TED LEO & THE PHARMACISTS

How to live in America today

Seit CHISEL bin ich ein Fan dieser Stimme, und eigentlich wäre es schon beim letzten Album an der Zeit gewesen, Ted Leo mittels eines Interviews zu würdigen. Aber wie es eben immer so ist, man kommt nicht zusammen, und so klappte es erst anlässlich des Kölner Auftritts von TED LEO & THE PHARMACISTS mit einem Treffen. Und so saß ich also mit dem Mann mit der Gitarre im Café des Kölner Stollwercks und versuchte zu ergründen, wie man dazu kommt, so herzergreifend schöne Popsongs zu schreiben. Und ganz klar, der Mann, der einst als Sänger der NYHC-Legende CITIZENS ARREST begann, ist ein Guter, ein Sympath, und wer sein aktuelles Album „Shake The Sheets“ auf Lookout noch nicht kennt, der sollte das ganz schnell nachholen.

Ted, kannst du mal kurz deinen musikalischen Werdegang skizzieren? Ich denke, nur die wenigsten werden mit den Aktivitäten vor deiner Solokarriere vertraut sein.


„Also meine Karriere beginnt als erster Sänger von CITIZENS ARREST, das war 1987/88. Ich bin aber nur auf dem ersten Demotape zu hören, und auf der ‚A Light In The Darkness‘-7“ ist ein Song, den wir damals gemacht haben. Ich ging damals für ein paar Jahre wegen meines Studiums weg aus New York. 1990 gründete ich dann CHISEL, die bis 1997 existierten, und begann dann solo zu spielen, hatte aber parallel auch die SIN EATERS, mit denen ich auch in Europa auf Tour war, die sich aber bald wieder auflösten. Ich spielte auch eine Weile bei den SPINANES Gitarre, und vor fünf Jahren ungefähr hatte ich dann eine Band, die mich hin und wieder begleitete, und das waren bzw. sind die PHARMACISTS – und damit sind wir in der Gegenwart angelangt.“

Ich finde ja, dass sich an deiner musikalischen Grundausrichtung seit CHISEL nicht viel verändert hat – irgendwie hattest du da deinen Sound gefunden, man hört die Kontinuität.

„Ja, da stimme ich dir zu, auch wenn ich natürlich versuche, mich weiter zu entwickeln. Aber ich kann ja nichts neu erfinden, ich tue mein Bestes, um gute Songs zu schreiben, und besonders experimentierfreudig bin ich auch nicht. Von daher sehe ich also auch die Kontinuität im Songwriting von damals bis heute. Ich merke selbst, wie ich immer wieder auf die Basics zurückkomme, die mich schon immer inspiriert haben: Sixties-Soulmusik und Seventies-Punk. Das ist immer da, auch wenn ich natürlich hier und da von der Grundlinie abweiche.“

Also ich fühle mich bei dir immer an Joe Jackson erinnert. Einverstanden?

„Ich mag Joe Jackson auf jeden Fall, aber er ist kein so offensichtlicher Einfluss wie andere Namen, die im Zusammenhang mit mir immer wieder genannt werden, eben Paul Weller und Joe Strummer ...“

... und Elvis Costello?

„Gar nicht mal. Ich mag ihn, aber ich habe manchmal den Eindruck, er ist irgendwie zu smart und steht sich damit selbst im Weg. Mir ist Musik lieber, die etwas mehr aus den Hüften und von Herzen kommt, während seine manchmal vor allem aus dem Kopf zu kommen scheint. Aber grundsätzlich mag ich seine Sachen schon“.

Interessant ist ja, dass die alle unter ihrem eigenen Namen auftreten, wie du auch, und nicht im Namen einer Band.

„Hm, stimmt, das ist interessant, da habe ich noch nie drüber nachgedacht.“

Haha, hast du so ein großes Ego?

„Nein, nein! Das ist einfach so passiert. Ich war ja jahrelang in Bands, und dann spielte ich allein, warum also sollte ich der Sache einen anderen Namen geben als meinen eigenen? Jetzt habe ich die PHARMACISTS als Begleitung, und wir sind als Dreierformation mittlerweile richtig tight. Für mich ist das der konsequente nächste Schritt, nachdem ich als reiner Solokünstler begonnen hatte.“

Wenn die beiden Jungs deine Band sind, warum verbietest du ihnen nicht diese schrecklichen Vollbärte?

„Also ganz ehrlich, wenn sie auf mich hören würden, dann würde ich ihnen die verbieten.“

Tja, da sollten sie es besser mit CRUCIAL YOUTH halten ...

„Richtig, ‚Shave clean or you’re not in the scene‘, hahaha.“

Es ist ein weiter Weg vom „Shouter“ in einer Hardcore-Band zu einem richtigen Sänger.

„Also ich schreie auch jetzt noch manchmal, und selbst als ‚Screamer‘ in einer Hardcore-Band habe ich eher gesungen. Sowieso finde ich, dass CITIZENS ARREST nach meinem Weggang eine bessere Band wurden. Ich habe eher gesungen als geschrien, und Aron, der Drummer, der nach mir den Job machte, war auch ein viel besserer Screamer. Ich mag aber auch so richtig schreiige Musik, mag Doom-Rock und so, aber wenn es nur eine Art zu singen auf der Welt geben könnte, würde ich mich für schöne Gesangsmelodien entscheiden.“

Der Unterschied zwischen beiden Arten zu singen ist ja auch, dass Schreien eher negative Emotionen auslöst, melodiöses Singen wie in deinem Fall eher positive.

„Ja, aber auch bei Schreigesang gibt es ja Unterschiede. Zum Beispiel so richtig aggressives, testosterongetriebenes Tough-Guy-Gebrülle, und im Unterschied dazu der Gesangsstil, der eher von politischen Hardcore-Bands bevorzugt wird und der zwar brutal klingt, aber eher Verzweiflung und Wut ausdrückt. Für mich hat Singen etwas Kathartisches, und ich bin auch gezwungen, negativen Gefühlen eine Form zu geben, die nicht ihrerseits wieder Negatives ausstrahlt. Aber das ist ein interessanter Aspekt, ich hatte da nie wirklich drüber nachgedacht.“

Du hast letztes Jahr eine EP veröffentlicht, auf der du unter anderem THE JAM coverst, aber auch die POGUES und SPLIT ENZ.

„Ja, wobei ich gleich sagen muss, dass der POGUES-Song keiner ist, denn die haben ihn auch nur gecovert, denn es ist ein alter Folk-Song, den Ewan MacColl geschrieben hat, der Vater von Kirsty MacColl. Ich wollte ja eigentlich nur eine Single machen zu ‚Tell Balgeary, Balgury is dead‘, und irgendwie ist dann eine EP daraus geworden. Ich habe da ein paar Songs ausgewählt, die mir etwas bedeuten, deren Vibe ich mag.“

Der Titel klingt, als wäre er von Paul Auster.

„Hahaha, nee, ich habe mich da von einer alten irischen Geschichte inspirieren lassen. Ich habe teils irische, teils italienische Vorfahren.“

Du bist eher zurückhaltend, was Interviews auf der Tour anbelangt, weil du Angst um deine Stimme hast.

„Ja, ich muss vorsichtig sein. Ich war in letzter Zeit viel in Behandlung deshalb, musste letztes Jahr auch eine Tour canceln, weil mir die Stimme versagte. Also gebe ich am Abend meist nicht mehr als ein kurzes Interview, um meine Stimme zu schonen. Komischerweise hatte ich sechzehn Jahre lang nie Probleme, erst seit letztem Jahr ist das so. Und ich mache diesen harten Tourzirkus schon lange, bin meist acht Monate im Jahr unterwegs.“

Wie steht man das durch?

„Also, es wird immer härter, früher fiel mir das leichter. Und je älter ich werde, desto mehr muss ich auf mich aufpassen, auf meine Stimme, darf tagsüber nicht zu viel reden. Ich habe gehört, dass richtige Profis, Leute wie Céline Dion, außer auf der Bühne so gut wie gar nicht sprechen, wenn sie auf Tour sind. Aber die haben auch eine Armee von Leuten um sich, die sich um alles kümmern. Ich muss und musste also eine Menge darüber lernen, wie ich mich selbst pflege und schütze, um weiterhin das tun zu können, was mir wichtig ist. Ich muss mich also vor dem Konzert warm machen, darf nicht rauchen ...“

... nicht trinken?

„Äh, na ja ... Also ich trinke nicht mehr so viel Bier, meistens nur auf der Bühne und direkt nach dem Konzert. Auf jeden Fall vor dem Auftritt nichts Kaltes. Und ich versuche, immer genug Schlaf zu bekommen.“

Standest du mal vor der Wahl zwischen einem „richtigen“ Job und dem Musikmachen?

„Nein, nicht wirklich, aber es gab auch nie den Punkt, an dem ich mich bewusst entschieden habe, fortan Musiker zu sein. Ich spielte immer irgendwie in einer Band, studierte zwischendurch mal, und jetzt bin ich eben immer noch in einer Band. Immerhin, ich habe sogar einen Abschluss und kann mir auch vorstellen, wieder zu studieren. Ich glaube zwar nicht, dass ich jemals aufhören werde, Musik zu machen, aber mit dem ständigen Touren werde ich wohl irgendwann aufhören müssen. Das mag für euch hier in Europa schwer nachvollziehbar sein, weil ich so selten hier war, aber in Nordamerika sind wir eben seit fünf, sechs Jahren nonstop unterwegs, und das fordert seinen Tribut. Von daher werde ich früher oder später wohl einen ‚richtigen‘ Job machen müssen.“

Du hast einen sehr realistischen Blick für dein Tun, was nicht gerade typisch ist für einen Musiker.

„Nun, ich weiß eben, dass ich nie bei einem Majorlabel sein werde, nie
ein Popstar sein.“

Warum nicht? An den Songs liegt es doch nicht. Warum feiert alle Welt einen Adam Green ab, aber nicht Ted Leo?

„Vielleicht, weil ich zehn, zwölf Jahre zu alt bin? Aber lass es mich so ausdrücken: Als ich jung war, hatte ich diesen Punkrock-Traum – nicht den Rock’n’Roll-Traum – unabhängig zu sein, sich möglichst so weit vom normalen Geschäftsleben fern zu halten wie möglich, eine Stimme des Dissens’ zu sein. Natürlich mache ich in erster Linie Musik, weil ich Spaß daran habe, aber das hat zwangsläufig auch immer etwas mit Business zu tun, und da denke ich eben, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt. Meine Vorstellungen, das ist ganz klar, lassen sich nur in der Independent-Welt erfüllen.“

Wie wichtig sind dir vor diesem Hintergrund deine Texte?

„Sehr wichtig. Meistens sind sie Dialoge mit mir selbst, ich mag Texte nach dem Schema ‚This is good and this is bad, you should listen and do that‘ nicht. Ich diskutiere lieber mit mir selbst: Man kann das so sehen, aber auch so und so. Ich versuche die Themen meiner Texte immer im Gesamtkontext meines Lebens zu sehen, und es fällt mir echt schwer, einfach nur ein simples Liebeslied zu schreiben und an nichts weiter zu denken, es nicht gleich in einen größeren gesellschaftlichen oder politischen Kontext zu setzen. Das fällt mir echt schwer! Auf meiner vorletzten Platte hatte jeder Song ein bestimmtes Thema, bei der aktuellen ist es so, dass sich als Grundthema durch alle Lieder die Frage zieht, wie man heutzutage in den USA leben kann. Wie kann man sich als Bürger dieses Landes, aber auch der Welt, verhalten, wenn einen eigentlich alles ankotzt und anwidert? Ich gebe mich nicht der Illusion hin, eines meiner Lieder könnte einen Krieg verhindern, dass Rumsfeld oder Bush deshalb plötzlich innehalten und umdenken. Die Frage ist vielmehr: Wie kommen wir in unserer Community da durch, wie gehen wir damit um, wie bringen wir Dinge im kleinen Rahmen voran?“

Chris, der Boss deines Labels Lookout, äußerte sich im Vorfeld der Präsidentschaftswahl auch sehr deutlich dazu, was er von Bush hält, nämlich nichts.

„Und ich sehe das genauso! Ich bin mit Chris schon sehr lange befreundet, länger als ich dort Platten rausbringe. Wir sind beide Mitte dreißig, sind mit dem Glauben daran aufgewachsen, dass man alles auch irgendwie anders und besser machen kann, als Punks, und es mag sich vieles geändert haben, aber wir gehören zu den Leuten, die immer noch an das glauben, was sie vor vielen Jahren mal gesagt haben.“

Ted, ich danke dir für das Interview.