THESE ARMS ARE SNAKES

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Die hohe Kunst der Selbstzerstörung

Irgendwie hatte diese Band Anlaufschwierigkeiten. Sie hatte Schwierigkeiten, ein Label zu finden, die Kritiker zu überzeugen und sie hatte letztendlich damit zu kämpfen, sich selbst zu finden. Na ja, einiges an dieser Einleitung ist ungenau formuliert, aber dazu später mehr. Mich jedenfalls haben THESE ARMS ARE SNAKES gleich mit ihrer ersten EP überzeugt, mit "This Is Meant To Hurt You" aus dem Jahr 2003, deshalb freut es mich zu sehen, dass nun auch hierzulande die Anerkennung steigt. Grund dafür ist sicher das neue, zweite Album namens "Easter", das kürzlich auf Jade Tree erschien. Vom "großen Wurf" war in diesem Heft zu lesen, von überwundenen "Kinderkrankheiten" andernorts, dabei war der einzige Fehler der vorhergehenden Veröffentlichungen, dass sie sich auf das Erzeugen reiner, körperlich spürbarer Energie beschränkt haben. Nun, diese Fehler sind ausgemerzt, denn "Easter" ist vielschichtig, es ist monumental und es rockt. Und nebenbei sprengt es den Begriff "Post-Hardcore". Ich bin mal gespannt, was die neuen Fans des Albums erst sagen, wenn sie die Band auf der Bühne gesehen haben.
THESE ARMS ARE SNAKES haben sich aus der Asche einflussreicher Bands erhoben. Bassist und Keyboarder Brian Cook, mein Gesprächspartner, zog vorher in Diensten von BOTCH durch die Lande, einer Institution in Sachen frickeligen Hardcores. Sänger Steve Snere und Schlagzeuger Erin Tate (letzterer mittlerweile nicht mehr dabei) spielten zusammen bei KILL SADIE, die musikalische Verbundenheit mit ihnen ist noch heute deutlich erkennbar. Alle genannten Bands und Musiker stammen übrigens aus Seattle, einer Stadt, die von uns Europäern mit Ehrfurcht betrachtet wird, weil sie so viele wegweisende Bands hervorgebracht hat. Inzestuös geht es dort mitunter zu, wie man sieht, denn würde man den Stammbaum der bisher genannten Bands weiter ausmalen, so kämen unter anderem Namen wie MINUS THE BEAR oder PRETTY GIRLS MAKE GRAVES ins Spiel. Brian lüftet das Geheimnis der Kreativität dieser Stadt: "Wir haben hier eine lange Geschichte von unabhängigen und visionären Künstlern. Es führt wirklich zu vielen, vielen Bandgründungen, wenn du geografisch so isoliert bist und neun Monate Regen im Jahr ertragen musst. Alles, was wir hier tun, ist proben. Wir haben dazu das Glück, dass uns keine allumfassende lokale Musikindustrie korrumpiert hat, wie das beispielsweise in New York oder Los Angeles der Fall ist."

Aber zurück zu TAAS. Nachdem sich deren Vorgängerbands aufgelöst haben, war ziemlich schnell eine neue Besetzung da und eine neue Idee geboren. Aber gerade, wenn man so berühmte Väter hat, dann fragt man sich, was vom Geist der beiden Bands noch übrig geblieben ist?


"Ich denke, wir haben nur minimale Elemente von beiden Bands übernommen, TAAS ist eher so etwas wie die konsequente Weiterentwicklung des Spirits der Vorgänger. Beide Bands wollten unerforschte Gebiete erkunden, und das ist definitiv auch unser Streben." In der Musik spiegelt sich diese Vorgehensweise deutlich wieder, alle neueren Veröffentlichungen unterscheiden sich markant von den vorhergehenden, und auch live bemüht man sich darum, keine Routine aufkommen zu lassen - weder beim Publikum, noch innerhalb der Band. "Wir spielen beinahe zweihundert Konzerte im Jahr", erklärt Brian, "es wird echt langweilig, wenn du die selben Songs immer und immer wieder exakt gleich spielst. Deshalb bemühen wir uns, unsere Lieder jedes Mal ein bisschen anders zu spielen."

Doch was sich wohlwollend als Ausdruck kreativen Strebens interpretieren lässt, das hat seine Ursprünge wahrscheinlich überwiegend weitaus tiefer, in den Eingeweiden einer jeden Band. Insgesamt acht verschiedene Mitglieder haben schon bei TAAS mitgewirkt beziehungsweise tun es noch. Das waren überwiegend Schlagzeuger, nennenswert ist aber auch der Ausstieg von Keyboarder und Gründungsmitglied Jesse Robertson. Das alles hat seine Spuren hinterlassen, wie Brian berichtet:

"Es hat mit Sicherheit zu einer Menge an Variationen auf jedem Album geführt. Es hat auch einige Rückschläge verursacht, weil wir all unsere alten Songs drei verschiedenen Leuten neu beibringen mussten. Aber andererseits war es auch ein Vergnügen, mit ein paar großartigen Musikern zusammenzuarbeiten."

Den Posten am Keyboard hat Bassist Brian Cook schnell zusätzlich übernommen, aber gerade das Keyboard und sonstige Spielereien mit Sounds haben der Band zunächst nicht nur Komplimente beschert. Witzigerweise ist "Easter" voll davon, das Spektrum ist eher noch breiter geworden, nur stört sich jetzt keiner mehr daran. Einmal mehr: Dieser ständige Wandel macht die Band aus.

"Definitiv", stimmt mir Brian zu.
"Wir sind alle Nerds, was das angeht, und wir entdecken ständig neue Bands und Genres für uns. Als Resultat daraus versuchen wir innerhalb der Band ständig, neue Sounds zu finden. Ich glaube, das ist es auch, was THESE ARMS ARE SNAKES, und Bands überhaupt, interessant und relevant macht."

Eine Entwicklung als Versprechen für zukünftige Alben, mit "Easter" als vorläufigem Höhepunkt. Aber auch wenn es nicht gerade leichtfüßig oder eingängig daherkommt, dann doch wenigstens souverän und selbstverständlich. Das Album zeigt nach Brians Aussage am genauesten, wo sich die Band gerade befindet. Zudem hat sie sich diesmal sehr lange Zeit im Studio genommen, um sicherzugehen, dass alles genau so wird, wie sie sich das vorgestellt hat. Auch hier lohnt der Blick hinter die Kulissen. Nach eigenen Aussagen haben TAAS früher fast einen Monat gebraucht, um einen Song fertig zu stellen. Viele Ideen wurden schlicht wieder verworfen, für nicht gut genug befunden - oder waren sich die vier einfach nur nicht schlüssig?

"Ein Teil des Problems ist sicher, dass wir immer noch herausfinden müssen, was für eine Art von Band wir sein möchten und wie die kreative Dynamik in der Band funktioniert. Wir haben uns definitiv verbessert, was die Effizienz und den Zeitaufwand beim Songwriting angeht, aber wir wissen immer noch nicht genau, wie wir Songs schreiben sollen."

Drei Jahre nach Gründung der Band ist das nicht unbedingt ein beruhigendes Geständnis. Aber wie viel ist da überhaupt dran, wo doch die Resultate hörbar gut sind?Sehen wir uns mal an, wie die Musik von TAAS funktioniert. Eine Maxime beim Schreiben von Riffs könnte lauten: Benutze niemals einen Powerchord, tue stattdessen alles, um dein Spiel anspruchsvoll zu gestalten. Ein Powerchord hier und da ist natürlich eine feine Sache, aber angesichts der begrenzten Möglichkeiten, die dieser Akkord bietet, wäre es natürlich ungeschickt, sich selbst beim Erkunden unerforschter Gebiete zu behindern.

"Es ist wirklich schwer, innerhalb dieser Grenzen zu arbeiten und nicht das Gefühl zu haben, man stehle irgendwo aus beinahe fünfzig Jahren powerchord-basierter Musik", erklärt Brian.
"Wir erwischen uns zwar trotzdem immer wieder dabei, wie wir bei anderen Bands klauen, aber dieses Risiko verringert sich deutlich, wenn du deine Scheiße ein wenig merkwürdiger spielst."

Eine zweite unterstellte Maxime klänge etwa so: Halte den Sound kalt und steril, er soll das Bellen des Sängers sowie den Inhalt der Texte unterstützen und die Leute vor den Kopf stoßen, frei nach dem Titel der ersten EP "This Is Meant To Hurt You". Brians Statement dazu:

"Wir wollen nicht unhörbar sein, aber wir halten unsere Musik schon bewusst etwas dunkel und pessimistisch. In der Natur des Menschen gibt es eine Menge Gebiete zu entdecken, und die sind nicht immer schön."

Dieser Eindruck könnte in der Tat entstehen, wenn man die Band auf der Bühne sieht. Es tun sich dort, gelinde gesagt, Abgründe auf, und man fragt sich, wo die netten, stillen Burschen geblieben sind, die vorher im Jetlag auf einer Couch rumgehockt sind. Man wundert sich, wie die Band diese Selbstzerstörung durchhält, zum Beispiel auf einer Mammut-Tour, wie sie von Oktober bis Dezember dieses Jahres durch die Staaten und Großbritannien zu absolvieren ist?

"Man zahlt definitiv den Preis dafür. Chris, unser Drummer, hat gerade Probleme mit seinen Händen, eine Hand ist vielleicht sogar gebrochen. Mein Knie tut weh, weil ich von einem Amp gesprungen und unglücklich auf einem Monitor gelandet bin. Steve hinkt, weil er auf eine Snake Box getreten ist, und dann sind da noch die üblichen Kater und Wehwehchen. Man lernt aber, damit umzugehen."

Die Band scheut den Schmerz nicht und auch nicht die harte Arbeit, die mit so einer Tour verbunden ist. Im Gegenteil freut sie sich sogar darauf, schließlich sind die Jungs zu Hause alle etwas rastlos gewesen, nachdem man das Heimatland fast ein Jahr lang nicht bereist hatte. So erweckt es den Anschein, als gäbe es für die vier Musiker kaum noch etwas außerhalb der Band.

"Ich glaube, die Band ist unser aller Lebensmittelpunkt", gibt Brian zu,
"wir haben alle Jobs zu Hause, aber die schmeißen wir hin, wenn wir auf Tour gehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich das mit vierzig immer noch tue, aber andererseits weiß ich auch nicht, was sonst. Für den Arbeitsmarkt bin ich ziemlich unbrauchbar."

Können wir nun abschließend die Frage beantworten, wie es um die Band eigentlich bestellt ist, die sich ständig personell verändert und die lang und zäh um jeden neuen Song ringen muss? Ist sie nun zur Ruhe gekommen, beziehungsweise wünschen wir ihr überhaupt, dass sie je zur Ruhe kommt, wo doch die bisherige Vorgehensweise so mitreißende Resultate geliefert hat? Und wie lange halten die geschundenen Körper der Musiker noch mit? Schauen wir einfach mal, wie lange das mit TAAS noch gut geht, und bis es irgendwann mal nicht mehr gut geht, freuen wir uns über jedes neue Album und über jede neue Facette, die ein solches dem Hardcore-Kosmos hinzufügt.
Aber halt, da war doch noch die Geschichte mit dem Label! Jade Tree hat von Anfang an die Veröffentlichungen von TAAS übernommen, und angefangen hatte alles ganz klassisch. Trotzdem stand vor dem Happy End auch wieder eine Suche ... Aber lassen wir das Brian zum Abschluss selbst erklären:


"Wir haben Jade Tree ein Demo geschickt, blöderweise aber vergessen, irgendeine Kontaktinformation beizufügen. Sie haben dann alle möglichen lokalen Promoter kontaktiert, bis sie jemanden gefunden hatten, der unsere Telefonnummer wusste. Sie dachten, wir wollten uns absichtlich geheimnisvoll geben, aber in Wirklichkeit waren wir einfach zu blöd."