TAUSEND LÖWEN UNTER FEINDEN

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A newtwork of friends

In der Mittagspause besucht mich manchmal mein alter Freund Till von der Göttinger Radioshow „Noise Engine“. Er ist ein Urgestein der hiesigen Hardcore-Szene und wir tauschen uns oft über neue Bands und Platten aus. Wie etwa TAUSEND LÖWEN UNTER FEINDEN, wo mich bereits der Name aufhorchen ließ. Recht bescheiden und zurückhaltend empfand ich die Präsentation der Band und es ist sofort klar, dass hier die Musik im Vordergrund steht, die mich auf Anhieb begeisterte. Anfang Dezember 2014 erschien die erste (Mini-)CD der Band auf Let It Burn Records. Parallel dazu veröffentlichen die „Löwen“ die Songs als 7“ selbst und brachten die ersten Auflagen in kürzester Zeit unter die Leute. Ich sprach mit Sänger Matthias.

Matthias, woher kommt ihr und was bedeuten Löwen für euch?


Wir sind alle schon lange in der Hardcore-Szene unterwegs und haben in diversen Bands gespielt. Das hat uns natürlich auf musikalischer Ebene geprägt. Die Lieder sind dementsprechend inspiriert von unserem persönlichen Geschmack und dem, was bei uns so alles auf dem Plattenteller rotiert. In den Vorgängerbands waren jedoch immer alle Texte auf Englisch und die Idee, deutsche Texte zu verwenden, war eigentlich schon lange da. Als dann die ersten Songs am Start waren und wir die ersten Lieder bei unserem Gitarristen Basti im Studio aufgenommen hatten, war schnell klar, dass wir das Projekt auch weiterverfolgen werden. Die deutschen Texte passten sogar besser zu den Songs, als wir das im Vorfeld gedacht hätten. Die Grundidee und Basis der Band hat direkt zu Beginn auch bei der Namensgebung eine wichtige Rolle gespielt. Unser Netzwerk von Freunden und Bekannten aus der Hardcore-Szene erstreckt sich eigentlich über ganz Deutschland, so wie das ja bei vielen deutschen Bands ist. Man kennt sich untereinander, hat viele Konzerte zusammen gespielt und vertritt inhaltlich auch oft die gleichen Ansichten und Werte. So wie in allen anderen Bereichen des Lebens, ist auch in dieser Szene eine Zusammenarbeit und kollektives Schaffen eine Voraussetzung dafür, dass Dinge ins Rollen gebracht werden. Somit verstehen wir TAUSEND LÖWEN UNTER FEINDEN nicht nur als Band, die aus fünf Musikern besteht, sondern als Kollektiv von allen Menschen, die sich an dem Projekt beteiligen.

Die Präsentation der Band wirkt sehr entspannt und wenig auf Selbstdarstellung bedacht. Ihr wählt bewusst den Begriff Kollektiv, inwiefern unterscheidet sich das von einer Band im klassischen Sinne?

Wir haben die Präsentation bewusst so gehalten, da wir den Fokus auf die Musik und die Texte setzen wollen. Es ist am Ende nicht so wichtig, wer die Songs aufgenommen hat, oder wer beim Konzert auf der Bühne steht. Der Inhalt, der vermittelt werden soll, ist entscheidend. Wir möchten in Zeiten einer immer weiter fortschreitenden Individualisierung die Idee des Kollektivs wieder mehr ins Bewusstsein rufen. Jeder Mensch ist auf andere Menschen angewiesen. Es hat sich aber leider in vielen Bereichen der Gesellschaft so entwickelt, dass sich Zusammenarbeit oft nur vor dem Hintergrund der eigenen Interessen abspielt. So funktioniert das auf Dauer jedoch nicht, da eine Hand immer die andere wäscht. Auch im Kontext jeder Band ist dieses Schema zu finden. Freunde, Familie, Label, Booker, Promoter, Journalisten, Designer und nicht zuletzt jeder Fan einer Band trägt auf seine Art dazu bei, dass der Gedanke einer Band weitergetragen wird. Ich denke, wir unterscheiden uns in diesem Punkt auch nicht wirklich von anderen Bands, da jede Band in ihr Umfeld verstrickt ist. Wir machen jedoch die deutliche Ansage an alle unsere Freunde, die sich mit den vermittelten Gedanken, Inhalten und Werten identifizieren können: „Macht mit, bringt eure Kreativität mit ein. Helft mit, etwas zu bewegen.“ Die Band im innersten Kreis selbst ist das Fundament, auf dem alles andere aufbaut. Wir möchten vom Konstrukt einer Band, die nach außen hin künstlich verschlossen ist, abweichen und uns bewusst öffnen. Dadurch ist viel mehr Freiraum für Kreativität geschaffen, der am Ende aus fünf Löwen tausend Löwen machen kann.

Mit dem Kollektivgedanken habe ich so meine Schwierigkeiten. Natürlich sind Menschen, die gemeinsam etwas angehen, stärker, allerdings auch manipulierbarer und die Eigendynamik ist oft sehr schwer zu kontrollieren.

Ich kann deine Bedenken dem Kollektivbegriff gegenüber sehr gut nachvollziehen. Es ist auch eine Definitionsfrage, wie man das Konzept für sich selbst auslegt. Bei politischen und organisierten Kollektiven sehe ich das ganz genauso, wie du es angesprochen hast. Wir als TAUSEND LÖWEN UNTER FEINDEN verstehen uns jedoch als unorganisiertes, soziales Kollektiv von Freunden. Jeder hat seine eigene ausgeprägte Individualität und eine feste eigene Meinung. Natürlich überschneiden sich viele Bereiche wie Wertvorstellungen, der Musikgeschmack und Ansichten über das Leben. Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass nicht auch in einer Gemeinschaft, die sich durch eben solche Eckpunkte verbunden fühlt, jeder Einzelne für sich steht. Aus der Vielfalt und den damit verbundenen Diskussionen und Kompromissen entsteht schließlich am Ende etwas Gemeinsames. Wir möchten in den Zeiten der extremen Individualisierung der Gesellschaft darauf aufmerksam machen, dass man niemals nur auf sich selbst gestellt ist. Gesellschaft bedeutet immer ein Miteinander, Interaktion, Unterstützung und Verständigung. Man ist nicht allein. Wir empfinden das als wichtigen und bodenständigen Gegenpol zu einer Einstellung, die jedem Menschen vorerzählt, dass er alles immer aus sich selbst heraus erreichen muss. Von uns wird niemals jemand hören, dass es gut ist, sich stumm irgendwo einzugliedern. Eine eigene kritische Sichtweise zu entwickeln und die Zusammenhänge herstellen zu können, ist besonders in einer globalisierten Welt, die immer schneller wird, existentiell wichtig.

Mit zunehmendem Alter beobachte ich, wie sich bis auf ein paar Ausnahmen auch die größten Rebellen beruhigen und teilweise auch resigniert zurückziehen. Und am Ende reden genau die ehemals jungen Revolutionäre über die nachfolgenden Generationen mit Worten wie „Das hätte es früher nicht gegeben“, also genau in dem Ton und von oben herab, wie es Lehrer mit Schülern machen. Wie betrachtest du den schmalen Grat zwischen predigen und erzählen, was bewegt euch?

Man sollte meinen, dass eine Predigt in der heutigen Gesellschaft niemand mehr gebrauchen kann. Das Wissen über die Welt und die Informationen liegen allen bereit, jeder kann theoretisch darauf zugreifen, sich weiterbilden, Konzepte vergleichen, kritisch hinterfragen. Wenn Missstände und Ungerechtigkeit jedoch trotzdem bestehen bleiben, muss auch weiterhin darauf aufmerksam gemacht werden. Als Musiker kann man hauptsächlich davon erzählen, wie man selbst die Welt sieht. Sobald inhaltlich jedoch sozialkritische Themen angesprochen werden, ist ein Gegenentwurf automatisch impliziert. Wir beanspruchen nicht, den einzig richtigen Weg vorzuschlagen, sondern möchten mit den Texten eine Meinung in einen größeren Diskurs einbringen. Eine Resignation kann ich auch bei vielen Menschen beobachten, die früher wesentlich rebellischer waren. Die Übermacht der großen Maschine kann zermürbend sein. Wir sind in den europäischen Gesellschaften bald an einem Punkt angekommen, wo es immer deutlicher wird, dass die endlose Wachstumsspirale eine Utopie ist. Alles entwickelt sich immer schneller nach oben, alles soll wachsen. Aber die Ressourcen sind nicht entsprechend vorhanden. Die neue Generation steht vor neuen Aufgaben. Und die können sehr wahrscheinlich besser gelöst werden, wenn die Menschen in ihrem jeweiligen sozialen Umfeld zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstützen.

Euren Sound empfinde ich als frisch, zugleich spielt ihr auch mit den bekannten Trademarks des eher moderneren Hardcore der Neunziger Jahre. Textlich lasst ihr einen großen Spielraum für eigene Interpretationen, was ich sehr mag. Ein bisschen kryptisch manchmal und nachdenklich. Inwiefern empfindet ihr es wichtig, eindeutige Botschaften an eure Hörer zu senden, aber auch immer den Grundgedanken zu beachten, der sich durch die Subkultur(en) zieht, nämlich alles in Frage zu stellen, was einem vorgegaukelt wird, und für sich selbst zu denken?

Was den Sound angeht, haben wir uns eigentlich im Vorfeld gar keine großen Gedanken gemacht, sondern einfach aus dem Bauch heraus die Musik gemacht, die uns gefällt. Das ist im Endeffekt eine gesunde Mischung aus allem, was wir in unseren Plattenregalen stehen haben und was uns über die Jahre inspiriert hat. Inhaltlich haben wir uns selbstverständlich ganz genau überlegt, was wir vermitteln wollen und wo wir thematisch ansetzen. Wir empfinden es als notwendig, das Bewusstsein über die gesellschaftlichen Kontexte, in denen wir uns alle befinden, wieder mehr zu betonen. Wir steuern in unserer Gesellschaft geradewegs auf einen Betäubungszustand zu. Statt sich von stumpfen Werbeslogans und kleinen App-Spielereien stumm und dumm machen zu lassen, müssen dringend Fragen über soziale und politische Fehlentwicklungen aufgeworfen werden. Es gibt natürlich sehr viele Bands und Menschen in allen möglichen Bereichen der Gesellschaft, die sich dieser Zustände bewusst sind und auch in ihren Texten und Stellungnahmen diese Probleme thematisieren. Das heißt für uns jedoch nicht, dass es damit getan ist. INSTED haben schon vor über zwanzig Jahren gesungen: „What they will say is: ,just another unity song‘. The more the better. To us they are wrong.“ Hier setzen wir mit TAUSEND LÖWEN UNTER FEINDEN auch an. Nur wenn wir ein Bewusstsein entwickeln, aufmerksam für die Entwicklungen um uns herum sind und vor allem zusammenhalten, können wir Veränderungen bewirken, die wir für richtig erachten.

Wie sieht es bei euch mit Konzerten aus? Wie geht ihr vor, komplett D.I.Y. oder nutzt ihr auch vorhandene Strukturen wie etwa Booking-Agenturen?

Wir werden ab Februar 2015 einige Clubkonzerte spielen. Im Mai werden wir COMEBACK KID, BANE, MY IRON LUNG, WORLD EATER und CLIENT. bei ihrer Europatour bei den deutschen Terminen supporten. Da wir alle schon lange in der Hardcore-Szene unterwegs sind, gibt es natürlich auch ein Netzwerk an Leuten, die uns unterstützen. Genauso sind wir ja auf den Kerngedanken der Band gekommen. Befreundete Tätowierer, die Artwork für uns zeichnen, Designer, die uns beim Internetauftritt helfen, ein Label, das uns bei der Veröffentlichung der Platte zur Seite steht, und auch jeder, der die Platte bei sich zu Hause auf dem Plattenspieler rotieren lässt. Alle, die sich auf diese oder ähnliche Weise in das Projekt einbringen, werden automatisch Teil des Ganzen und sind TAUSEND LÖWEN UNTER FEINDEN. Letztlich ist das bei jeder Band so. Der Kern einer Band ist in vielen Bereichen auf Hilfe angewiesen, um den Weg weiter gehen zu können. Wir möchten diesen Gedanken betonen und sind dankbar, dass wir so ein starkes Umfeld haben.