Sie sind ein bisschen wie die kleinen Brüder der übergroßen Street- und Folkpunk-Macker DROPKICK MURPHYS. Und sie machten sich sehr rar in den vergangenen Jahren: Seit 2010 haben die STREET DOGS aus Boston nichts mehr von sich hören lassen und man musste sich schon Sorgen machen, ob es diese Band überhaupt noch gibt. Doch mit „Stand For Something Or Die For Nothing“ steht endlich eine neues Album parat, das mit wunderbaren Melodien, räudigem Streetpunk und politisch wie gesellschaftlich relevanten Texten überzeugt. Entsprechend viel zu erzählen haben Sänger Mike McColgan und Bassist Johnny Rioux im ersten Interview mit dem Ox seit einer halben Ewigkeit.
Johnny, Mike, ihr habt acht Jahre für ein neues Album gebraucht. Klassisch ist ein Zwei-Jahres-Rhythmus. Was also ist mit den STREET DOGS in der Zwischenzeit passiert?
Johnny: Es ist sowohl beruflich als auch privat sehr viel passiert. Wir haben unsere ersten fünf Platten in rasantem Tempo aufgenommen und sind nach jedem Album auch sofort auf Tour gegangen. Also spürten wir, dass wir ohnehin eine kleine Pause benötigen. Die begann dann auch mit Mikes und meinem etwas folkigerem Projekt FM359, in dessen Rahmen wir in meinem Studio auch einige 7“s für Pirates Press aufnahmen. Aber dann explodierte alles im Privaten. Wir machten Scheidungen sowie Drogen- und Alkoholentzüge durch – und hatten den allgemeinen Wunsch, eine richtige Pause einzulegen und uns auf unsere Familien zu konzentrieren. In all dem Chaos haben wir denn auch ein paar Bandkollegen verloren, dafür aber Lenny Lashley von DARKBUSTER und Matt Pruitt von HAVE NOTS hinzugewonnen. Wir nahmen uns Zeit, wieder eine gut geölte Band-Maschine zu werden, bevor wir uns daran begaben, eine neue Platte in voller Länge zu schreiben und aufzunehmen. Und wir sind froh, dass wir gewartet haben. Denn das Ergebnis ist besser als erhofft.
Mike: Johnny hat das alles schon ziemlich gut zusammengefasst. Insofern kann ich nur hinzufügen: Shit happens! Wir gingen durch eine ganze Menge an privatem und beruflichem Mist. Aber wir haben unser Leben und die Band verändert. Und das alles hat uns glücklicherweise Tag für Tag als Menschen und als Band besser gemacht.
Dem Titel eures neuen Albums entsprechend: Wofür steht ihr ein, um nicht umsonst zu sterben?
Johnny: Ich denke, es ist für niemanden eine Überraschung, aber wir standen immer auf Seiten der Arbeiterklasse und jener Kämpfe und Schwierigkeiten, die Familien aus der Unter- und Mittelschicht auszutragen haben. Die Mächtigen können zwar versuchen, die unteren Schichten zum Schweigen zu bringen, aber wenn du das Glück hast, eine Gitarre und ein Publikum zu haben, dann wird deine Stimme auch gehört. Viele in den USA haben derzeit Angst, über genau diese Themen zu sprechen oder zu singen. Wir STREET DOGS aber scheren uns nicht darum, was jemand über unsere Musik oder Texte denkt. Wir müssen uns selbst treu bleiben.
Mike: Eben. „Stand For Something Or Die For Nothing“ bedeutet, nicht nur mit dem Strom zu schwimmen und nichts zu tun. Es bedeutet: Wenn es Ungerechtigkeit gibt, dann sprich sie auch an und tritt dem entgegen. Lass die Demokratie nicht untergehen. Misch dich ein und bewege etwas.
Einer eurer neuen Songs trägt ja passenderweise den Titel „Working class heroes“. Gibt es überhaupt noch einen Platz für Helden der Arbeiterklasse in der heutigen Gesellschaft zwischen Multimedia, Kapitalismus und technischem Fortschritt?
Johnny: Ich denke, es wird immer einen Platz für die Helden der Arbeiterklasse in dieser Welt geben. Natürlich, die Akteure der modernen Technologie und des Kapitalismus werden versuchen, sie zu ignorieren. Aber diese Menschen sind das Rückgrat unserer Welt. Und solange wir das Recht haben, uns zu organisieren, werden die Gewerkschaften der Arbeiterklasse den Rücken stärken und ihr Gehör verschaffen.
Mike: Auch ich bin überzeugt, es wird immer eine Arbeiterklasse geben. Die eigentliche Frage ist doch: Wird sie wieder Teil der Mittelschicht – oder wird sie arm bleiben? Letztlich gibt es viele klassische Arbeiterberufe in unserer Welt. Die Menschen, die in diesen Berufen tätig sind, müssen sich zusammenzutun, um dadurch sicherzustellen, dass sie auch eine faire Bezahlung für ihre Arbeit erhalten. Es ist doch so: Wenn wir vereint handeln, dann verhandeln wir. Wenn wir getrennt handeln, dann betteln wir.
Nun ist es allerdings so, dass viele Arbeiter für Trump stimmten – vor allem im sogenannten von der Industrie geprägten „Rust Belt“ im Mittleren Westen der USA. Sind diese Leute dann immer noch Helden? Oder sind sie Idioten, die einem Lügner folgen?
Johnny: Dazu muss ich ein wenig ausholen: Zu den wahren Feinden der Menschen in unserem Land zählen die Mainstream-Medien. Das ist mit Europa nicht zu vergleichen. Es gibt bei uns die rechten Medien, die eine entsprechend rechte Agenda verfolgen. Und das Gleiche gilt für das linke Spektrum – was auch nicht besser ist. Die Empfänger, die Opfer der Propaganda, die diese Medien verbreiten, wollen eigentlich nur Nachrichten hören. Die Menschen wollen letztlich ja vor allem einen Job haben und ihre Familien ernähren. Und ich nehme an, dass viele von den Trump-Wählern glaubten, dass in den acht Jahren zuvor unter Obama und den Demokraten nicht genug getan worden sei für sie. Ich treffe viele Leute, die weder Rassismus noch Sexismus, weder Klassentrennung noch sonstige der von Trump und der republikanischen Partei verfolgten Ziele unterstützen. Aber aus irgendeinem Grund stimmten sie für diesen Typen. Wohl in der Hoffnung auf sichere Arbeitsplätze, Wirtschaftswachstum und wegen einer generellen Abneigung gegenüber Hillary Clinton. Hoffentlich ist das alles nur vorübergehend – und wir machen Fortschritte bis hin zur nächsten Wahl. Aber was zum Teufel weiß ich schon? Ich bin nur in einer Punkband, haha.
Mike: Bei uns sind Sender und Sendungen wie Fox News bis auf wenige Ausnahmen nichts anderes als staatliches Fernsehen für Trump, das mit Täuschungen, Verschleierungen und Schuldzuweisungen arbeitet. Und Trump hat von diesem Fernsehen ohne Ende profitiert. Wir benötigen dringend eine unabhängige Nachrichtenagentur. Aber wie auch immer: Es wird ein großartiger Tag, wenn Trump einmal das Oval Office verlassen wird. Mit jedem Tag, der vergeht, sieht es so aus, als würde es bald passieren.
„Working class heroes“ endet mit den Worten: „Solidarity forever“. Ist Solidarität etwas, das dieser Welt mit am meisten fehlt.
Johnny: Ja. Genau das wird heutzutage am schmerzlichsten vermisst. Aber jeder von uns hat die Wahl, ob und wie er das handhabt. Ich habe beschlossen, mich mit Menschen zu umgeben, die diese Werte teilen. Ich würde nicht mehr als ein paar Minuten mit jemandem verbringen, der sich nicht für mich vor ein Auto werfen würde.
Mike: Zum Glück erlebe ich diese Einheit innerhalb der lokalen Gewerkschaft, in der ich aktiv bin. Ich versuche, diese Solidarität sowohl auf meine persönliche Weise als auch mit den STREET DOGS möglichst weit zu verbreiten.
Als ihr das letzte Mal für das Ox interviewt wurdet, ging es um den Krieg im Irak und die Finanzkrise. Was ist seitdem eigentlich besser geworden?
Mike: Was besser geworden ist, haha? Ich sage mal so: Wir engagieren uns nach wie vor im Krieg. Und wir borgen uns Geld von China, um die Schuldenobergrenze zu erhöhen und Geld ausgeben zu können, das wir eigentlich gar nicht haben. Unser Wirtschaftssystem ist ein Chaos. Nur unsere militärische Übermacht erlaubt es uns, Geld zu drucken.
Kommen wir mal auf eure Heimatstadt Boston zu sprechen: Während ihr acht Jahre lang kein Album herausgebracht habt, wurden eure Freunde DROPKICK MURPHYS zu einer Band, die speziell in Europa eine große Rolle spielt. Hand aufs Herz: Wie eifersüchtig seid ihr auf sie?
Johnny: Da ich ja in jüngeren Jahren mit DROPKICK MURPHYS-Frontmann Al Barr zusammen bei THE BRUISERS war und wir aus derselben Stadt kommen, ist es so, dass ich wirklich nur Stolz und Freude darüber empfinde, wie beliebt sie geworden sind. Sie haben jedes Quäntchen dieses Erfolgs verdient. Außerdem ist es streng genommen ja so, dass Al vielmehr auf mich eifersüchtig sein muss: Immerhin habe ich mehr Zeit als er zur Verfügung, die ich zu Hause mit meiner Familie verbringen kann, haha!
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