Hyperview“ ist ein Album, welches vollends im Studio entstand. Die Tatsache, dass wir einen Monat im Studio Zeit hatten, gab uns die Möglichkeit, mit Ideen herumzuspielen. Da wir uns außerdem eine sieben- bis achtmonatige Tourpause eingeräumt hatten, haben wir versucht, im Vorfeld zu Hause unentwegt zu schreiben. Diese Möglichkeiten hatten wir bislang noch nie. Das hat die Songs maßgeblich geformt.

Würdest du mir zustimmen, dass „Hyperview“ folglich euer künstlerisch ausgereiftestes Studioalbum ist?

Ich denke ja. Ich möchte mir nicht eingestehen, dass ich dir da zustimme, aber „Hyperview“ ist definitiv ein wenig durchdachter. Ich kann nicht sagen, dass wir an diesen Songs härter gearbeitet hätten, aber wir haben sehr viel mehr Zeit im Studio in sie investiert.

Inwiefern siehst du „Hyperview“ und eure Veröffentlichungen generell als Experiment an, mit dem ihr auch scheitern könntet?

Ich will nicht sagen, dass „Hyperview“ ein Experiment ist. Ich weiß auch nicht, ob es experimentell ist. Aber ich denke, es ist der Weg, den wir gehen mussten. Als Band hast du die Möglichkeit, dich auszudrücken. Viele Bands preschen in eine Richtung vor und fühlen sich dann auf einmal verpflichtet, genau diesen einen Weg beizubehalten. Ich sehe nicht, warum ich solch einer Verpflichtung nachkommen sollte. Mit solch einer Attitüde bringst du dich natürlich in eine Position, die dich scheitern lassen kann. Aber ich nehme lieber dieses Risiko auf mich und starte zumindest den Versuch, als die immer gleichen Songs zu schreiben.

Für „Hyperview“ habt ihr euch mit Bands wie DINOSAUR JR oder BEACH BOYS beschäftigt und deren Momente, als sie etwas Neues erschaffen hatten. Sollte das nicht ein Anliegen jeder Band sein – sofern das im 21. Jahrhundert möglich ist?

Ich denke schon. Ich glaube, das ist eine überaus machbare Sache. Aber ich denke, dass die Bands in den meisten Fällen stur und wahrscheinlich umso ängstlicher sind. Um ehrlich zu sein, ich habe Angst zu versagen. Aber diese Ängste treiben nicht meine Ambitionen an. Ich bin vielmehr damit beschäftigt, etwas auszuprobieren, worauf ich stolz bin.

Mike von PIANOS BECOME THE TEETH erzählte mir kürzlich, dass er beim neuen Album „Keep You“ die Reaktion bekam: Warum wollen sich Bands eigentlich immer weiterentwickeln? Macht ihr ähnliche Erfahrungen?

Als wir „Head in the ceiling fan“ veröffentlicht haben, gab es schon Diskussionen wegen des Songs. Aber die nachfolgende Veröffentlichung von „Floral Green“ rückte den Song in ein gutes Licht. Ich hoffe, dass die Leute ein wenig mehr darauf vorbereitet sind, wozu wir imstande sind. Ich würde mir wünschen, dass wir in einer Position sind, in der wir jede Art von Song herausbringen können, und die Leute, selbst wenn sie ihn nicht mögen, sagen, dass er im Gesamtkontext Sinn ergibt.

Viele Bands bleiben ihrem Sound für Dekaden treu und werden dafür gefeiert. Andere Bands, die darum bemüht sind, sich zu entwickeln, müssen dafür büßen. Wie siehst du das?

Ich glaube, das hängt davon ab, was du für eine Person bist und wie du Musik konsumierst. Ich würde mir wünschen, dass Musik mehr als etwas Künstlerisches gesehen wird. Und Kunst steht für Entwicklung und Veränderung. Ich kann keine Band dafür verurteilen, dass sie zehn Jahre dasselbe tut. Wenn sie dort ihre Prioritäten sieht, freue ich mich für sie. Aber das ist nichts, was ich in meinem Leben sehe. Niemand würde es jemals allen recht machen. Ob uns zehn oder 10.000 Leute mögen, das passiert einfach. Ich kann nicht kontrollieren, wie Leute fühlen. Das Einzige, was ich kontrollieren kann, ist, was ich mache.

Glaubst du, einige Leute könnten durch Alben wie „Keep You“ oder „Hyperview“ erkennen, dass Bands mit einem Stilwandel nicht automatisch verkopfte Ideen ausleben wollen, sondern sich zum Besseren verändern?

Ja, das glaube ich definitiv. Veränderungen in der Musik werden regelrecht stigmatisiert. Es gibt unzählige Beispiele von Bands, die sich weiterentwickelt und ein besseres Album geschrieben haben. Ich glaube, dass die Leute Angst haben, etwas zu verlieren, das sie genießen. Das weiß ich, weil wir mit PIANOS BECOME THE TEETH darüber geredet haben. Die Leute waren sehr aufgebracht und haben den Schritt nicht verstanden. Ich verstehe diese Reaktion wirklich nicht. Denn es ist ja nicht so, als hätten sie sich komplett verändert. Sie haben nur verschiedene stilistische Dinge einfließen lassen. Das Album macht im Gesamtkontext nach wie vor Sinn. Ich glaube, die Leute sollten unvoreingenommener reagieren.