TIDAL SLEEP

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Mehr Metaphern

Am Anfang stand bloß die Idee, Musik zu machen, vielleicht „irgendwas mit Hall und Delay zwischen CAVE IN und ENVY“. Eine Idee, der bereits nach wenigen Monaten das erste, selbstbetitelte Album folgte und die im Folgenden eine so starke Anziehungskraft ausübte, dass THE TIDAL SLEEP fast schlagartig sogar über Szenegrenzen hinaus Resonanz erfahren haben. Jetzt, zwei Jahre, eine EP, einen Besetzungswechsel und knapp 120 Konzerte später, erscheint das zweite Album der Band, die mittlerweile über die gesamte Republik verteilt in fünf verschiedenen Städten lebt. „Vorstellungskraft“ heißt die neue Platte, die erneut intuitiv und ungezwungen entlang der Idee eines Kollektivs entstanden ist.

Wie lief die Gründung von THE TIDAL SLEEP ab?


Thomas: 2011 hatte ich keine Lust mehr auf meine alte Band MAN THE CHANGE. Armin, Nic und ich fingen einfach an zu jammen. Nic war mein Mitbewohner und wir spielten früher bereits gemeinsam in einer Band. Oli, der Gitarrist, war ein Bekannter von Bekannten aus der Karlsruher Ecke. In der ersten Probe war direkt der erste Song im Kasten, geschrieben und aufgenommen. Ein halbes Jahr lang probten wir an zwei Tagen die Woche. Dann war das erste Album fertig und alles ging relativ schnell. Eineinhalb Jahre nach der ersten Probe erschien die EP, es folgten die Touren mit DEFEATER und XERXES. Während der XERXES-Tour verließ Oli die Band. Er wollte nicht mehr touren, damit waren 50% der Vorgaben der Band nicht mehr erfüllt. So kamen Matze und Marc hinzu. Matze ist ebenfalls ein Bekannter aus früheren Bands, wir kennen uns schon seit zehn Jahren. Marc wurde ursprünglich mal von Oli gefragt, ob er nicht als zweiter Gitarrist einsteigen möchte.

Wandelte sich durch Matze und Marc auch die Idee vom TIDAL SLEEP-Sound?

Marc: Die Idee der Musik war mir schon damals sympathisch. Oli und ich stellten fest, dass wir gitarrentechnisch auf einer Wellenlänge liegen. Sich in die Band einzufügen war dementsprechend einfach. Erst war ich auch nur für eine Tour als zweiter Gitarrist dabei, damit der Sound voller klingt. Die Stücke auf zwei Gitarren aufzuteilen, war total harmonisch, das lief ohne große Worte. Ich hatte nicht das Gefühl, mich in ein festes Gefüge einfinden zu müssen.

Thomas: Bei der ersten Probe spielten wir eine komplette Setlist, ohne dass Matze und Marc sich kannten. Die zwei rissen das Set am Stück runter und es klang verdammt gut.

Die Texte eurer Songs sind sehr metaphorisch. Die von der See geprägte Bildsprache zieht sich fast schon konzeptionell durch Artwork und Bandname. Was fasziniert euch daran?

Nic: Seitdem ich Musik höre, waren Texte, in die ich viel hineindeuten konnte, die interessantesten für mich. Das waren seit jeher Texte, die ich auch für mich nutzen konnte. Wie man die Metaphern versteht, ist am Ende also jedem selbst überlassen. Ich halte es gerne so offen wie möglich, damit man sich sein eigenes Bild machen kann. Wichtiger als die direkte Message ist mir, dass man seine eigene Vorstellungskraft nutzen kann.

Schränkt man sich auf Dauer nicht in seinem Ausdruck ein, wenn man sich auf diese Meer-Ästhetik versteift?

Nic: Nein, ich denke nicht. Wobei die Texte der neuen Platte tatsächlich eher „straight-forward“ sind, aber dennoch nicht platt. Unsere Bildsprache gefällt mir sehr. Gezeitenschlaf ist einfach ein wundervolles Wort.

Dazu passt natürlich auch der Titel der Platte, „Vorstellungskraft“.

Marc: Beim neuen Album wurde der Aspekt der Vorstellungskraft fast schon konzeptionell gedacht. Bedingt durch die Distanzen, die zwischen uns liegen, und weil viele Ideen spontan entstanden sind, nötigte uns die Entstehung der Platte, wie sie klingen könnte und auch was aus der Band wird, viel Vorstellungskraft ab. Der Begriff tauchte im Arbeitsprozess immer wieder auf. Alle am Album Beteiligten mussten Ängste überwinden, sich treiben lassen, in das Kollektiv vertrauen und eben darauf hingewiesen werden, sich das Ganze einfach mal vorzustellen.

Bis „Vorstellungskraft“ im Kasten war, hat es vergleichsweise lange gedauert.

Marc: Die Distanzen erschweren es uns natürlich, Zeit für Proben zu finden. Bricht man die Entstehung der neuen LP auf die Proben runter, hat die zweite Platte gar nicht so viel mehr Zeit in Anspruch genommen als das erste Album.

Thomas: 2013 haben wir sehr wenig geprobt, wir hatten vielleicht vier richtige Treffen. Die ersten beiden Platten entstanden spontan und waren Ergebnisse der intuitiven Jams.

War die Arbeit an „Vorstellungskraft“ durchdachter?

Thomas: Das Schreiben der Platte verlief, bedingt durch die Distanzen, kaum nach Regeln des klassischen Songwritings. Armin und ich hielten unsere Ideen mit dem Smartphone fest und schickten die Aufnahmen an alle weiter, während Marc seine Demos mit Garageband einspielte. Richtig ausgearbeitet und arrangiert wurde die gesamte Platte dann in nur drei Proben. Den Gesang hat Nic komplett selbstständig aufgenommen, nachdem die Instrumente im Kasten waren. Gearbeitet wurde nach dem Motto „Stück für Stück“ und „Wird schon werden“. Sobald sich etwas wie ein Song anfühlte, war es ein Song. Große Diskussionen und ständiges Ausarbeiten gab es nicht. Ich würde vielleicht sogar sagen, dass „Vorstellungskraft“ noch intuitiveren Charakter als die letzten beiden Platten besitzt.

„Vorstellungskraft“ klingt eingangs überraschend stürmisch. Gerade wenn man an die „Four Song“-EP denkt, sind die ersten Songs wuchtige Brecher.

Thomas: Das ist alles sehr organisch entstanden. Das Stürmische hat sich einfach ergeben. Es war nicht kalkuliert, die harten Songs haben wir nicht erzwungen. Gerade gegen Ende wird die Platte ja auch „versöhnlicher“, wie Weini von unserem Label This Charming Man es ausdrückt. Da setzt sich wieder Matzes poppiges Gitarrenspiel durch. Das verleiht unserem wuchtigen Sound aber auch ganz neue Nuancen.

Nic: Meine Stimme klingt auch ein wenig fieser, weil ich dieser teils poppigen Instrumentierung entgegenwirken musste! Haha.

Ihr habt sehr früh große Resonanz erfahren. Das mag zum Teil auch dem damaligen Hype um „Wave“-Bands geschuldet gewesen sein. Mit der ersten Platte habt ihr 2012 offenbar perfekt den Zeitgeist getroffen.

Thomas: Getroffen, ja, aber nicht geplant getroffen. Mit seiner Gitarre wollte Oli auf der ersten Platte nach CAVE IN klingen und der Rest wollte nach ENVY klingen. Das Ergebnis hat ganz gut in diese Wave-Phase reingepasst. Der Medienwirbel um diese Wave-Sache war total unsäglich. Den „Wave-Sound“ gibt es nicht, die Bands klingen alle völlig unterschiedlich. Im Visions war auch ein Artikel über „Wave“-Bands aus Deutschland, schrecklich. Von den erwähnten Bands gibt es, glaube ich, keine mehr. Aber klar, der Trubel hat uns klare Vorteile gebracht. Nanouk von Avocado Booking ist direkt auf uns zugekommen. Wir kennen uns schon lange, aber unsere vorherigen Bands fand er nie gut. Diesmal war er überzeugt, dass wir es verdient hätten, vor ein Publikum gestellt zu werden. So hat er uns direkt mit auf die DEFEATER-Tour geschickt. Das war cool.

In dieser Konsequenz sind auch die Touren mit SILVERSTEIN und FUNERAL FOR A FRIEND 2013 zu sehen. Heute spielt ihr vor BOYSETSFIRE in einer ausverkauften 2.000er-Halle, während ihr an anderen Tagen D.I.Y.-Shows mit vielleicht zwanzig Gästen habt. Das sind krasse Gegensätze, die ihr vereint.

Thomas: Mit THE TIDAL SLEEP wollten wir uns keine Grenzen setzen. Die D.I.Y.-Geschichte hatten Armin und ich mit MAN THE CHANGE zu Genüge durchgekaut. Deshalb fand ich die großen Produktionen anfangs auch interessant. Relativ schnell zeichnete sich jedoch ab, dass uns das nicht viel gibt. Ab und an ein großes Konzert zu spielen, ist nach wie vor ganz cool, aber nur diese Schiene zu fahren, das macht für uns keinen Sinn. Wir haben da keinen Bock drauf.

Marc: Vor einem Publikum, das mit unserer Herkunft oder der D.I.Y.-Szene relativ wenig zu tun hat, zu spielen, ist abstrakt, manchmal seelenlos, aber auch eine Chance. Wir versuchen Interesse für unseren Background zu wecken.Wir stehen dann auch den Abend über am Merchstand, um uns mit Interessierten zu unterhalten. So hat man die Chance dieses „preaching to the converted“ zu durchbrechen. Als ich 16 war, kannte ich auch nur die ganz großen Nummern. Bei denen im Vorprogramm sah ich dann Bands, die mich total umgehauen haben. Das weckte Neugier und ich entdeckte eine Welt, die viel interessanter war. Bei den „normalen“ D.I.Y.-Konzerten fühlen wir uns dennoch wohler. Die schönsten Erinnerungen der letzten beiden großen Touren sind die Off-Days, die wir selbst mit Shows gefüllt haben – eine Floor-Show in Belgien, ein Proberaumkonzert in Iserlohn ...

Dieser schlagartige Erfolg hätte so manche Band durchdrehen lassen. Ihr scheint das alles recht abgeklärt mitzunehmen. Schlägt da die langjährige D.I.Y.-Erfahrung durch?

Thomas: Abgeklärt würde ich ablehnen, das klingt so routiniert. Den Moment können wir schon genießen. Wir haben nur keine Ambitionen, „the next big thing“ zu sein. Mit dem, was wir musikalisch machen, sind wir einfach nur sehr, sehr zufrieden. Egal, in welchem Rahmen das stattfindet, das ist uns vollkommen egal. Wir werden einfach nur konstant Musik machen und ständig touren, nur darum geht’s.

Marc: Durch all die Jahre in der D.I.Y.-Hardcore-Szene weiß ich genau, wo ich hingehöre. Interessant ist, dass ich durch diese großen Touren diese Herkunft und mein eigenes Leben total reflektiert habe und darin bestätigt wurde, wie man sich das aufgebaut hat. Alle sind berufstätig und versuchen trotzdem, eine Band am Leben zu halten.

Nic: Wir sind in der glücklichen Position, dass diese Möglichkeiten uns – so doof es klingen mag – zufliegen und wir bewusst Entscheidungen treffen können. Es gibt auch Beispiele, wo wir uns gegen etwas entschieden haben. Anfragen, die totaler Quatsch waren.

Marc: Das Musikgeschäft ist total kaputt, damit will ich nichts zu tun haben. Ich möchte einfach nur Musik machen und nicht mit Arschlöchern unterwegs sein.

Thomas: Na, das hast du ja ganz gut hinbekommen, haha.