Die MEDIA WHORES kommen aus Schottland, orientieren sich nach eigener Aussage an „classic writers like Elvis Costello, Ian Hunter and Joe Strummer“, und so gehen auf ihrem Album „Pornophonica“ (Who?Represents/Twenty Stone Blatt) Pub- und Punkrock sowie Powerpop Hand in Hand, und auf dem Coverfoto rekelt sich, passend zum Titel, eine rothaarige junge Dame auf dem Boden, an den entscheidenden Stellen bedeckt von schwarzen Siebenzoll-Vinylscheiben. Die Musiker selbst sind eher grauhaarig – und haben was zu sagen, wie man nach der Lektüre der Texte feststellt. Frontmann Craig Anderson antwortete auf meine Fragen.
Wer sind die wahren „Medienhuren“ – korrupte Journalisten, oder Bands, die alles für ihre 15 Sekunden Ruhm tun würden?
Wir finden, dass MEDIA WHORES ein einprägsamer Name ist, der das ausdrückt, was wir fühlen, wenn wir die Welt um uns herum betrachten. Ungerechtigkeit, Ausbeutung, der Medienkonsum – wir wollen mit unseren Texten einen Kommentar zur weltweiten politischen und sozialen Spaltung der Massen abgeben. Der Name „Medienhuren“ zielt ab auf die Millionen von Menschen, ganz gleich aus welcher Gesellschaftsschicht oder Ecke der Welt, die um jeden Preis berühmt werden wollen, völlig egal womit oder was sie dafür tun müssen oder ob sie sich selbst etwas vormachen. Es ist der sich weltweit ständig verbessernde Zugang zu digitalen Medien, bei einer gleichzeitig wachsenden Clique von Lügnern und Betrügern, die die verblendeten Massen mit Reality-TV füttern, das sie in die Irre führt und bei den ärmsten Typen noch falsche Erwartungen weckt. Außerdem besetzt dieses Vorgehen Sendeplätze, die für echte Musik und echte Musiker fehlen. Dieses ganze Nummer mit „Wenn du nicht aussiehst wie Miley Cyrus, Beyoncé oder J-Lo, bist du nicht gut genug für mich ... denn mit hässlichen Leute kann ich kein Geld verdienen“ reproduziert doch nur Stereotypen und erhält eine verlogene Musikwirtschaft am Leben. Der Großteil der heutigen Politiker sind ebenfalls Medienhuren, die sich geschickt irgendwelchen Scheiß zusammenspinnen, um unsere Aufmerksamkeit zu bekommen, um ein prägnantes Zitat rauszuhauen, um Aufmerksamkeit zu erheischen, weil sie letztendlich unsere Stimmen wollen. Wir kommentieren das alles vom Rand dieser Welt aus, und wenn du unsere Musik kaufst und unsere Texte liest, soll das provozieren, anstacheln und helfen zu hinterfragen, was sowohl in, als auch außerhalb unserer Köpfe vor sich geht.
Machen wir mit den Basics weiter: Wer ist in der Band, wann und wie habt ihr euch getroffen und was ist euer kleinster gemeinsamer Nenner in Sachen Musik?
Wir kommen aus Schottland und bestehen aus mir, Craig Anderson – Gesang, Rhythmusgitarre–, Doogie Mackie – Bass, Background-Gesang – und Jimbo Mackellar – Leadgitarre, Background-Gesang. Momentan suchen wir noch nach einem neuen Drummer, da unser früherer Schlagzeug, der ursprünglich bei THE ZIPS gespielt hatte, die Band verlassen hat. Wir spielen aber zur Zeit trotzdem Gigs und nehmen auch Sachen auf. Doogie und Jimbo haben in schottischen Bands wie FIRE EXIT und THE ZIPS gespielt. Ich kannte Doogie noch aus der Schule und bin so vor ein paar Jahren zu den MEDIA WHORES gekommen. Zwei Alben und eine EP später läuft es ganz gut für uns und wir hoffen, nächstes Jahr in Deutschland und Europa auftreten zu können. Unsere kleinsten gemeinsamen musikalischen Nenner sind Post-Punk und New Wave.
Ihr habt mal Elvis Costello, Ian Hunter und Joe Strummer als Vorbilder genannt.
Wir mögen die Vergleiche hinsichtlich der Qualität des Songwritings, die die britische Musikpresse zwischen uns, Costello, Hunter und Strummer angestellt hat und fühlen uns geehrt, mit ihnen in eine Schublade gesteckt zu werden. Uns gefällt besonders der Vergleich mit Strummer, weil er ein Visionär in Sachen Punk war und etwas zu sagen hatte, und der auch Gehör fand. Wir zollen Joe Strummer übrigens Tribut, indem wir beim jährlichen Strummerville-Konzert im King Tuts in Glasgow spielen. Bei der schottischen oder britischen Punk-Bewegung ging es darum, die Wut als Katalysator und als Energiequelle zu nutzen, für die Musik und für Auftritte, die die Leute rebellisch machen. Das aktuelle Weltgeschehen und besonders die durch Eigennutz hervorgerufen sozialen Ungerechtigkeiten sind das Benzin für unser Feuer, und wer da nicht wütend wird, hat nicht richtig aufgepasst.
Gibt es eine bestimmte schottische Punk-Tradition, auf die ihr euch bezieht?
Nein, nicht direkt. Wir machen gern unser eigenes Ding, aber generell beziehen wir uns da wohl auf die allgemeinen Ansichten des Punk, die innere Einstellung und das Verlangen, alles zu hinterfragen und auf nichts zu vertrauen, außer auf sich selbst und die fortschreitende Revolution. Musik ist nicht nur das, was wir bei den MEDIA WHORES machen – sie ist, was wir sind und was uns ausmacht. Bei den MEDIA WHORES geht es uns vor allem um die Qualität der Lieder, um die Refrains, die Melodien, den Rhythmus, den inhaltlichen Zusammenhang und darum, dass die Songs Biss haben.
Wer oder was hat euch sonst noch beeinflusst?
THE SENSATIONAL ALEX HARVEY BAND und THE SKIDS aus Schottland, David Bowie, DIE TOTEN HOSEN, THE REDSKINS, Billy Bragg, Jello Biafra, der Garagerock der Sechziger, THE CLASH, THE CRAMPS, THE STOOGES, THE DAMNED, DR. FEELGOOD, HOT RODS und PETER PAN SPEEDROCK. Sie alle haben einen mit uns vergleichbaren Sound beziehungsweise eine ähnliche Art, Songs zu schreiben. Das hat uns direkt oder auch unterbewusst geprägt, und wir nehmen dankend an, was sie uns mitgeben können.
Wie würdest „Pornophonica“ definieren? Geht es um ein fast erotisches Verhältnis zum Vinyl, wie es auf eurem Albumcover dargestellt wird? Und wie seid ihr zu diesem Artwork gekommen?
„Pornophonica“ ist ein Titel, der unsere Liebe zu Vinyl als auch unser Bedürfnis nach akustischer Stimulation umfasst. Bei den Singles, zwischen denen sich die Frau auf dem Cover räkelt und die sie bedecken, handelt es sich übrigens um einen kleinen Teil meiner eigenen Plattensammlung. Musik ist einfach etwas, das mich unglaublich berührt. Und ich bin froh, sagen zu können, dass ich meine Frau kennen gelernt habe, als gerade ich in den unendlichen Archiven des Sounds eines staubigen Schallplattenladens unterwegs war. Hinter dem Covermotiv steckt die Idee einer plakativen Verbindung zwischen Vinyl und Sex.
Ich mag Bands, die etwas zu sagen haben. Kannst du die Texte der beiden folgenden Stücke erläutern?
„Affluenza“: Dieser Song ist ein Kommentar zur finanziellen Ungleichheit innerhalb unserer Gesellschaft, es geht um die ungerechte Verteilung von Wohlstand und den generellen Mangel an Aufstiegschancen für die unteren Bevölkerungsschichten. „Affluenza“ beschreibt einen extremen Materialismus – der Antrieb dafür, Vermögen anzuhäufen und für maßlosen Konsum. Aber auch Schuldgefühle und die Abkehr vom inhaltsleeren Streben nach Wohlstand und Besitz. „Affluenza“ steht für die westliche Wohlstandskrankeit, ausgelöst durch Konsumverhalten, Kommerzdenken und blindwütigen Materialismus, und die geheilt wird durch ein einfaches Leben. Ich denke, dass ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung diesen egozentrischen, eigennützigen Kapitalismus wirklich satt hat. „Affluenza“ ist ein Aufruf zur Veränderung, weg von diesem durch einen ewig gleichen schamlosen Materialismus irregeleiteten Streben nach Glück, das einen ironischerweise unglücklich macht.
„World at war“: Die Menschen haben aus den Schrecken des Kriegs immer noch nichts gelernt und dieser Song behandelt die Sinnlosigkeit aller Kriege, sowohl im Osten, in Syrien und Palästina, auch was Großbritannien und die USA betrifft bei ihrem ebenso profitablen wie industrialisierten „War on Terror“. Ein bisschen schwarzer Humor kann dabei nicht schaden, aber es zerreißt einem natürlich trotzdem das Herz, dass denen, die vorübergehend an der Macht sind, noch immer nicht klar ist, dass Krieg niemals zu Frieden führen kann, wobei sich allerdings viel Geld damit verdienen lässt. Wenn wir genug Geld haben, um Menschen umzubringen, dann reicht es auch problemlos aus, um sie am Leben zu lassen und sie zu ernähren. Es ist einfach eine Frage der Prioritäten.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #117 Dezember 2014/Januar 2015 und Joachim Hiller