THEE SPIVS

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Plumpudding und Schwarzweißfotos

Mit ihrem 2010 veröffentlichten Debüt „Taped Up“ hat mich diese Band aus Hackney in East London mittels überragender, typisch englischer Raw-Records-Punkrock-Hymnen ganz im Geiste der legendären USERS oder KILLJOYS völlig überraschend aus den Socken gehauen und damit genau die Bombe gezündet, auf deren Explosion man jedes Mal hofft, wenn man Platten zum Besprechen erhält. Eine Bombe übrigens, die neben bereits erwähnten und an sich ja schon großartigen Einflüssen mit einer zusätzlich in Sixties-Garage-Punk und -Beat getränkten Zündschnur aufwarten kann. Und der Cockney-Akzent dieser im East End aufgewachsenen Radaubrüder passt dazu wie die Faust aufs Auge. 2011 erschien nun das zweite Album „Black And White Memories“, erneut via Damaged Goods, und packt im Vergleich zum Vorgänger noch eine Schippe Großartigkeit drauf, indem von den MONKS über Jilted John bis hin zu Patrik Fitzgerald und Wreckless Eric alles zitiert wird, was großartigen englischen Punkrock mit Pop-Appeal ausmacht, garniert mit dem Humor von Monty Python und Co. Was an THEE SPIVS so typisch englisch ist wie Plumpudding und die COCKNEY REJECTS, besprach ich mit Ben Edge, dem Gitarristen und Sänger der Band.

Ihr stammt aus Hackney in East London, weshalb ich euch auch zusammen mit den COCKNEY REJECTS auf ein Tape für mein Auto gepackt habe, auch wenn ihr eigentlich einen anderen Sound spielt. Stimmt es wirklich, dass das East End so ein hartes Pflaster ist, um dort aufzuwachsen, wie es diese Band immer besungen hat?

Ja, das East End ist schon ein hartes Pflaster, auch wenn es dort zwei verschiedene Welten gibt, die nebeneinander existieren. Auf der einen Seite sind das die Leute, die dort schon ihr ganzes Leben verbracht haben, und irgendwie mit den harten Umständen, aus einer sozial benachteiligten Gegend zu stammen, klarkommen mussten. Auf der anderen Seite hast du Studenten und diese jungen trendy Typen, ebenso wie Künstler und neureiche Banker, die in diese Gegend gezogen sind. Es ist schon lustig, dass diese Leute auch die Einzigen sind, die man mit „I love Hackney“-T-Shirts rumlaufen sieht.

Würdest du sagen, dass ihr eine typische „London-Band“ seid, denn für mich habt ihr etwas an euch, das irgendwie typisch englisch ist – obwohl eure Musik sicher auch gewisse Einflüsse von den amerikanischen Sixties-Garage-Bands bezieht. Nicht nur wegen des deutlich hörbaren Cockney-Akzents, sondern auch, weil eure Songs den selben Humor und die Art Geschichten zu erzählen aufweisen, wie man sie beispielsweise auch bei Monty Python findet.

Ich würde sagen, wir sind eine Million Meilen weit davon entfernt, eine typische London-Band zu sein, denn die Musikszene in London besitzt so gut wie gar keine eigene Identität mehr, weil alle nur darauf warten, auf den nächsten Trend-Zug aufzuspringen. Es gibt zwar eine gute Punk- und Garage-Szene, nur auf einem sehr niedrigem Level, die aber zum Glück Leute anzieht, die für sich selbst denken wollen und denen das gefällt, was ihnen auch wirklich persönlich gefällt, egal, welche Mode oder welcher Trend gerade angesagt ist. Wir sind sicher zu einem kleinen Teil von amerikanischer Musik beeinflusst, aber wir sind eben aus England und wollen daher auch überhaupt nicht amerikanisch klingen. Der Aspekt des Geschichtenerzählens, den du erwähnst, kommt sicher daher, dass ich mit Menschen aufgewachsen bin, die sehr gute Geschichtenerzähler waren, und ständig von ihnen umgeben war.

Ein gutes Beispiel ist hier euer Song „Black and white memories“, für den ihr auch ein Video aufgenommen habt. Was war die Motivation für diesen Song?

Auf die Idee für den Song bin ich gekommen, als ich auf den Flohmärkten in London auf alte Schwarzweißfotos gestoßen bin, die mein Interesse weckten und die ich dann sammelte. Was mich an diesen Fotos wirklich fasziniert hat, war die Tatsache, dass all die abgebildeten Momente auf ihnen irgendwann einmal so wichtig für diese Menschen waren, dass sie sie unbedingt auf einem Foto festhalten wollten. Zum größten Teil waren es Bilder von Paaren, Familienferien, Ausflüge ans Meer und solche Dinge. Tage, die sie wie einen Schatz für sich aufbewahren wollten und die dann doch irgendwann auf einem Marktstand gelandet sind. Dadurch fing ich an, über mein eigenes Leben nachzudenken und meine Familienfotos und deren Schicksal. Irgendetwas daran erschien mir wirklich tragisch und ich wollte dieses Gefühl unbedingt in einem Song festhalten, für den es einfach keinen besseren Titel als „Black and white memories“ hätte geben können. Abgesehen davon ist es auch ein Kommentar dazu, wie sich Fotos inzwischen verändert haben und dass sie noch nie so nichts sagend waren wie heute. Früher konnte sich nicht jeder eine Kamera leisten und man war wählerischer mit den Bildern, die man gemacht hat, damit der der Film nicht so schnell voll ist. Seit es digitale Kameras gibt, wollen die Leute unbedingt jeden Abend, an dem sie einen trinken gehen, dokumentieren, sogar jede Mahlzeit muss festgehalten werden, aber drucken lassen sie sich diese Bilder so gut wie nie. Inzwischen sind es doch Millionen von Fotos, die auf irgendwelchen Facebook Seiten ihr Dasein fristen und die für niemanden von Bedeutung sind. Ich habe das Gefühl, dass der Großteil der Leute das Leben nicht mehr selbst erlebt, sondern die Welt nur noch durch einen Bildschirm betrachtet.

Ihr habt mittels eurer limitierten Version der „Radio“-7“ außerdem auch den Beweis erbracht, dass die Schulbildung in Großbritannien bezüglich der deutschen Sprache Großartiges zu leisten scheint. Was sind die prägendsten Erinnerungen an eure Deutschlehrer in der Schule, welche Lektion für das Leben haben sie euch vermittelt?

Um ehrlich zu sein, habe ich während den Aufnahmen für diese Version mehr Deutsch gelernt als in meiner gesamten Schulzeit, wofür die Jungs von Cargo verantwortlich sind, dem deutschen Vertrieb unseres Labels. Die haben mir das beigebracht, was ich dafür wissen musste. Wenn du dir „Flickin’ V’s“ von unserer neuen Scheibe anhörst, sollte dir das einen besseren Eindruck davon vermitteln, wie viel Deutsch ich tatsächlich beherrsche. Ich hatte aber auch nur für eine kurze Zeit Unterricht, weil ich für Englisch noch einen Extrakurs belegen musste, da ich Legastheniker bin. Wir haben diese Version als Dankeschön für unsere deutschen Fans aufgenommen, denn sie sind es, die den Großteil unserer Platten kaufen.

Da sich manche gerne auf euch als typische 77er-Punk Band beziehen, bleibt die Frage, für welches Label ihr euch 1977 entschieden hättet, um eure Platten pressen zu lassen? Meine Stimme würde ja an Raw Records gehen. Hättet ihr auch Gasmasken und Sicherheitsnadeln durch eure Nippel getragen?

EMI vielleicht oder A&M? Nur ein Scherz, Raw Records wäre sicher ein großartiges Zuhause für THEE SPIVS gewesen, aber ich glaube, dass ich mich für Stiff Records entschieden hätte. Ich würde mir wünschen, dass ich keine Sicherheitsnadeln durch meine Nippel getragen hätte, aber wer weiß.

Irgendwie ist es aber schon lustig, dass viele immer ausgerechnet diese Bilder im Kopf haben, wenn sie an besagtes Jahr denken, auch wenn sicher nicht alle regelmäßig bei Malcolm auf der King’s Road einkaufen waren.

Auf jeden Fall ist das lustig und viele bedienen diese Klischees ja auch heute noch. Ich persönlich bin der Meinung, dass Punk bedeutet, du selbst zu sein, und wenn ich persönlich diese Klamotten tragen müsste, wäre das gezwungen und aufgesetzt. Ich würde einfach die Klamotten tragen, die ich auch wirklich tragen will. Von ein paar bestimmten Punks werden wir manchmal beschimpft, weil wir auf der Bühne schwarze Anzüge tragen, das ist doch lächerlich. Letztendlich ist es doch so, dass wir unsere „Uniform“ haben und sie haben ihre, immerhin sind wir uns unserer aber bewusst und müssen uns nicht selbst verleugnen.

Um mit dem Thema gleich weiterzumachen, lasst uns mal über den Krieg THE CLASH versus THE SEX PISTOLS der wahrhaft Gläubigen sprechen. Für welche Seite würdet ihr in den Krieg ziehen und warum?

Ich mag THE CLASH, aber die ultimative Punkband sind für mich die SEX PISTOLS, weil sie gar nicht mit der Intention angefangen haben, eine Punkband zu sein, sondern einfach eine völlig neue Art zu denken in der Musikindustrie verankert haben, indem sie einfach sie selbst waren, was für mich so Punk wie überhaupt nur möglich ist. Ich wäre also auf der Seite der SEX PISTOLS, auch wenn ich durchaus einem Faustkampf mit Steve Jones nicht abgeneigt wäre.

Es dürfte bekannt sein, dass euer aktuelles Label Damaged Goods ist, aber kaum jemand kann sich vorstellen, was für ein Typ Ian, der Mann hinter dem Label, ist. Wie würdet ihr ihn beschreiben, gerne auch mit handfesten Fakten, je nachdem wie seine Deutschkenntnisse sind?

Ian ist ein Mann der großen Geheimnisse und ich befürchte, dass ich es dabei auch werde belassen müssen ...

Wie er an euch geraten ist, kann man aber doch sicher offenbaren. Vielleicht bei einem Gig von Billy Childish, das würde zumindest meine Fantasien bestätigen, und Raw-Records-Re-Issues hat er ja auch schon veröffentlicht?

Entschuldige bitte, dass ich deine Fantasien ruinieren muss, aber wir haben ihn durch Liam Watson, der mit Damaged Goods über die Jahre schon an verschiedenen Platten gearbeitet hat, kennen gelernt, als wir uns schon entschieden hatten, unser erstes Album selbst aufzunehmen.Als das dann fertig war, haben wir es Ian geschickt und dann erst mal nichts mehr von ihm gehört, bis wir in der 12 Bar in der Denmark Street gespielt haben, wo er uns dann gesagt hat, dass er die Platte veröffentlichen wird. An dem Abend waren wir Support für die CUTE LEPERS und SHITTY LIMITS. Ach ja, ich bin übrigens sehr dankbar für seine Raw-Records-Reissues.

Ich weiß, dass ihr alle große Fans von Billy Childish und seinen ganzen Projekten seid, aber welches von all denen würdet ihr als euren absoluten Favoriten bezeichnen?

Ich denke, die BUFF MEDWAYS, die ich zum Glück sehr oft im Dirty Water Club gesehen habe, da sie dort für eine gewisse Zeit jeden Monat gespielt haben, was übrigens einige der besten Konzerte waren, bei denen ich jemals gewesen bin. Meine Lieblingsplatte ist „At The Bridge“ von BILLY CHILDISH & THE SINGING LOINS, die hat mich damals weggeblasen und tut es auch heute noch.

Besitzt du alle seiner Platten, was ja an Verrücktheit höchstens noch mit jemandem verglichen werden könnte, der alle Platten von THE FALL im Schrank hat?

Nein, aber ich habe sicher mehr Platten von ihm in meiner Sammlung als von irgendjemand anderem. Ich könnte mich aber absolut damit anfreunden, alles zu besitzen, bei dem er jemals mitgewirkt hat. Ich denke, wenn man es schafft, alles von ihm und von THE FALL zu besitzen, dann sollte man von der Königin zum Ritter geschlagen werden oder zumindest irgendeinen Preis für sein Lebenswerk erhalten.

Wie du ja schon sagtest, ist die Musikszene in Großbritannien zum größten Teil versklavt von dem nächsten „großen“, sich ständig ändernden Trend. Wie schwer ist es da für eine Band wie euch, eine gewisse Basis an Zuhörern aufzubauen?

Sehr schwer, da der Großteil der Leute sehr wankelmütig ist. Die eine Woche ist das angesagt, die nächste Woche schon wieder etwas anderes.

Welcher Trend steht als Nächstes an, vor dem ihr uns vielleicht schon warnen könnt?

Die Typen aus der „angesagten“ Szene haben ihre Bibel, das Vice Magazine, wo sie unsere Band nicht ausstehen können, weshalb uns auch deren Leser nicht ausstehen können. Post-Punk kommt jedenfalls gerade aus der Mode, bereitet euch auf eine Invasion des American Hardcore der Achtziger vor.

Welche der Indie-Bands in den letzten Jahren, die überall von der Musikpresse gefeiert wurden und inzwischen längst vergessen sind, hat sich auch bei euch beliebt gemacht, ART BRUT vielleicht?

Ich fand die LIBERTINES wirklich gut, aber dann wurden sie durch die Drogen ruiniert, anfangs hatten sie eine Menge Energie und waren wirklich aufregend. ART BRUT hatten auf jeden Fall auch ihre guten Momente, sie hatten zum Beispiel diesen einen, wirklich witzigen Song, in dem sie NME folgendermaßen verarscht haben: „I haven’t read the NME in so long / I don’t know which genre we belong“. SELFISH CUNT fand ich auch gut.

Abgesehen von der Musikpresse, welche wichtigen Boulevardthemen sollten uns noch bekannt sein, wie königliche Sex-Eskapaden beispielsweise, auch wenn es uns schwerfällt, sich das vorzustellen?

Die königliche Familie ist ständig in den Zeitungen vertreten, wenn auch nie wegen Sex-Skandalen, obwohl ich mir sicher bin, dass dort sehr viel Inzucht getrieben wird. Ansonsten liebt es die Presse, Leute bloßzustellen, die angeblich bei der Stütze beschissen haben, oder Fotos von C-Prominenten zu zeigen, wie sie aus Taxis steigen und dabei ihr Unterhöschen blitzen lassen.

Ebenso wichtig wie Sex-Eskapaden der königlichen Familie ist die Frage, wann die nächsten Tour-Eskapaden der THEE SPIVS stattfinden werden?

2012 werden wir viel unterwegs sein und uns dabei etwa im Mai auch wieder bei euch sehen lassen.

Noch eine Frage, die sich erneut auf etwas typisch Englisches bezieht, nämlich, ob es möglich ist, einen Fremden dazu zu zwingen, Plumpudding zu probieren? Ist Plumpudding vielleicht auch der Grund für die Konstitution der englischen Nationalmannschaft bei Europa- und Weltmeisterschaften?

Du könntest noch nicht einmal mich dazu zwingen, Plumpudding zu essen, ganz zu schweigen von einem Ausländer, und wenn das englische Team das tatsächlich vor den Spielen zu sich nehmen sollte, erklärt das vielleicht auch, warum Deutschland uns letztes Jahr geschlagen hat.

Um dieses Gespräch in seriöser Form zu beenden, wollte ich dich fragen, wie du die Krawalle in London vor einiger Zeit erlebt hast und wie du sie beurteilst?

Meine Meinung ist, dass es irgendwann zwangsläufig dazu kommen musste, denn in London gibt es eine Menge Menschen, die einfach vergessen worden sind, die von der Regierung beschuldigt werden, dass sie stinkfaule Beihilfe-Betrüger und arbeitsloser Abschaum seien, obwohl ihnen in Wahrheit so gut wie keine Möglichkeiten geboten werden, an ihrer Lage etwas zu ändern. Von daher überrascht es mich überhaupt nicht, dass der ganze Frust, den diese Menschen in sich tragen, während der Krawalle explodiert ist. Ich war selbst viele Jahre arbeitslos, als ich noch in Hackney gelebt habe, und es schien einfach, als würde es überhaupt keinen Ausweg mehr geben, als ob ich niemals einen Job bekommen würde. Die einzigen Jobs, die einem angeboten werden, sind so was wie Küchenhilfe in einer Kantine, etwas, das dir weder eine Zukunft bietet, noch die Möglichkeit, auf lange Sicht davon zu profitieren. Von daher kann ich diese Frustration der Menschen absolut nachvollziehen, aber das Problem mit diesen Krawallen war, dass das Ziel normale, hart arbeitende Menschen waren, wodurch letztendlich nichts erreicht wurde und im Grunde unschuldige Leute diejenigen waren, die am meisten darunter gelitten haben.