We're fucked!
Zwölf Jahre sind seit der letzten Veröffentlichung der britischen Anarchopunk-Band ins Land gegangen. Jetzt veröffentlichen sie auf Pirates Press ein neues Album und eine Split-7“ mit RESTARTS, waren auf Deutschlandtour und spielen zur Zeit viele Konzerte in den USA. Im Gespräch mit Sänger Dick geht es neben dem neuen Album „Crisis Point“ auch um den Klimawandel, den Rechtsruck und die Macht der Medien.
Nach eurem letzten Album „Internal Riot“ von 2007 kommen dieses Jahr jetzt zwei Veröffentlichungen auf einmal: die Split-7“ mit RESTARTS namens „99%/1%“ und eure LP „Crisis Point“. Wie kam es, dass ihr nach über zwölf Jahren wieder Platten aufgenommen habt?
Klar, zwölf Jahre scheinen eine lange Zeit für zehn Songs. Aber unser Schlagzeuger Trotsky lebt in Deutschland – und wir nicht, also treffen wir uns sehr selten, außer zu Auftritten. Wir proben etwa einmal pro Jahr, also entstanden die Songs langsam, bis zu dem Punkt, als wir genug Stücke für eine LP zusammen hatten.
Wie seid ihr auf die Idee mit der RESTARTS-Split 7“ gekommen?
Das war die Idee von Pirates Press. Sie veröffentlichen unser Album und das neue RESTARTS-Album und dachten, eine gemeinsame Single würde die Aufmerksamkeit auf beide Bands lenken.
Euer neues Album trägt den Titel „Crisis Point“. Das schwarzweiße Cover zeigt die apokalyptische Umweltverschmutzung durch eine riesige Industrieanlage. Was kannst du uns erzählen über das neue Album, das mich auch vom Gefühl her an eure 1982er Platte „The Day The Country Died“ erinnert?
Inwiefern? Wegen dem Schwarzweiß-Artwork? Wegen der kurzen, schnellen, wütenden Songs? Oder wegen beidem? Das neue Album ist voll von Liedern, die von den verschiedenen Schwierigkeiten handeln, in denen wir uns befinden. Es ist eine politisch-moralische, soziale Krise, in der die rechtsgerichtete nationalistische Presse und Politiker Rassismus, Sexismus und Hass schüren und sich auf die Seite von Nazis und White-Power-Gruppen stellen. Alle Fortschritte der letzten zehn bis fünfzehn Jahre in Bezug auf den Sozialstaat, Einwanderung, Umweltverschmutzung, soziale Betreuung der Armen und Älteren, Arbeitnehmerrechte, Gesundheitsversorgung und so weiter verwandeln sich durch sie in zunehmende Armut und die Ressentiments der Menschen in eine ignorante rassistische Hasskultur.
Einer euer neuen Songs heißt „Poison“. Auch wenn immer noch heißt, es sei „fünf vor zwölf“, meinst du, dass wir schon darüber hinaus sind?
Der Planet kann nur ein gewisses Maß an Umweltverschmutzung und Ausbeutung ertragen. Das, was wir „Wachstum“ nennen, tötet nach und nach alles, was uns erhält – hauptsächlich Nahrung und Wasser. Der Boden, den wir übermäßig nutzen, kann nur noch sechzig bis hundert weitere Ernten bringen. Das Wasser ist von der riesigen Menge an Plastik verseucht worden, die wir in den Ozeanen entsorgen. Wenn wir die Art und Weise, wie wir unsere Lebensmittel anbauen und das, was wir anbauen, nicht radikal ändern und Plastikverpackungen vermeiden, werden wir bald nichts mehr zu essen und nur noch kontaminiertes Wasser zum Trinken haben. Dann gibt es noch die Überhitzung des Planeten, die radioaktive Verseuchung der Meere, die Vergiftung der Luft, an der wir ersticken ... Die Versprechungen auf den globalen Gipfeln der G7 oder G8 werden zu Staub zerfallen, da das „allmächtige“ Wachstum alles außer Kraft setzt.
Worum geht es bei dem Song „Punk machine“?
Das ist eine Botschaft an alle jungen Punkbands, die denken, dass das Musikgeschäft mit all seinen Versprechungen von Ruhm und Reichtum, Verträgen und Management eine gute Idee sei – das ist es definitiv nicht! Eure Seele und euer Bankkonto werden die Leidtragenden sein.
In „Thought is free“ fragt ihr, wer die öffentliche Meinung kontrolliert. Ist der Song eine Art Nachfolger von „Big brother“?
Ja, ich sehe das auch so. Der Song ist eine Warnung, dass das Ziel der Ausbeutung unser Verstand ist – durch die Wirtschaft, Massenmedien, Social Media, Werbetreibende, Politiker und die Historiker, deren Bücher in Schulen verwendet werden, mit dem einen Ziel, uns gleichzuschalten und zu Arbeitsdrohnen zu erziehen, um Gewinne für das Kapital zu erwirtschaften. Aber unsere Gedanken können uns nicht genommen werden, richtig? Es ist ein Appell, wachsam zu bleiben und alles kritisch zu hinterfragen.
Auf dem Refuse Festival in Peine habt ihr eine sehr gute und bewegende Ansage bei „Too fat, too thin“ zum Thema Bodyshaming gemacht. Seht ihr dieses Problem auch in der Punk-Szene?
Der Anlass für den Song ist das ständige Bombardement mit diesen Bildern auf den Bildschirmen! Angefangen bei dem Muskelmann Charles Atlas und seiner Werbebotschaft, die auch auch dem dünnsten Brillenträger versprach, dass er seinen Body in die ideale Form trimmen kann, bis zu Madonna mit ihren plastischen Operationen. So wird der Eindruck erweckt, dass das Aussehen der einzige Weg zu Ruhm und „Schönheit“ sei. Die Schlussfolgerung, die sich daraus ergibt, lautet, dass der Rest von uns minderwertig ist und sich deshalb in der Welt der Kosmetik und des Unnatürlichen anpassen muss. Und das führt dazu, dass Magersucht neben Selbstmord eine der Haupttodesursachen bei Teenagern ist – beeinflussbare Jugendliche, die sich alleingelassen und sozial ausgegrenzt fühlen. Und das kotzt mich an. Es ist nicht wichtig, wie du aussiehst, sondern das, was du sagst und tust, das zählt. Es ist nicht so sehr ein Problem in der Punk-Szene, da sich viele Leute so anziehen, damit sie eben nicht „schön“ aussehen, um so die Vorstellungen des Mainstreams davon, was normal aussieht, ad absurdum zu führen.
Angesichts eures schweißtreibenden Gigs im Sonic Ballroom in Köln – wie haltet ihr euch fit?
Unsere Auftritte sind mein einziger Workout! Ich trainiere vorher nicht, wenn du das meinst. Ich weiß nicht, woher ich die Energie nehme, aber es funktioniert.
An eurem Merchstand bietet ihr Babystrampler mit eurem Logo an. Wie kommen sie an? Und wer ist auf die Idee gekommen?
Carmel, unsere Merchandising-Dame. Sie hat sich vor fünf Jahren freiwillig gemeldet, den Stand zu betreuen, und seitdem nicht mehr aufgehört. Sie strickt Kleidung für Erwachsene und Kinder, fügt Bandpatches hinzu und verkauft sie auf Shows, und ja, die Strampler verkaufen sich! Vielleicht an einen wachsenden Teil unseres Publikums mit kleinen Kindern.
Wird es demnächst wieder Rereleases euren alten Platten geben?
Ich hoffe es, wir überlegen gerade, was wir tun sollen. Southern Records, die immer unsere Alben gepresst und sich um den Vertrieb gekümmert haben, haben vor etwa zwei Jahren aufgehört, sie kontinuierlich nachzupressen – und auch aufgehört, uns vollständig zu bezahlen. Man antwortet auch zur Zeit nicht mehr auf E-Mails. Aber das hilft uns nicht dabei, die Rechte an unseren Songs von ihnen zurückzubekommen. Wenn sie ihnen überhaupt gehören, was Southern behauptet, weil sie für die Aufnahmen bezahlt haben. Es ist ein Dauerproblem ... eine sehr frustrierende Situation.
Nachdem Boris Johnson nun Premierminister geworden ist, was müssen wir erwarten – auch gerade was den Brexit angeht?
We’re fucked! Er ist ein reicher weißer Narzisst, der sich von Steve Bannon und ähnlichen Nazis leiten lässt – im Grunde genommen genau wie Trump. Er füttert die rechten Medien mit Lügen über den Brexit und spricht über den Brexit und Europa so, als wären wir im Krieg. Und inzwischen weiß jeder, der über ein Gehirn oder die Fähigkeit verfügt, ein wenig weiterzudenken, dass ein No-Deal-Brexit zu Chaos, Unruhen, Nahrungsmittelknappheit, Arbeitsplatzverlusten, Armut und Rezession für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre oder länger führen wird. Aber Johnson ist Teil der herrschenden Elite, sie werden überhaupt nicht unter dem Brexit leiden, sie wollen dieses Land in eine Steueroase für die Reichen verwandeln und unser Gesundheitssystem an amerikanische Privatunternehmen verkaufen. Und trotzdem sind die verdammten Tories in den Umfragen vorne! What the fuck?! Ist jeder wirklich so stumpf und betäubt?
Wie fühlt es sich an, dass die Songs, die über vierzig Jahre alt sind, immer noch aktuell sind? Und was ist eure Motivation weiterzumachen?
Es wäre toll, wenn die alten Songs nicht mehr relevant wären! Wenn aber so viel Scheiße passiert, dann muss jemand darauf aufmerksam machen, weil Unwissenheit uns alle zu Sklaven macht.
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