TEX BRASKET

Foto© by Katharina Boeke

Herzlich willkommen in der Scheiße

Als im Sommer 2020 SLIME-Sänger Diggen seinen Abgang bei der Hamburger Punk-Legende verkündete, gingen viele davon aus, dass es das war mit der Band. Wer sollte den ersetzen können oder wollen? Und wer hatte Tex Brasket auf dem Schirm, einen Straßenmusiker aus Berlin? Niemand. Bis zum Dezember 2021, als die Band den als Nachfolger ankündigte und bald mit neuen Songs und Konzerten die Bedenken um die Zukunft von SLIME zerstreut wurden. Und man erfuhr vom Hintergrund des Neuen, von Obdachlosigkeit und Kämpfen mit sich selbst. Seinen familiären Verbindungen in die USA und sein früheres Leben da. Eine krasse Geschichte. Der müsste ein Buch darüber schreiben! Und das hat er nun getan, zusammen mit Christian Schlodder. Wir befragten Tex zu „Dreck und Glitzer“ und auch seinem Nebenprojekt TELUXE.

Tex, wie kam es zur Idee mit dem Buch? Oder andersrum: Warum hattest du das Bedürfnis, deine Lebensgeschichte samt all ihren Details mit der Welt zu teilen? Und wie muss man sich den Entstehungsprozess konkret vorstellen? Du hast zusammen mit Christian Schlodder daran gearbeitet. Woher kennt ihr euch?

Das erste Mal darüber gescherzt haben Christian und ich wohl schon vor sechs oder sieben Jahren, während er den ersten Artikel über mich schrieb. Der erschien 2018 im Intro-Magazin. Für diese sechs Seiten hat er mein damaliges Leben über etwa ein halbes Jahr nicht nur begleitet, sondern auch aktiv daran teilgenommen. Es hat eine Weile gedauert, bis ich mich ihm gegenüber, nach und nach, immer mehr öffnete. Doch dafür musste er sich erst einmal mir gegenüber öffnen ... Durch diesen Austausch entstand mit der Zeit eine echte Freundschaft. Bis der Artikel dann erschienen war, kannte ich auch seine Geschichte, seine Träume, Ängste, Neurosen und diversen Macken, die einen Menschen eben so ausmachen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Christian ein einziges Tattoo vorzuweisen, ein Porträt von Hunter S. Thompson, dem Erfinder des „Gonzo-Journalismus“, von dem ich selbst ein großer Fan war. Das sagt viel über einen Menschen aus, dessen selbstempfundene Berufung es ist zu schreiben, Geschichten zu erzählen und, im Idealfall, auch irgendwann davon die Rechnungen bezahlen zu können. Sein wirklich großer Traum war es, irgendwann ganze Bücher zu schreiben, sich also vom „Freizeit-Journalisten“, wie er es nannte, zum ernsthaften Autor zu entwickeln. Erzählen konnte er, so viel stand fest. Seine Texte lassen extrem lebhafte Bilder im Kopf entstehen. In der Hinsicht hat er also einen sehr ähnlichen Anspruch an seine Arbeit wie ich an mich als Songwriter. Aus Misstrauen wurde Vorsicht, aus Vorsicht wurde gegenseitiger Respekt ... Und nachdem der Artikel erschienen war, wusste ich, dass ich dem Mann wirklich vertrauen kann. Christian hatte zwar nicht eine einzige Notiz oder Aufnahme gemacht während dieser Zeit, aber er verfügt über das Gedächtnis eines Elefanten. Schon seit damals weiß er mehr über mich als die meisten anderen Menschen auf diesem Planeten. Daran wird sich auch nach der Veröffentlichung von „Dreck und Glitzer“ nicht viel ändern. Es purzelt schon einiges aus einem heraus, wenn man ganze Tage und vor allem Berliner Nächte zusammen verbringt, aber sein Wort galt! Es erschien keine Aussage von mir darin, die ich betont im Vertrauen gemacht hatte. Zu ungefähr diesem Zeitpunkt hatten wir angefangen darüber zu scherzen: Irgendwann schreiben wir noch ein Buch zusammen ...

Nun ist 2024 doch noch etwas daraus geworden ...
Die Möglichkeit, dass dies auch tatsächlich einmal passieren würde, war damals ungefähr so realistisch wie ein Sieg gegen den zwanzigjährigen Mike Tyson. Lachhaft! Als dann das Viral-Video und dann die erste Single rauskamen und Christian einen weiteren Artikel für die Zitty schrieb, haben wir weiter gescherzt. Mittlerweile aber mit einem etwas schmaleren Schmunzeln als zuvor. Eine Pandemie, ein „Zwei“-Album und zwei Jahre später, saßen wir dann zusammen im Backstage-Bereich der Fabrik Coesfeld. Das war mein erster Gig mit SLIME, als Support für BAD RELIGION. 2022 also, irgendwo zwischen Coesfeld, dem Ruhrpott Rodeo und Wacken, wurde aus jahrelangem Gescherze eine handfeste Idee. Wir murksten uns ein Exposé zusammen, jeder ein Kapitel. Die Idee, ein Buch über eine reale Person aus zwei Sichtweisen, also von innen und von außen, zu erzählen, schreckte einige Verlage ab, aber das war unser Deal: Gemeinsam oder gar nicht! Alleine hätte ich das auch gar nicht geschissen bekommen! Mir fehlen sowohl das Know-how als auch das Organisationstalent für ein solches Unterfangen– und mit einem fremden Co-Autoren von irgendeinem Verlag wollte ich nicht arbeiten. Christian Schlodder hat sich mein Vertrauen über Jahre hinweg verdient. Was wohl auf Gegenseitigkeit beruht, sonst hätte auch er sich diesen Wahnsinn nicht freiwillig angetan. Angebissen hat dann jedenfalls David Rupp vom Verlag Kiepenheuer & Witsch. Für sein Vertrauen und seine Geduld mit uns zwei Amateuren möchte ich mich an dieser Stelle noch einmal explizit bedanken! Der Rest ist Geschichte ... und die ist ab dem 10.10.2024 überall erhältlich.

Hast du das 2013 erschienene SLIME-Buch „Deutschland muss sterben“ von Daniel Ryser gelesen? Man könnte ja fast sagen, dein Buch ist die Fortsetzung davon ... mit einer „kleinen“ Lücke von zehn Jahren.
Klar habe ich das Buch gelesen! Christian Mevs hat es mir geschenkt, zusammen mit einem Stapel SLIME-Platten. Das waren meine ersten Hausaufgaben sozusagen. Es war definitiv hilfreich für mich, erstens lernte ich einiges Wissenswertes über meine neuen Bandkollegen, zweitens half es mir, mich in die „Alte Garde“ unserer Fans hineinversetzen zu können. Die Geschichte dieser Band beginnt schließlich ein Jahr, bevor ich überhaupt geboren wurde. Punk bleibt Punk, aber der Zeitgeist der frühen 1980er Jahre war nun mal trotzdem nicht derselbe wie der der 1990er, die meine eigene Jugend geprägt haben. Als „Fortsetzung“ würde ich „Dreck und Glitzer“ aber nicht bezeichnen. Dieses Buch ist für mich eher eine Kombination aus Selbsttherapie und einer nicht chronologischen Biografie/Autobiografie. SLIME spielen natürlich eine große Rolle, ganz klar! Einiges spielt sich aber auch in den vierzig Jahren vor meinem Beitritt zu SLIME ab ... und die wurden ja schon größtenteils von Daniel Ryser erzählt. Des weiteren hat sich der damalige Verlag Heyne Hardcore auch vor kurzem aufgelöst oder irgendwie umstrukturiert, glaube ich, dieser Bogen ließ sich also auch nicht mehr spannen.

Wieso habt ihr euch für diese zwei parallel laufenden Texte entschieden? Hier deine Ich-Erzählung, da das Reportagenhafte.
Jeder hat seine eigene Wahrheit. Alles ist subjektiv. Wir wollten einfach die Wahrheit erzählen, und unsere zwei unterschiedlichen Perspektiven halfen uns selbst, so nahe wie möglich bei einer einvernehmlichen Wahrheit zu landen, das war Teil des Prozesses. So konnte ich mich selbst von außen betrachten ... was für mich auch eine große Hilfe war, einen noch längst nicht abgeschlossenen Heilungsprozess zu beginnen.

Im Buch findet sich der Satz: „Dass Tex es am Ende zum Frontmann von SLIME brachte, ist gutes Ausgangsmaterial, um daraus eine hollywoodreife Geschichte zu stricken.“ Stoff für eine Serie ... mit wem in der Hauptrolle?
Hauptrolle ... Chuck Norris! Mir fällt wirklich niemand ein, gerade ... Er müsste jedenfalls akzentfreies Deutsch, amerikanisches Englisch sprechen – und die junge Version von mir auch noch ein halbwegs überzeugendes Bairisch beherrschen. Das Casting wird sich ziehen, denke ich.

Wie hast du die Punk-Szene in deinem früheren Leben erlebt? Du schreibst von „Punkhäusern“, in denen du früher übernachtet hast – und heute sind es Hotels, wenn ihr mit SLIME irgendwo spielt. Und auf dem Ruhrpott Rodeo reisen die Punks mit Wohnmobilen an, auf dem Alexanderplatz in Berlin betteln Punks mit Hunden, die sich Punkkonzerte und -festival nie leisten könnten. Das sind zwei Welten, fragil verbunden durch vier Buchstaben und eine unkonkrete Idee und die Musik.
Für mich gibt es nicht „die“ Punk-Szene, ähnlich wie es nicht „die“ Antifa gibt. Es gibt Punks wie die vom Alex. Viele von denen, die früher dort waren, sitzen jetzt in längst nicht mehr besetzten Häusern, bereichern ihre Viertel mit Kunst und Kultur und füttern ihre Nachbarn in KÜFAS. Es gibt auch Ärzte, Tischler, Pädagogen, Gärtner, Gastronomen und ja, sogar Anwälte, die sich selbst und die auch ich als Punks bezeichnen würde. Punk ist ein Lebensgefühl, mit Betonung auf „Gefühl“. Wenn es nach mir ginge, könnten wir das Wort auch einfach abschaffen, es steht eigentlich nur noch im Weg. Punk sollte für den Drang nach Freiheit, für Experimentierfreude und Abenteuerlust stehen. Für „Lust for life“, wie Iggy es nannte. Das und mit welchen Mitteln und in welchem Ausmaß auch immer den Mut und die Hoffnung dafür aufzubringen, die Welt ein kleines bisschen geiler machen zu wollen. Es gibt Punkbands und deren Fans. Dort treffen dann durchaus solch mittellose Rucksack-Punks wie die vom Alex auf besagte Ärzte, Pädagoginnen und Anwälte, etc. Wir haben uns als Band bewusst dafür entschieden, die Ticketpreise für 2025 pauschal unter 30 Euro zu halten. 30 Euro bekommt auch jeder Gossenpunker, der was auf sich hält, an einem Tag zusammen, wenn er wirklich aufs Konzi will und halbwegs gesund ist. Unterschätze niemals den Einfallsreichtum, die Verbissenheit und das Durchhaltevermögen eines Straßenköters! Die haben gelernt, sich zu holen, was sie brauchen. Das machen die jeden fucking Tag. Der Moment, der Schnappschuss vom Gossenpunker und der Ärztin, Arm in Arm den Text mitgrölend ... das ist Punkrock! „Die“ Punk-Szene ...? Ich sehe überall nur Menschen. Manche mag ich, manche nicht, und umgekehrt. Manche haben gerade mehr Glück als andere, aber auch das kann sich schon morgen wieder umkehren. Mehr weiß ich nicht. Punk sei Dank. Amen.

Wie siehst du das? Kann man jemandem in einer Situation wie deiner damals, mit Obdachlosigkeit und so weiter, von außen wirklich helfen – und wie? Oder muss die Initiative, sich Hilfe zu suchen und sich helfen zu lassen, von der betroffenen Person selbst ausgehen? Ich glaube, dass viele Menschen eigentlich helfen wollen, aber sich hilflos fühlen in so einer Situation und davon überfordert sind.
Eine gute Frage. Eine, der eine einzige Antwort nicht gerecht würde. Gegenfrage: Definiere „helfen“. Ein Lächeln hilft manchmal mehr als ein 5-Euro-Schein. Eine entscheidende Rolle spielt die psychische Verfassung. Da laufen Leute rum, die Stimmen hören und Dinge sehen. Laut Gesetz muss erst etwas passieren, bevor solchen Menschen überhaupt geholfen werden darf. Das Recht auf Krankheit. Herzlichen Glückwunsch. Als Nächstes kommt der Suchtfaktor. Ab dem Punkt kann man schon mal von „wollen müssen“ sprechen, aber auch nur bedingt. Das hängt stark von den jeweiligen Substanzen ab und davon, wie fortgeschritten die Krankheit eines Individuums ist. Dann gibt es die wahren Überlebenskünstler, die sich bewusst gegen ein herkömmliches Zuhause entschieden haben. Die Suchenden. Die Poeten und Bordsteinphilosophen und U-Bahn-Propheten. Diejenigen, deren Füße einfach nicht aufhören wollen zu jucken. Die lernen, im Idealfall, sich selbst zu helfen. Für die ist das der Sinn der Sache. Was hilft, sind vor allem Empathie, Respekt und Verständnis. Das „Problem“ wird nicht weggehen und sich schon gar nicht „bekämpfen“ lassen. Das „Problem“ da draußen, das sind unsere Nachbarn. Unsere Mitmenschen. Du willst helfen? Sei menschlich und behandle Menschen wie Menschen. Das wäre ein guter Anfang.

„Herzlich willkommen in der Scheiße!“, sagst du gerne. Was meinst du damit? Wäre doch auch ein guter Buchtitel gewesen ...
Das sage ich nur immer als Erstes auf der Bühne, weil unser derzeitiges Set mit „Komm schon klar“ anfängt. Herzlich willkommen in der Scheiße ... der Rest des Songs erklärt dann schon ganz gut, wie ich das meine. Was mir öfter mal privat herausrutscht, ist „Welcome to Disneyland!“, in Momenten, in denen sich das Leben in einen abstrusen, verrückten Film verwandelt und einem abermals den Boden unter den Füßen wegreißt.

Punk hat einerseits diese sehr konstruktive, positive Ader, aber da ist eben auch (Selbst-)Zerstörung, da sind Drogen, Alkohol ... Zwei Seiten einer Medaille, beides zwingend verbunden, oder müsste auch mal Schluss sein mit dem Abfeiern von Suff und Dreck?
Da kann ich nur von mir selbst sprechen. Aber ich habe mittlerweile tatsächlich Bock, alt zu werden! Ich möchte einfach noch eine Weile bleiben, dementsprechend drastisch hat sich mein Konsumverhalten verändert. Es ist und bleibt ein Seiltanz, aber ich bin guter Dinge. Was Suff, Dreck und Drogen innerhalb der „Szene“ angeht: Alkoholismus und Drogenabhängigkeit ziehen sich durch das gesamte Konstrukt, das wir Gesellschaft nennen ... und ob nun HipHop, Schlager, Techno, Metal, oder Punk: Wo laute Musik ist, da wird auch gesoffen und geballert, und im Bundestag auch. Angebot und Nachfrage. Daran wird sich wohl auch nicht viel ändern in absehbarer Zukunft.

Wie ist denn heute dein Verhältnis zu Diggen, in dessen Fußstapfen du getreten bist?
An meinem Verhältnis zu Diggen hat sich seit unserem letzten Interview nichts geändert. Es gibt keins, ich habe den Mann nie persönlich kennengelernt. Die Frage wird mir sehr oft gestellt. Manchmal kann ich förmlich riechen, dass jemand hören will, dass wir irgendeine Art von Beef miteinander hätten. Über mich persönlich hat er nie auch nur ein negatives Wort verloren. Das zeugt für mich von Charakter. Was die längst vergangenen Unstimmigkeiten zwischen meinen Bandkollegen und Diggen angeht: Fragt meine Bandkollegen. Fragt Diggen. Ich war nicht dabei, und selbst wenn ich es gewesen wäre, würde ich die Fresse halten. Meine eigene Wäsche ist dreckig genug und vor meiner Tür liegt auch regelmäßig Hundescheiße.

Ich frag dich mal ganz offen: Wie gehst du nach deinen krassen Erfahrungen mit uns „Normalen“ um, die nie solch existenzielle Krisen erlebt haben?
„Normale“ Menschen sind mir stets suspekt. Damit meine ich nicht ihren finanziellen oder gesellschaftlichen Status, wie oder wo sie wohnen, was sie essen oder anziehen, oder wen sie ficken. Wir leben allesamt in einem kollektiven Zustand nicht artgerechter Haltung. Wer unter diesen Umständen nicht zumindest ab und zu an seinem Verstand zweifelt und das Gefühl hat, nichts, aber auch gar nichts wirklich im Griff zu haben, ist entweder verrückt oder geblendet. Ich umgebe mich am liebsten mit positiven Menschen, die immer wieder vorm Abgrund standen, den Anblick überlebten und jedesmal stärker als zuvor zurückkamen ... Aber das hat nichts mit „normal“ oder „nicht normal“ zu tun. Das ist einfach die Art von Menschen, von denen man noch etwas lernen kann. „Normal“ ist am Ende, ähnlich wie „Punk“, nur eine Idee, die obendrein noch für jeden anders aussieht.

Apropos Krisen: Die Opioid-Krise in den USA, Oxycodon und so. Du hast es erlebt. Was denkst du, wird uns der Scheiß in Deutschland auch noch so richtig erwischen ...?
Es hat schon längst angefangen. Die Nachricht von der ersten Oxy-Überdosis einer mir persönlich bekannten Person in Deutschland hat mich letzten Herbst erreicht. Sehr wahrscheinlich war das Zeug mit Fentanyl gestreckt. Ich befürchte, da kommt etwas Mächtiges angeschwappt, auf das wir in keiner Weise vorbereitet sind.

Wie empfindest du als jemand, der das Land kennt, die USA 2024 in der Zeit des Wahlkampfs zwischen Trump und Harris?
Wie ich das empfinde? Ich empfinde vor allem Abscheu und Horror! Das ganze abgefuckte Schauspiel ist schon längst dermaßen lächerlich weit aus dem Ruder gelaufen, dass ich nur noch den Kopf schütteln kann. Jeder Versuch zu verstehen, was dort eigentlich gerade wirklich passiert, endet mit einem hilflosen „What the fuck?!“. Ich mache mir Sorgen um meine Angehörigen.

Was steht sonst noch so an?
Einiges! Parallel zur Entstehung des Buchs sind natürlich auch viele neue Songs entstanden. Der eine Schreibprozess hat quasi den anderen gefüttert und umgekehrt. Das ist schwer in Worte zu fassen, aber wer sich sowohl das Buch als auch die Songs reinzieht, wird verstehen, was ich meine. Aus manchen dieser Songs wurden dann SLIME-Songs. Wir sind ja bewusst nicht auf Tour gegangen, um uns auf neues Song-Material und Recording-Sessions fokussieren zu können, und das hat Früchte getragen. Bald wird geerntet und wir sind schon sehr gespannt auf die Reaktionen. Es ist noch etwas zu früh für konkrete Ansagen, da spielen ja noch einige Faktoren mit rein, wie Mastering, Timing, Vertrieb, etc., aber da kommt was, so viel kann ich wohl guten Gewissens versprechen! Die nächste längere Session findet im Dezember statt, inklusive Proben für die vier Live-Shows, zwischen X-Mas und Neujahr, auf die ich mich tierisch freue!

Ich stieß neulich auf den Namen TELUXE. Was hat es damit auf sich?
Einige andere Songs, die in den letzten eineinhalb Jahren entstanden sind, habe ich gemeinsam mit meinem guten Freund und Kollegen Lucas Uecker, einem begnadeten Songwriter, Solo-Künstler und Mitbegründer der großartigen Hamburger Band LIEDFETT, geschrieben. Ohne ihn wäre „Dreck und Glitzer“ nicht dasselbe Buch. Was Anfang 2023 mit ersten Winter-Sessions vorm Holzofen eines Bauwagens irgendwo im Wald anfing, hat sich erschreckend rasant in ein absolut wahnsinniges Unterfangen verwandelt. Ich befürchte, wir haben tief im nordischen Wald ein Monster erschaffen. Das Projekt haben wir TELUXE getauft. So unterschiedliche Charaktere Lucas und ich auch sind, so geil ergänzen wir uns. Was uns, abgesehen von einer Art Seelenverwandtschaft, die ihresgleichen sucht, verbindet, sind vor allem unser Freiheitsdrang, unsere ähnlichen Lebensphilosophien und das dringende, fast schon schmerzhafte Bedürfnis, das alles auch musikalisch auszudrücken. Wir können beide viel, aber wollen tun wir nur das, was unsere Berufswahl angeht. Kunst machen oder beim Versuch dabei draufgehen. Keine halben Sachen. Hinter uns zwei verpeilten Glücksrittern steht mittlerweile ein kompetentes, hochmotiviertes Team, inklusive Management, Booking- und Promotion-Agentur und vor allem zwei unglaublich kreative und emphatische Producer, die es verstehen, das absolut Beste aus uns herauszuholen. Die erste Single samt Video ist so gut wie raus. Im Oktober, zeitgleich zur Buchveröffentlichung, kommt das Monster aus dem Unterholz gekrochen und geht als Support mit den fucking H-BLOCKX auf Tour. WTF? Hab ich auch gesagt. Danke an dieser Stelle an Henning, der wohl die ersten Demos so geil fand, dass er prompt seine Bandkollegen überredete, uns einzuladen. Das Buch wird dann auch an unserem Merchstand erhältlich sein. Aber keine Sorge, SLIME-Fans, 2025 kommt ihr definitiv auch nicht zu kurz. Die Tourplanung ist am Qualmen und auch wir haben uns einiges vorgenommen. Es ist und bleibt spannend, aber ich glaube, der Wind ist mit uns!

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Aus „Dreck und Glitzer“ ...

Nach etwa einem Monat gibt es auf der anderen Seite der Leitung eine neue Ansage: „Wir haben deine Eltern ausfindig gemacht und sie freuen sich, dich so bald wie möglich kennenzulernen! Sag einfach Bescheid, wenn du in Houston bist. Hier ist die Telefonnummer deiner Mutter.“
Heilige Scheiße! Es passiert wirklich! Jetzt hab ich Schiss! Ich verabschiede mich von San Francisco, von weinenden Tänzerinnen und Au-Pair-Mädchen, von korrekten Gossenpunkern, Hippies und Bikern und mache mich auf den Weg, um endlich herauszufinden, wo ich herkomme.
Tage später sitze ich in einem der zahlreichen Crack-Motels in Downtown Houston und starre auf das Telefon. Vielleicht 15 Minuten, vielleicht eine Stunde. Immer wieder setzte ich zum Telefonieren an – und lege doch wieder auf, bevor ich überhaupt gewählt habe. Dann gebe ich mir einen Ruck. „Hallo?“, tönt es am anderen Ende der Leitung. Fuck! Das ist also die Stimme meiner Mutter. Ich bin so aufgeregt, dass ich nur zusammenhangloses Zeug stammele. Dann verabreden wir uns an einer Greyhound-Station.
Dort stehen zwei Stunden später eine langhaarige, blonde Frau und ein langhaariger, junger Mann vor mir. Er sieht aus, als könnte er mein Zwilling sein. „Whatup, brother? Ich bin Jason. Willkommen zu Hause!“
Wir umarmen uns alle und unterdrücken die Tränen. Dann steigen wir ins Auto, um zu meinem Vater zu fahren. Auf dem Weg rauchen wir alle drei Kette vor Nervosität. Meine Mutter Linda sagt, dass sie schon wusste, dass es einer dieser Drei-Schachtel-Tage werden würde.
Wir halten vor einem Gebäude, genau an der Bucht von Galveston. Es steht auf etwa fünf Meter hohen Stelzen und ist zur Wasserseite hin offen. Davor stehen zwei Dutzend Harleys, eine Handvoll Pick-up-Trucks und ein paar Bullis.
Ein derber, dreckiger Texas Blues dröhnt uns entgegen. Linda zeigt auf die Bühne. Dort sitzt ein langhaariger und tätowierter Typ, nicht größer als 1,70 m – mit funkelnd blauen Augen. Er spielt auf einer Fender Telecaster, die früher einmal weiß gewesen war, und singt irgendwas von dirty shame.
„Dein Vater“, sagt Linda.
Als er uns über den Köpfen des mitwippenden Publikums entdeckt, grinst er breit und spielt ein Extrasolo. Fuck! So will ich auch spielen können!
Nach dem Song bahnt er sich seinen Weg durch die Menge und umarmt mich fest. Bis heute sind die Minuten um diesen Moment herum schwarz. Was auch immer wir gesagt oder getan haben: Ich habe es nicht abgespeichert. Am gleichen Abend holt er mich mit seinem rostigen Sedan ab. Im tiefsten Texas-Tonfall sagt er mir, dass ich reinhüpfen soll. Wir fahren ins Studio.
Als wir dort ankommen, drückt er mir hundert Dollar in die Hand. „Ich schulde dir 18 Jahre Taschengeld. Is’ nicht viel. Aber ein Anfang.“ Dann zündet er sich einen kleinen Stickie an, zieht zweimal daran und reicht ihn mir. Er erzählt mir von Lonnie, meinen kleinen Schwestern Annie und Hailey. Davon, dass er oft unfair zu Frauen war. Davon, wie leid es ihm tut, was ein einzelner Kontrollverlust alles anrichten kann.
„Dieser Mann hatte es nicht verdient zu sterben“, sagt er. „Nicht so zu sterben.“
Wir schweigen.
„Es tut mir unendlich leid, mein Sohn. Ich hoffe, dass du mir irgendwann tief in deinem Herzen vergeben kannst, was ich getan habe und was das angerichtet hat.“
Dann gehen wir zum Kofferraum, aus dem Benny eine uralte, wunderschöne kirschrote Fender Telecaster holt. Ein fast schon antiker Tube-Amp von Fender ist auch dabei. Das Ding wiegt fast so viel wie ich. Er überreicht mir die Klampfe feierlich und sagt, dass er diese Gitarre seit Jahren für mich bereitgehalten hat. Dann sehe ich zum ersten Mal ein Studio von innen. Der konzentrierte Typ am Mischpult raucht einen Joint. Benny spielt, wir hängen etwas rum, bevor er mich zurück nach Hause bringt. Durch die Nacht zieht regelmäßig das schauerliche, aber seltsam beruhigende Hupen der Güterzüge, die ein paar Blocks weiter durch Dickinson fahren. Auf Gleisen, die Arm von etwas weniger Arm und Weiß von weitaus weniger Weiß trennen. Gleise zwischen Arbeiterviertel, Trailerpark und Getto.
Am nächsten Morgen sitze ich auf der Veranda und rauche einen Joint. Das Gras dafür habe ich aus einer umzugskartongroßen Tupperdose in der Küche. Sie gehört meinem Bruder. Im Garten wachsen Kakteen, Limonen und Jalapeños. Geckos wärmen sich an der Hauswand. Ein winziges Chamäleon hängt in einer der Topfpflanzen. In der knorrigen, texanischen Eiche tummeln sich ein paar graubraune Eichhörnchen, aufmerksam beobachtet von Molly, der Hauskatze. Als sie sich schleichend dem Baum nähert, bewerfen die Viecher sie mit Eicheln. Selbst die Eichhörnchen in Texas lassen sich nichts gefallen. Plötzlich steht eine volltätowierte, ca. 1,50 m große Frau mit langen pechschwarzen Locken vor mir. Sie trägt Minirock und High-Heel-Boots. Neben ihr steht ein langhaariger Teenager, vielleicht 16 Jahre alt.
„Ich bin deine Tante Lydia. Das ist dein Cousin Ardan. Zieh dich an! Wir gehen was essen.“
Auf dem Weg zur Taqueria zündet sich Ardan einen Joint an und reicht ihn weiter. Lydia grinst. Eine waschechte Latina. Sie und Benny verbrachten viel Zeit miteinander. Mit der Zeit erfuhr ich, dass sie und Benny eine wirklich unergründliche Beziehung führten: Blutsverwandt waren sie nicht, das Familiending nahmen sie aber höchst offiziell.
„Du kommst aus einer Familie voller Outlaws“, sagt sie.

Aus: Tex Brasket, Christian Schlodder
„Dreck und Glitzer“
(240 S., Paperback, 18 Euro)
© 2024 Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln