Vor einigen Jahren betonte Gitarrist Mart Wijnholds, dass er trotz zahlloser gesellschaftlicher Missstände die Hoffnung auf einen positiven Wandel nicht aufgeben möchte. In der Gegenwart dürfte der Grindcore der Niederländer genug destruktive Inspiration finden, um brutaler zu klingen als je zuvor.
Grindcore-Wutbürger“ lautete die gewählte Überschrift meines letzten Interviews im Jahr 2015 mit Mart Wijnholds, dem Gitarristen von TEETHGRINDER. Leider ist der Neologismus des Wutbürgers nicht in Vergessenheit geraten, sondern hat sich als Sinnbild einer existenziellen Gefahr für unsere demokratischen Gesellschaftsordnungen nahezu pandemisch ausgebreitet. „Die Welt ist ein gefährlicher und erschreckender Ort geworden, was in den nächsten Jahren vermutlich noch weiter eskalieren wird“, prophezeite der Musiker vor sieben Jahren. Welchen Katastrophen und Herausforderungen wir aktuell gegenüberstehen, dürfte seine damalige Vorstellungskraft jedoch nicht auf dem Zettel gehabt haben. „Ich hatte dennoch die Hoffnung, dass wir Fortschritte machen. Aber es hat sich alles so verrückt und erschreckend entwickelt“, resümiert Wijnholds. Einen großen Anteil an den gesellschaftlichen Ausprägungen dieser Entwicklungen sieht er in einem Phänomen unserer Zeit: „Social Media besitzen irre viel Macht. Ich weiß nicht, wie das in Deutschland lief, aber in den Niederlanden waren die Leute aufgrund der ganzen Fake News am Durchdrehen – was gar nicht so verwunderlich erscheint angesichts von Isolation und Lockdown. Aber auch abseits der Pandemie haben Social Media solch heftigen Einfluss. Angefangen beim Selbstbild junger Frauen über das Wahlverhalten bis hin zu einem Mob, der das amerikanische Kapitol stürmt, weil es in ihre Köpfe gepflanzt wurde, das zu tun. Es scheint, als ob die Kapitalismusmaschine weiterhin läuft und läuft. Ich denke nicht, dass es damit in absehbarer Zeit vorbei ist. Natürlich hoffen wir auf eine bessere Zukunft, aber es fühlt sich ehrlich gesagt gerade nicht danach an.“
Passend dazu haben TEETHGRINDER ihr kommendes Album „Dystopia“ genannt. Per Definition ist eine Dystopie eine zumeist in der Zukunft liegende fiktive Erzählung, in der das Bild einer wenig wünschenswerten Gesellschaftsordnung gezeichnet wird. „Wir bewegen uns in eine dystopische Richtung. Besonders während des Lockdowns hat sich das verstärkt. Die Autorität zu dieser Zeit war ein bisschen gruselig, aber ich erachte den Titel aus einem anderen Grund als sehr relevant: Wir haben den Kontakt zu den Dingen verloren. Es gibt keinen Gemeinschaftssinn mehr, keinen Zusammenhalt. Menschen stehen einander auf sehr ungesunde Weise gegenüber, sie haben Angst vor ihrem Nachbarn, sind feindselig eingestellt. Nebenbei wird alles konstant teurer und es fällt immer schwerer, das Leben zu bestreiten, während das reichste Prozent der Bevölkerung beständig mehr Wohlstand anhäuft.“ An dieser Stelle wirkt die Band für Wijnholds wie ein Ventil, aus dem eine komprimierte Essenz sprudelt: „Frustration, Wut, negative Emotionen angesichts des Status quo – damit sind TEETHGRINDER eng verbunden.“ Dabei stellt sich in einem Gedankenspiel die Frage, inwieweit sich die Musik der Band in der gegengesetzten Utopie einer harmonischen und gerechten Welt verändern würde? Woraus würde sie ihre Aggressivität ziehen? Wäre sie noch aggressiv? Der Gitarrist scheint sich bereits häufiger damit auseinandergesetzt zu haben und legt Wert auf eine Differenzierung: „Ich fragte mich schon oft, warum ich das Bedürfnis nach dieser Härte in der Musik spüre. Und ich weiß nicht, ob wir relevant wären oder was wir machen würden in so einer utopisch positiven Gegenwart. Die damit assoziierten Emotionen existieren aber bereits jetzt im Kontext der Musik. Ich liebe, was ich tue, und vor allem wenn wir auf der Bühne stehen, wird alles vom Hurrikan und der Intensität des Lärms verschluckt. Es bewirkt, dass in diesem Augenblick nichts anderes sonst existiert. Das mag schräg klingen, aber alles ist dann frei und friedlich.“ Es fällt auf, wie gut gelaunt Mart Wijnholds Stimme während dieser Antwort und in vielen anderen Sätzen klingt, wie häufig er über etwas lacht. Nicht wenige Menschen würden das klangliche Extrem an Brutalität mit ebenso düsteren und misanthropischen Persönlichkeiten in Verbindung bringen. Doch der junge Familienvater erscheint als ausgeglichener Charakter, der nach wie vor die Hoffnung nicht aufgegeben hat und das auch in seinen Taten zum Ausdruck bringt. So verzichtet die gesamte Band auf den Konsum von Fleisch und versucht, den Fans positive Vibes zu vermitteln. Ähnliches formulierte er bereits 2015, als er die Bedeutung eines möglichst kleinen ökologischen Fußabdrucks oder der Unterstützung sinnvoller und nachhaltiger Projekte erwähnte. Wo die vordergründige Wut und destruktive Aggressivität nur die Kopfnote darstellen, eröffnet sich dahinter eine friedvolle Katharsis, die als Basis verbleibt und für die kurze Dauer einer Show sogar das vermisste Gefühl von Gemeinschaft erzeugt. So könnte der Versuch aussehen, Gegensätze in Einklang zu bringen. Würden mehr Menschen mit diesem Bewusstsein agieren, hätten wir möglicherweise weniger Probleme. Und mehr Grindcore-Bands.
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Verwechslungsgefahr!
TEETHGRINDER = Grindcore aus den Niederlanden
TOOTHGRINDER = Prog-Metal aus den USA
Beide Bands waren bereits Bestandteil einer Fuze-Ausgabe.
© by Fuze - Ausgabe #95 August/September 2022 und Florian Auer
© by Fuze - Ausgabe #95 August/September 2022 und Florian Auer
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #163 August/September 2022 und Ollie Fröhlich