Tics, das sind eigentlich nervöse, unkontrollierbare Zuckungen. Ein treffender Bandname für den hibbeligen Noisepunk der Band TICS aus Köln und deren zweites Album „Agnostic Funk“. Michael, Manni, Matthias, Wolfgang und Jens bilden die Stammbesetzung, die live oft durch einen Saxophonisten oder andere Musiker ergänzt wird. Wir sprachen mit Michael über ihre Vorgehensweise und den Zeitgeist.
Michael, kannst du mit dem Wort „hibbelig“ als Beschreibung eurer Musik gut leben?
Haha. Ja, hibbelig ist für den Zustand eigentlich ganz gut, unser Name ist programmatisch gewählt. Wir haben alle schon einige Jahre auf dem Buckel und schon viel Musik gemacht. Jetzt wollten wir eine Band haben, bei der es einfach mal schnell geht. Wo man eben nicht redundant in drei oder vier Minuten arbeitet, sondern schneller Ergebnisse hat und seine Ideen rasch umsetzt. Wo man ständig in Bewegung bleibt, was uns auch in Bezug auf die Texte am Herzen lag. Wir wollten wiedergeben, wie wir heutzutage miteinander kommunizieren. Es muss alles schnell gehen, es muss schnell ein Statement da sein. Dann gibt es gleich ein Gegenstatement und man kann es gar nicht mehr auflösen, weil ständig irgendwie alle gleichzeitig brabbeln. Das wollten wir musikalisch umsetzen, diese vielen Tics.
Die Musik hört sich so an, als ob sich jeder einzeln etwas überlegt und ihr das dann gemeinsam erst alles zusammenführt.
Genau so ist es auch, programmatisch ist nur die grobe Richtung, also wie wir als Band unsere Musik begreifen. Wir haben alle viele Ideen, es wird alles aufgenommen, archiviert und das wird dann weiterentwickelt.
Der erste Song heißt „Soft panic“, das ist so was wie das Motto der Platte. Ihr setzt den Hörer schon unter starke Spannung. Seid ihr selbst auch nervöse Typen?
Dass wir jetzt alle mit ADHS durch die Gegend laufen, würde ich verneinen. Aber wir spüren schon, dass wir alle Musik anders wahrnehmen. Spotify ist ein gutes Stichwort dafür, wie ich selbst als Konsument Musik begegne. Man hört sich etwas 15 Sekunden an und skippt dann weiter. Eigentlich finde ich es ja gut, aber ich höre mir eben nichts zu Ende an und das überträgt sich schon auf die Musik. Dass wir die Erwartungshaltung haben, dass man beim Spielen der eigenen Musik nicht den Impuls bekommt, gerne umschalten zu wollen. In der kurzen Dauer der Songs muss aber trotzdem alles passieren. Also nicht angestrengt im negativen Sinne, sondern eher aufmerksam. Man nimmt die Musik klarer wahr, weil man sie aufgrund der Schnelligkeit und den Variationen nicht so leicht ignorieren kann.
„The tide“ ist ein gutes Beispiel dafür, dass es euch möglich wäre, andere Songs zu schreiben und so was nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist.
Das schon und vielleicht wird es das ja auch geben. Aber es ist eher unwahrscheinlich. Wir haben ein Cover aufgenommen, sehr opulent mit zwei Schlagzeugen, mehr Gitarren und das dauert tatsächlich vier Minuten ... Das ist unser Opus, ein Coversong aus den Siebzigern. Den hätte man sicher auch in eineinhalb Minuten abfrühstücken können, aber unter der Prämisse des Coverns haben wir mal etwas fernab unserer Linie ausprobiert.
Alte Freunde, neue Band?
Mit dem Schlagzeuger und dem Bassisten mache ich schon seit 15 Jahren Musik und auch mit den anderen habe ich schon Musik gemacht, die meisten kenne ich so um die zwanzig Jahre. Wir kennen uns, was das angeht, also in- und auswendig. Aber das erfordert das auch und es würde sonst nicht funktionieren. Profimusiker sind wir mit Sicherheit alle nicht.
Ihr verwendet viele Samples, wie geht ihr bei der Sample-Auswahl vor?
Das macht unser Sänger Matthias. Wenn ihn etwas dazu bringt, mit seinen Gedanken dabei zu verharren, dann sammelt er das. Aber es gibt auch Sachen, die er gezielt sucht, weil es thematisch passt. Bei „The luck of the Jewish“ gibt es einen Teil der Rede zur Gründung des Staates Israel. Und es gibt auch Sachen, die einfach lautmalerisch überzeugen und interessant sind.
Wahrscheinlich bei „Vampires“, das hätte man nicht besser singen können, sogar das Lachen passt.
Das ist Mark E Smith von THE FALL. Als der gestorben ist, haben wir uns Interviews mit ihm angeschaut. Seine Aussage, von wegen „vampyrism is not a crime“, das ist so irre, dass wir das unbedingt haben wollten, und in den Song hat es super gepasst.
Ihr werdet gerne mit MINUTEMEN verglichen, ich dachte eher an VIOLENT FEMMES und LES SAVY FAV.
Eine Inspiration sind MINUTEMEN auf jeden Fall, das ist unbestreitbar. Der Vergleich kommt wahrscheinlich durch die kurzen Songs und das Rhythmisch-Vertrackte, das liegt nahe. Wir finden die alle toll, aber die waren nicht unser „role model“ und es war nicht so, dass wir die die ganze Zeit gehört haben. Nichtsdestotrotz kann man sich damit identifizieren. LES SAVY FAV ist ein guter Vergleich, denn Manni, Jens und ich sind von der ersten bis zur letzten Tour immer auf deren Konzerte gegangen und ihnen teilweise sogar hinterhergefahren, das war schon eine ziemliche Erweckung. Hammerband. Es klingt wohl ähnlich, weil auch bei denen sehr viel zusammenkommt.
Auf dem Cover von „Agnostic Funk“ sehe ich eine ausrangierte Rakete und einen Haufen Äpfel. Woher kommt das Foto, was soll es mir sagen?
Es stammt von einem befreundeten Fotografen, der vor zehn Jahren eine Reise mit der Eisenbahn von Istanbul in den Nahen Osten gemacht hat. Das Foto selbst wurde in Anatolien geschossen, da war er mit dem Auto unterwegs, das sieht man sogar noch hinten auf dem Bild. Es ist Teil eines offiziell erschienen Bildbandes, den wir ganz große Klasse fanden. Wir haben immer gesagt, wenn wir mal eine Platte machen, wäre das ein tolles, geeignetes Bild. Und wofür es steht, weiß ich nicht. Ich finde, dass die schroffe, abweisende Landschaft mit der Müllrakete einfach eine tolle Kombination ergibt. Die umgebende Natur, die Äpfel und die Rakete, da passt ja nichts zusammen. Und alles ist irgendwie trotzdem da und hat seinen Platz in diesem Ensemble. Letztendlich sind das TICS: alle reden durcheinander und keiner versteht, was der andere sagt oder meint. Es wird nicht aufgelöst.
Glaubst du, dass das ein aktuelles Phänomen ist, oder vielleicht doch schon immer so war, dass alle durcheinander geredet und nur die Hälfte verstanden haben?
Klar ist das so schon immer gewesen, das Medium an sich ist wie ein Katalysator und das Beschleunigen des Nichtverstehens. Das ist wie mit dieser App, die ganze Bücher auf 10 oder 15 Minuten zusammenfasst: Statt dass man sich über Hörbucher freut und sich so beispielsweise während der Autofahrt bildet, lässt man sich lieber die 10-Minuten-Zusammenfassung präsentieren. Weil kein Mensch darauf Bock hat und die Bequemlichkeit immer den Durst, etwas verstehen zu wollen oder Hintergründe zu durchblicken, besiegt.
Je mehr Leute das machen, umso besser kommt man auch damit durch, weil es dann nicht mehr so auffällt.
Genau. Letztendlich funktionieren so die Diskussionen auf Facebook, wo Leute sehr gekonnt ihre Rhetorik schulen, statt eine wirklich interessante Diskussion entstehen zu lassen. Der Fokus liegt eher darauf, dass man an seinem eigenen Standpunkt feilt und den zementiert.
Als ihr mit NOSEHOLES auf Tour gewesen seid, gab es selbstgemachte Plakate.
Das macht Manni, er hat sich zum Ziel gesetzt, zu jedem Konzert ein Plakat zu machen. Diese Unikate schickt er dann den Veranstaltern, damit die was zum Aufhängen haben und das dann auch selbst behalten können. Eigentlich ist es eine Art Beziehungsarbeit und Selbstdarstellung. Ich finde, das ist eine tolle Idee. Er macht das seit drei Konzerten und wird damit auch so schnell nicht aufhören. Ich selbst habe mein kleines Label Beau Travail und habe unter anderem schon Sachen von PISSE herausgebracht. Es gibt außerdem noch verkappte Romanentwürfe von einem unserer Bandmitglieder, ob die jemals das Licht der Erde erblicken, weiß ich nicht. Letztendlich haben wir alle Musik als Ausdrucksform und Ventil.
Ihr habt auf Thomas Götz’ Label Tomatenplatten veröffentlicht. Wie kam der Kontakt zustande?
Unser Sänger war schon über DIE TUNNEL da, er schwärmte von Thomas, dass der so musikalisch interessiert sei und immer sehr enthusiastisch. Also habe ich ihm was geschickt, er hat sich sofort gemeldet und war wirklich ganz bezaubernd. Er ist ein reizender Mensch, der sehr angenehm und in aller Bescheidenheit auf uns zugegangen ist. Er hat sich gewundert, was wir mit seinem kleinen Label wollen, während wir uns geehrt gefühlt haben. Es war sehr ungezwungen, wir sind echt in einem regen Austausch, er kümmert sich ganz toll und ich kann nur Gutes von ihm berichten.
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