TIGERS JAW

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Your new favorite reinvented band

Es gibt Alben, die vermitteln einem das Gefühl, verstanden zu werden. Sie reichen dir die Hand. Sie sind wie der eine Freund, der immer für dich da ist. „I Won’t Care How You Remember Me“ ist dieser Freund. Es ist die Platte, die zuhört, obwohl sie eigentlich so viel zu erzählen hat. Dabei haben es TIGERS JAW aus Scranton, Pennsylvania geschafft, ihre wahrscheinlich tanzbarsten Songs mit sehr persönlichen Texten so zu verbinden, dass ihr sechstes Album eigentlich immer und überall funktioniert. Sängerin und Keyboarderin Brianna erklärt, wie ihr das Songwriting geholfen hat, sich mit Problemen auseinanderzusetzen und hat zwischendurch sogar noch einen Tipp parat, wie wir Stress vermeiden können.

Es scheint, als wäre „I Won’t Care How You Remember Me“ die richtige Platte zur richtigen Zeit. Welchen Einfluss hatte das Album auf dein Leben?

Sie bedeutet mir unheimlich viel. Es ist die erste Platte, bei der Ben und ich mit Colin und Teddy, unseren „neuesten“ Bandmitgliedern, zusammengearbeitet haben. Diese Dynamik, die das Album ausmacht, führt dazu, dass es sich dieses Mal so gut anfühlt wie noch nie. Wir haben alle kollaborativ an dem Prozess mitgewirkt und das, obwohl wir zwischendurch vor der einen oder anderen größeren Herausforderung standen. Dennoch haben wir es geschafft, so intim miteinander zu arbeiten, wie wir es vielleicht noch nie getan haben. Das Songwriting war sehr persönlich, aber auch angenehm und ermutigend. Dazu kommt, dass „I Won’t Care How You Remember Me“ für mich eine kathartische Wirkung hatte. So war ich in der Lage, mich auf eine ganz neue Art auszudrücken. Eigentlich bin ich nämlich sehr gut darin, zu prokrastinieren und Dinge immer unglaublich lange aufzuschieben. Es sei denn, ich habe eine Deadline. Daher schreibe ich auch nicht ständig. Ich werde immer erst kreativ, wenn ich weiß, dass die Songs fertig werden müssen. Dadurch war ich gezwungen, mich auch mit Sachen auseinanderzusetzen, die ich wahrscheinlich sonst nicht behandelt hätte. So gesehen bin ich sogar dankbar, dass es so gelaufen ist.

Wie würdest du jemandem das neue Album beschreiben, der oder die noch nie etwas von TIGERS JAW gehört hat?
Ich muss gestehen, dass ich mich wirklich damit schwertue, unsere Musik zu beschreiben. Natürlich ist unser Sound von den Bands und Künstlern beeinflusst, die wir gerne hören. Tom Petty hatte in Bezug auf diese Platte einen großen Einfluss auf mich. Vielleicht kann man sagen, dass „I Won’t Care ...“ am ehesten so klingt, wie wir uns auch live anhören. Anders als auf unserer letzten Platte „Spin“ wirkt hier alles aufgeräumter und roher. Wo wir vorher vielleicht noch mehrere Schichten übereinander gepackt haben, um den Song zu füllen, ist es nun irgendwie einfacher. Dieser Live-Charakter hat dazu geführt, dass jeder in der Band mehr Raum auf der Platte bekommen hat. Das lief fast schon automatisch. Inhaltlich geht es hier um Selbstreflexion und, wie der Titel schon sagt, nicht darum, was andere von einem denken. Schließlich kann es manchmal sein, dass andere Menschen einen mit ihrer Meinung runterziehen und verletzen. So was bringt dich im Leben nicht vorwärts. Wir sind für uns selbst verantwortlich. Ben meinte, dass der Titel wie eine trotzige Aussage zu verstehen ist. Das soll nicht arrogant wirken, aber verdeutlichen, wie wichtig es ist, dass wir uns nicht von anderen abhängig machen.

Es ist also keine Platte für gebrochene Herzen?
Nun, es gibt schon ein paar Songs, die sehr emotional und traurig sind. Das rührt daher, dass wir sehr introspektiv an die Texte herangegangen sind und in vielen Situationen fast schon zu viel reflektiert haben. Vor allem lassen uns Erlebnisse wie eine Trennung ja meist nicht als besonders glückliche Menschen zurück. Wir fangen an, darüber nachzudenken, was wir falsch gemacht haben könnten, damit es so weit gekommen ist. „Cat’s cradle“ handelt zum Beispiel von einer Freundschaft, die irgendwie ins Wanken geraten und dann implodiert ist. Tatsächlich erzählen mir auch immer wieder Leute, dass sie manchmal weinen müssen, wenn sie TIGERS JAW hören. Wahrscheinlich gehen wir genau durch dieselben Täler. Das erzeugt auch eine emotionale Beziehung.

Musik wirkt in manchen Situationen Wunder, meinst du nicht auch?
Die Musik, die wir machen, funktioniert tatsächlich so für mich, wie sie auch bei anderen wirkt. Ich liebe es, mich mit Musik zu beschäftigen. Die Bands, die ich höre, geben mir das Gefühl, verstanden zu werden. Ich kann mich mit ihren Songs identifizieren. Ohne dass ich die Personen wirklich kenne, bin ich irgendwie mit ihnen verbunden und vor allem nicht mehr allein. Das wirkt sich auch auf unser Songwriting aus. Ich wechsle quasi die Perspektive. Wir müssen unser Innerstes nach außen kehren und können damit dann auch mit anderen Menschen in Kontakt kommen. Diesen Moment, dass wir einen bestimmten Song angemacht haben, weil wir uns gerade besonders gefühlt haben, kennen wir ja alle. Selbst der traurigste Song kann immer noch irgendetwas Hoffnungsvolles transportieren und uns vielleicht sogar glücklich machen.

Was würdest du Leuten raten, die gerade in einer zwischenmenschlichen Krise stecken und nicht wissen, wie sie sich in einer unglücklichen Beziehung verhalten sollen? Es scheint nämlich so, als hättest du dich während des Songwritings in einer ähnlichen Situation befunden.
Das letzte Jahr war für uns alle wahrscheinlich kein besonders schönes. Ich habe gemerkt, dass ich für mein charakterliches Wachstum selbst verantwortlich bin und habe erkannt, wie ich dieselbe Lektion offenbar mehrmals lernen muss, bevor ich sie tatsächlich auf mein Leben anwende. Das, was dabei immer wieder auftaucht, ist, wie wichtig es ist, immer ehrlich und direkt zu sein, auch wenn es um die Beziehung zu anderen Menschen geht. Es ist wichtig, auch Dinge anzusprechen, die vermeintlich tabu sind. Manchmal wirkt es so, als würden andere von dir erwarten, dass es dir immer gut geht und dass du funktionierst, auch wenn sich das gar nicht richtig anfühlt. So setzen wir uns nicht authentisch mit Dingen auseinander. Bei mir führt das manchmal dazu, dass ich regelrecht passiv-aggressiv werde, nur weil ich Angst habe, das Falsche zu sagen und andere zu verletzen. Ich überlege mir, wie sie wohl auf mein Verhalten reagieren, bevor überhaupt irgendetwas passiert. Das ist mir beim Schreiben der Texte aufgefallen. Vielleicht ist es einfach die Erfahrung, die sich ergibt, wenn wir älter werden. Vielleicht sind es aber auch die Dinge, die gerade um uns herum passieren. Wenn wir uns selbst und anderen gegenüber ehrlich sind, können wir uns eine Menge Stress ersparen. Auf lange Sicht ist es sinnvoller, sich direkt in unbequeme Situationen zu begeben und Sachen anzusprechen, als immer wieder alles runterzuschlucken und zu ertragen, bis wir irgendwann explodieren. Sogar wenn wir unsere Partnerinnen und Partner betrügen, ist das ja auch nur das Ergebnis eines langen Prozesses. Viele Wünsche und Bedürfnisse werden einfach nicht ehrlich kommuniziert und es muss noch einiges geschehen, bevor es dann am Ende zum Schlimmsten kommt.

Kommen wir zurück zum neuen Album. Welche Bedeutung hat es für dich im Kontext von TIGERS JAW?
Ich liebe die Platte! Das mag vielleicht auch daran liegen, dass wir bis zu ihrer Veröffentlichung einiges durchgemacht haben. Schließlich waren wir schon im April 2019 mit den Aufnahmen fertig und sie sollte letztes Jahr erscheinen. Wir hatten gerade das Design im Kasten und haben uns schon darauf vorbereitet, sie herauszubringen, als Corona alles zum Stillstand brachte. Seitdem habe ich die Songs super oft gehört und irgendwann gemerkt, was sie mir bedeuten. Ich bin immer noch sehr happy mit dem, was wir aufgenommen haben. Das war nicht immer so und ist ein wirklich gutes Zeichen.

Die Platte klingt sowohl nach Indierock und als auch nach Emo. Habt ihr euch eine genaue Vorgabe gemacht oder ist es einfach so passiert?
Eigentlich haben wir ja 16 Songs aufgenommen. Die fünf, die es nicht auf das Album geschafft haben, werden wir später sicher noch als EP veröffentlichen. Es war uns wichtig, dass kein Song gleich klingen sollte. Ich meine, es gibt wahrscheinlich keine Band, die Musik schreibt, nur um auf eine bestimmte Anzahl Tracks zu kommen. Ich bin übrigens der Meinung, dass die perfekte Albumlänge bei zehn Songs liegt. Das ist wahrscheinlich so ein Musiknerd-Gedanke.